Auskunftsersuchen an Dritte ohne vorherige Sachverhaltsaufklärung beim Beteiligten
Auskunftsersuchen an Dritte zwecks Ermittlung der Lieferkette, um die Einkaufspreise des Beteiligten zu prüfen, sind ohne vorherige Sachverhaltsaufklärung bei diesem dann nicht ermessensfehlerhaft oder unverhältnismäßig, wenn von vornherein feststeht, dass die Mitwirkung des Beteiligten deshalb erfolglos sein wird, weil ihm nach eigenen Angaben die gesamte Lieferkette nicht bekannt ist. Anlass für Ermittlungen dieser Art ergeben sich alleine aus dem Umstand, dass es in der Praxis ein weit verbreitetes Konstrukt ist, durch Einschaltung von Zwischenhändlern die eigenen Gestehungskosten von Waren zu erhöhen.
Außenprüfung bei Fahrzeughändler
Der Kläger betreibt einen einzelunternehmerischen Handel mit Kraftfahrzeugen, vor allem mit Gebrauchtwagen. Im Rahmen einer Außenprüfung führte die Prüferin mehrere Anfragen beim Kraftfahrt-Bundesamt hinsichtlich der vom Kläger im Prüfungszeitraum angekauften Fahrzeuge durch. Dabei stellte sich heraus, dass in einer Reihe von Fällen diejenigen Personen, die die Fahrzeuge an den Kläger verkauft haben, nicht mit dem letzten Halter der Fahrzeuge identisch waren. Anhand der durch den Kläger vorgelegten Unterlagen konnte die Prüferin die Bewegungen der fraglichen Fahrzeuge in der Kette zwischen dem letzten Fahrzeughalter laut Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes und dem Kläger nicht nachvollziehen. Die Fahrzeugbriefe hatte der Kläger beim Weiterverkauf der Fahrzeuge ausgehändigt.
Sachverhaltsaufklärung für Umsätze des Händlers
Diese Umsätze hielt die Prüferin vor dem Hintergrund, dass Konstrukte bekannt sind, in denen durch die Einschaltung von Zwischenhändlern die Gestehungskosten des letzten Händlers erhöht werden, für auffällig. Da aber die weitere Sachverhaltsaufklärung durch den Beteiligten keinen Erfolg versprach, weil ihm bei diesen Umsätzen, so wie sie erklärt wurden, der letzte Halter unbekannt sein musste, richtete die Prüferin entsprechende Auskunftsersuchen in 21 Fällen an den vom Kraftfahrt-Bundesamt benannten jeweiligen Fahrzeughalter. Aufgrund dieses Ersuchens sollten die Halter jeweils mitteilen, an wen sie das Fahrzeug verkauft haben und zu welchem Preis. Gegen die Auskunftsersuchen erhob der Kläger fristgerecht Einspruch und bestritt, dass die Voraussetzungen für Auskunftsersuchen an Dritte im Streitfall vorgelegen haben. Gegen die ablehnende Einspruchsentscheidung wurde Klage erhoben.
Auskunftsersuchen war zulässig
Die zulässige Klage wurde als unbegründet zurückgewiesen. Nach der Auffassung des Gerichts waren die Auskunftsersuchen ermessensfehlerfrei und mithin rechtmäßig.
Für die Auskunftsersuchen bestand ein konkreter Anlass. Ein solcher liegt nach der Überzeugung des Gerichts dabei nicht erst vor, wenn ein begründeter Verdacht dafür besteht, dass steuerliche Unregelmäßigkeiten gegeben sind. Vielmehr genügt es, wenn aufgrund konkreter Umstände oder aufgrund allgemeiner Erfahrungen ein Auskunftsersuchen angezeigt ist, das zur Aufdeckung steuererheblicher Tatsachen führen könnte. Die in diesem Sinne erheblichen mitzuteilenden Tatsachen müssen lediglich im Rahmen einer Prognoseentscheidung möglich sein. Die Anforderungen an diese Prognoseentscheidung seien allerdings nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht zu hoch anzusetzen. Im Streitfall bestand ein solcher Anlass nach der Überzeugung des Gerichts, weil der Beklagte in einer Reihe von Fällen, Fahrzeuge nicht vom letzten Halter, sondern von nicht mehr als Fahrzeughalter registrierten Zwischenhändlern erworben hat. In der Praxis seien aber Konstrukte bekannt in denen Steuerpflichtige durch das Einschalten von vermeintlichen Zwischenhändlern versuchen, die eigenen Gestehungskosten für verkaufte Waren künstlich zu erhöhen, um so ihren Gewinn zu minimieren.
Subsidiaritätsgebot wurde nicht verletzt
Im Übrigen hat der Beklagte nach der Rechtsauffassung des Gerichts das in § 93 Abs. 1 Satz 3 AO normierte Subsidiaritätsgebot beachtet, wonach andere Personen als die Beteiligten erst dann zur Auskunft angehalten werden sollen, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziel führt oder keinen Erfolg verspricht. Im Streitfall konnte nämlich der Beklagte davon ausgehen, dass die Mitwirkung des Klägers an der Lieferkette vom letzten Halter des Fahrzeugs laut Kraftfahrt-Bundesamt bis zum Kläger erfolglos bleiben werde. Denn wenn die Angaben des Klägers zutrafen, dass die in Rede stehenden Fahrzeuge von benannten Zwischenhändlern erworben wurden, konnte der Kläger zu der Frage, von wem und zu welchen Konditionen diese Zwischenhändler ihrerseits das Fahrzeug erworben hatten bzw. an wen und zu welchen Konditionen die letzten Halter ihr Fahrzeug am Beginn der Lieferkette veräußert haben, von vornherein keine Angaben machen, weil der Kläger in diese Transaktionen nicht involviert war. Der Beklagte konnte mithin die streitigen Auskunftsersuchen sofort, ohne vorherige Befragung des Klägers, an die Dritten richten.
Der Umstand, dass der Beklagte den Kläger nicht vorab über die Auskunftsersuchen an die Dritten informiert hat, führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Verwaltungsakte. Eine solche Information ist gesetzlich nicht vorgeschrieben ist und kann insbesondere dann unterbleiben, wenn hierdurch der Ermittlungszweck gefährdet wird.
BFH-Rechtsprechung zum Auskunftsersuchen
Die Entscheidung des Gerichts liegt auf der Linie der Rechtsprechung des BFH (Urteil v. 29.7.2015, X R 4/14, Haufe Index 8775778), der insoweit darauf verweist, dass ