Änderung der LSt-Anmeldung nach Übermittlung der LSt-Bescheinigung
Hintergrund: Betrügerische LSt-Anmeldungen
Die Mitarbeiterin (M) war in einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis (GP) als geringfügig Beschäftigte mit Buchhaltungsaufgaben betraut. In 2010 legte sie einem Gesellschafter (S) einen weiteren Arbeitsvertrag mit einer Arbeitszeit von nunmehr 38,5 Stunden wöchentlich und einem Bruttomonatsgehalt 1.700 EUR vor. Der Arbeitsvertrag wurde von S in Unkenntnis seines Inhalts unterzeichnet und M veranlasste in der Folgezeit die Überweisung der entsprechenden Arbeitslöhne und die Abführung der hierauf entfallenden Lohn- und Annexsteuern.
Eine LSt-Ap bei GP in 2014 führte zu keinen Beanstandungen. Das FA hob daher den Vorbehalt der Nachprüfung für die von GP abgegebenen LSt-Anmeldungen für den streitigen Zeitraum Januar 2012 bis Juni 2014 auf.
Im Dezember 2015 bemerkte GP die von M veranlassten überhöhten Lohnzahlungen. GP vereinbarte darauf mit dem Ehemann der im Dezember 2015 (durch Suizid) verstorbenen M, dass dieser als Erbe einen Schadensausgleich zahlte.
In 2016 beantragte GP erfolglos die Änderung der LSt-Anmeldungen und die Erstattung der abgeführten Beträge. Das FG gab dagegen der Klage statt. Das FA sei nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst c AO verpflichtet, die LSt-Anmeldungen zu ändern. § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG schließe eine Änderung der LSt-Anmeldungen nach den allgemeinen AO-Korrekturvorschriften (§§ 172 ff. AO) nicht aus.
Entscheidung: Keine allgemeine Änderungssperre durch § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG
Der BFH teilt die Auffassung des FG, dass durch § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG die allgemeinen Korrekturvorschriften (§§ 172 ff. AO) nicht ausgeschlossen werden. Das FA hat über die Änderung der LSt-Anmeldungen nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO erneut zu entscheiden.
Änderung der LSt-Anmeldungen bis Dezember 2013
Einer Änderung der LSt-Anmeldungen bis Dezember 2013 nach den allgemeinen Korrekturvorschriften steht die Änderungssperre des § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG schon deshalb nicht entgegen, weil diese Neuregelung erstmals auf laufenden Arbeitslohn anzuwenden ist, der für einen nach dem 31.12.2013 endenden Lohnzahlungszeitraum gezahlt wird. Nach § 52 Abs. 1 Satz 2 EStG kommt es auf die Zahlung des Arbeitslohns (und nicht auf die Entscheidung über den Änderungsantrag) an.
Änderung der LSt-Anmeldungen ab 2014 nach allgemeinen Korrekturvorschriften
Aber auch für die LSt-Anmeldungen ab 2014 steht die Neuregelung in § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG einer Änderung nach den allgemeinen Korrekturvorschriften nicht entgegen. § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG regelt nur die nachträgliche Änderung der LSt-Anmeldung nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO in Fällen des § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG (vertragswidrige Beträge). Damit ist zwar eine Änderung nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO in allen anderen von § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG nicht erfassten Fällen ausgeschlossen, nicht dagegen eine Änderung nach Maßgabe der übrigen Korrekturvorschriften. Der Gesetzeswortlaut ist insoweit eindeutig.
Keine Änderung wegen neuer Tatsachen
Eine Änderung wegen neuer Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO kommt nicht in Betracht. Der Änderung steht die Änderungssperre nach einer Ap entgegen (§ 173 Abs. 2 AO). Die Sperre umfasst auch LSt-Anmeldungen, bei denen – wie hier – im Anschluss an eine LSt-Ap der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde (BFH v. 7.2.2008, VI R 83/04, BStBl II 2009, 703).
Aber Änderungsmöglichkeit wegen arglistiger Täuschung
Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO kann ein Steuerbescheid geändert werden, soweit er durch unlautere Mittel (arglistige Täuschung, Drohung, Bestechung) erwirkt worden ist. M hat als Dritte die LSt-Anmeldungen durch arglistige Täuschung gegenüber GP (Unterschieben des geänderten Arbeitsvertrags) bewirkt.
Erneute Entscheidung des FA unter Ermessensgesichtspunkten
Die Änderung eines Steuerbescheids nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO ("darf geändert werden") steht im Ermessen des FA (BFH v. 28.4.1998, IX R 49/96, BStBl II 1998, 458). Eine Ermessensentscheidung ist vom Gericht nur daraufhin überprüfbar, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 Satz 1 FGO). Im Streitfall hat das FA allerdings gar keine Ermessensentscheidung getroffen. Das FG hätte das FA deshalb nicht zur Änderung der LSt-Anmeldungen verpflichten dürfen, sondern gemäß § 101 Satz 2 i.V.m. § 102 FGO lediglich zu einer erneuten Verbescheidung der GP. Die Aufhebung des Ablehnungsbescheids durch den BFH ermöglicht dem FA nunmehr die erneute Entscheidung unter Ermessensgesichtspunkten über den Änderungsantrag der GP. Dabei wird das FA zu berücksichtigen haben,
- ob GP die Fehlerhaftigkeit der LSt-Anmeldungen hätte erkennen können,
- inwieweit der Ehemann der M und GP sich auf eine Schadenskompensation geeinigt haben,
- in welchem Umfang die Versteuerung der "Arbeitslöhne" und die Anrechnung der einbehaltenen LSt im Rahmen der Veranlagung der Eheleute rückgängig gemacht wurden.
Hinweis: Veruntreute Beträge sind kein Arbeitslohn
Die streitigen Überzahlungen gehörten nicht zum steuerpflichtigen Arbeitslohn der M. Zum Arbeitslohn rechnen zwar auch versehentliche Überweisungen des Arbeitgebers, die dieser zurückfordern kann. Die Rückzahlung ist in diesem Fall im Zeitpunkt des tatsächlichen Abflusses einkünftemindernd zu berücksichtigen (BFH v. 4.5.2006, VI R 17/03, BStBl II 2006, 830). Nicht zum Arbeitslohn i.S. des § 19 EStG gehören dagegen Beträge, die der Arbeitnehmer unter eigenmächtiger Überschreitung seiner Befugnisse auf sein Konto überweist (BFH v. 13.11.2012, VI R 38/11, BStBl II 2013, 929). Im Streitfall fehlt es bereits an dem Merkmal der "Gewährung" eines Vorteils (§ 2 LStDV). M wurden die streitigen Beträge nicht "gewährt". Sie hat sie sich vielmehr eigenmächtig unter Überschreitung ihrer Befugnisse zugeteilt.
BFH Urteil vom 30.09.2020 - VI R 34/18 (veröffentlicht am 18.03.2021)
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