Anwendung der Differenzbesteuerung für Reiseleistungen

Bei der Klage der EU-Kommission gegen Deutschland ging es um die Anwendung der Differenzbesteuerung für Reiseleistungen.

Die Kommission beantragte festzustellen, dass Deutschland dadurch gegen die Verpflichtungen aus Art. 73 sowie aus den Art. 306 - 310 MwStSystRL verstoßen hat, dass Reiseleistungen für Unternehmer, die diese für ihr Unternehmen nutzen (sog. Kettengeschäfte), von der Sonderregelung für Reisebüros ausgeschlossen sind und es Reiseveranstaltern erlaubt ist, soweit die Margenregelung anwendbar ist, die Marge pauschal für Gruppen von Leistungen und für jeden Besteuerungszeitraum zu ermitteln.

Verstößt deutsche Regelung gegen  MwStSystRL? 

Die Kommission machte geltend, die in Deutschland vorgesehene Regelung zur Berechnung der MwSt bei Reiseleistungen stehe nicht im Einklang mit der MwStSystRL. Deutschland weiche in unzulässiger Weise von Art. 306 - 310 MwStSystRL ab. Erstens sei es nicht zulässig, Unternehmer als Leistungsempfänger, die Reiseleistungen für ihr Unternehmen nutzen, von der Anwendung der Sonderregelung auszuschließen. Schon in seinem Urteil vom 26.9.2013 (C-189/11 (Kommission/Spanien)) habe der EuGH festgestellt, dass die Sonderregelung nicht nur auf Leistungen an private Endverbraucher, sondern auch auf Leistungen an Unternehmer anzuwenden sei. Den Mitgliedstaaten stehe es nicht frei, sie auf erstere zu beschränken.

Berechnungsmethode für Reisen

Zweitens sei die im deutschen Recht vorgesehene Berechnungsmethode mit der MwStSystRL unvereinbar. Nach den Art. 73 und 306 - 310 MwStSystRL müsse die Steuerbemessungsgrundlage für jede Reise gesondert festgestellt werden. Dagegen gestatte das deutsche Recht eine pauschale Berechnung der Handelsspanne für "Gruppen von Leistungen" bzw. für sämtliche Reisen in einem bestimmten Zeitraum. Der EuGH habe in seinem Urteil vom 26.9.2013 auch festgestellt, dass eine solche Pauschalierung nicht dem gemeinsamen MwSt-System entspricht.

Keine Pauschalversteuerung vorgesehen  

Eine Pauschalversteuerung ist nach dem EuGH-Urteil vom 26.9.2013 nach Art. 308 bzw. Art. 318 MwStSystRL nicht vorgesehen. Art. 318 MwStSystRL ermöglicht im Rahmen der ausdrücklich in Titel XII Kapitel 4 MwStSystRL Richtlinie aufgeführten Sonderregelungen (für Gebraucht- oder Kunstgegenstände, Sammlungsstücke oder Antiquitäten) eine pauschale Ermittlung der Bemessungsgrundlage. Die Vorschrift erfasst nach der EuGH-Entscheidung aber gerade nur bestimmte Bereiche, zu denen Reiseleistungen nicht gehören. Somit muss nach dem EuGH-Urteil die Marge für jede einzelne Reiseleistung gesondert ermittelt werden.

Deutschland hat laut EuGH gegen MwStSystRL verstoßen

Der EuGH hat entschieden, dass Deutschland sowohl durch den Ausschluss von B2B-Umsätzen aus der Differenzbesteuerung für Reiseleistungen, als auch durch die Zulässigkeit einer Gruppen- oder Gesamtmargenregelung gegen seine Verpflichtungen aus der MwStSystRL verstoßen hat. Die von der Bundesregierung vorgebrachten Argumente hat der EuGH, insbesondere unter Verweis auf sein Urteil vom 26.9.2013, allesamt zurückgewiesen.

Sonderregelung für Reiseleistungen 

§ 25 UStG enthält eine Sonderregelung für Reiseleistungen. Im Gegensatz zum allgemeinen System der Umsatzbesteuerung mit Vorsteuerabzug bestimmt hier die Differenz von Reiseerlösen und Reisevorleistungen die Besteuerungsgrundlage. Deswegen werden auch die Begriffe Rohgewinn- oder Margenbesteuerung verwendet. Diese Sonderregelung beruht auf der Überlegung, dass andernfalls Reiseunternehmer in jedem Reiseland zur Umsatzbesteuerung herangezogen werden müssten und sie praktische Schwierigkeiten bei der Erfüllung dieser Pflichten hätten. Auch soll die tatsächliche Besteuerung bei Reisen innerhalb der EU sichergestellt werden.

§ 25 Abs. 1 UStG bestimmt den Steuergegenstand und grenzt den Kreis der Unternehmer ab, für den die Sonderform der Besteuerung gilt. Voraussetzung ist, dass der die Leistung ausführende Unternehmer mit seiner Reiseleistung gegenüber dem Leistungsempfänger im eigenen Namen auftritt und sog. Reisevorleistungen in Anspruch nimmt. Reisevorleistungen sind Lieferungen und sonstige Leistungen Dritter, die den Reisenden unmittelbar zugute kommen. Unter diesen Voraussetzungen ist die Reiseleistung als sonstige Leistung anzusehen. Die Reiseleistung darf nicht für das Unternehmen des Leistungsempfängers, also nur für einen nichtunternehmerischen Endverbrauch bestimmt sein. Der BFH hatte dies in seinem Urteil vom 15.1.2009 (V R 9/06, BStBl 2010 II S. 433; vgl. auch Abschn. 25.1 Abs. 2 Satz 1 UStAE ) bestätigt. Deshalb sollen insbesondere Kettengeschäfte zwischen Reiseunternehmern und Incentive-Reisen in den jeweiligen Vorstufen nicht der Besteuerung nach § 25 UStG unterliegen.

Deutschland muss Sonderregelung ändern  

Anders (und bisher nicht in nationales Recht transformiert) sieht dies jedoch der EuGH mit seinem Urteil vom 26.9.2013 u.a. Danach ist die Margenregelung für Reiseleistungen nicht auf den Verkauf von Reisen an Reisende beschränkt, sondern kann auch auf zwischenunternehmerische Umsätze angewendet werden (sog. Kundenmaxime). Aufgrund des vorliegenden Urteils ist nunmehr eindeutig, dass auch Deutschland die Sonderregelung für Reiseleistungen auf sog. Kettengeschäfte anwenden und § 25 UStG entsprechend ändern muss.

§ 25 Abs. 3 UStG regelt die Bemessungsgrundlage in Form der sog. Marge. Die Bemessungsgrundlage der Reiseleistung richtet sich nicht (nur) nach dem Entgelt, das der Leistungsempfänger aufwendet. Die Reiseleistung bemisst sich vielmehr nach der Differenz zwischen dem Betrag, den der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten und dem Betrag, den der Unternehmer für die Reisevorleistungen aufwendet. Infolge dieser Differenzbesteuerung ist der Unternehmer nach § 25 Abs. 4 UStG nicht berechtigt, die auf den Reisevorleistungen lastende oder die als Leistungsempfänger nach § 13b UStG geschuldete USt als Vorsteuer abzuziehen.

Ermittlung der Bemessungsgrundlage durch Margenermittlung  

Zur Vermeidung praktischer Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage werden den Unternehmern in § 25 Abs. 3 Satz 3 UStG Erleichterungen gewährt. Denn die Margenermittlung für die einzelne Leistung – wie sie § 25 Abs. 3 Satz 1 UStG vorschreibt – kann bei Pauschalreisen mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein. Eine Zuordnung der Reisevorleistungen zu den einzelnen Reiseleistungen ist vielfach abrechnungstechnisch nicht möglich. Nach § 25 Abs. 3 Satz 3 UStG hat der Unternehmer deshalb die Möglichkeit, die Marge für bestimmte Gruppen von Reiseleistungen zu ermitteln. Dies kann nach Abschn. 25.3 Abs. 4 UStAE z. B. die Marge für eine in sich abgeschlossene Reise (z. B. Kreuzfahrt) oder für sämtliche Reisen während eines bestimmten Zeitraums (Saison) in einen Zielort oder in ein Zielgebiet sein. Der Unternehmer kann aber auch die Marge für seine gesamten innerhalb eines Besteuerungszeitraums bewirkten Reiseleistungen, soweit sie unter die Sonderregelung des § 25 UStG fallen, in einer Summe ermitteln (Gesamtmarge). Aufgrund des vorliegenden Urteils ist diese Gruppen- oder Gesamtmargenbildung nicht zulässig, sodass auch § 25 Abs. 3 UStG geändert und diese Vereinfachungen, die bisher den Reiseleistern (nicht der Finanzverwaltung) zugute kamen, abgeschafft werden müssen.

Kein Ausgleich negativer und positiver Margen 

Damit können im Ergebnis „negative” Margen, die sich z. B. aus preisgünstigen Werbereisen oder infolge Nichtauslastung eines Zielgebiets ergeben, nicht mehr mit den „positiven” Bemessungsgrundlagen aus den anderen Reisen innerhalb eines Besteuerungszeitraums ausgeglichen werden. Dieser Ausgleich ist bisher im Gesetz beschränkt auf die nach § 25 UStG zu besteuernden Reiseleistungen. Hat ein Unternehmer neben dem Reisebereich noch andere Branchenbereiche innerhalb seines Unternehmens, sollte es nach der Systematik des § 25 UStG bereits bisher nicht zulässig sein, negative Margen aus dem Reisesektor mit positiven Bemessungsgrundlagen aus anderen Bereichen zu verrechnen oder in den nächsten Besteuerungszeitraum vorzutragen. Die Marge für den Reisebereich kann allenfalls 0 EUR betragen (vgl. auch BMF, Schreiben v. 27.8.1985, DStR 1985 S. 689).

Gesetzesänderung muss zeitnah erfolgen  

Die Gesetzesänderungen müssen wohl zügig umgesetzt werden. Nach Art. 260 Abs. 1 AEUV (ex: Art. 228 EG-Vertrag) müssen die Mitgliedstaaten bei durch den EuGH festgestellten Vertragsverstößen die entsprechenden innerstaatlichen Gesetzes- oder Verwaltungsmaßnahmen ergreifen, um dem Urteil des EuGH gerecht zu werden. So war z. B. § 25 Abs. 2 UStG aufgrund des EuGH-Urteils vom 27.10.1992 (C-74/91 Kommission/Deutschland) geändert worden, mit der Maßgabe, dass eine Reiseleistung nur steuerfrei ist, soweit die ihr zuzurechnenden Reisevorleistungen im Drittlandsgebiet bewirkt werden (Art. 18 Standortsicherungs-Gesetz v. 13.9.1993, BStBl 1993 I S. 774.).

Art. 260 Abs. 2 AEUV sieht ein Sanktionsverfahren gegen einen Mitgliedstaat für den Fall vor, dass entgegen einem Urteil des EuGH keine der Vertragsverletzung abhelfenden Maßnahmen ergriffen werden. Das Verfahren lehnt sich an die Praxis des Vertragsverletzungsverfahrens an und sieht nach der ersten, folgenlos gebliebenen Verurteilung durch den EuGH ein erneutes Vertragsverletzungsverfahren vor. In diesem wird der Mitgliedstaat durch die Kommission aufgefordert, dem Urteil des EuGH nachzukommen.

Ergreift der Mitgliedstaat nicht die erforderlichen Maßnahmen, kann die Kommission die Sache erneut dem EuGH vorlegen. Bei einer erneuten Verurteilung des Mitgliedstaats kann der EuGH die Zahlung eines Zwangsgelds oder Pauschalbetrags bis zur Höhe des von der Kommission genannten Betrags verhängen. Ein Zwangsgeld ist fällig ab dem Zweiturteil des EuGH bis zum Zeitpunkt, in dem der Verstoß abgestellt ist. Ein Pauschalbetrag ist die Sanktion für die Zeit zwischen Ersturteil und Zweiturteil (bzw. Ende des Verstoßes). Der EuGH hat eine Kumulation von Zwangsgeld und Pauschalbetrag in seinem Urteil vom 12.7.2005 (C-304/02, Kommission/Frankreich) ausdrücklich zugestanden.

EuGH, Urteil v. 8.2.2018, C-380/16 (Kommission/Deutschland)


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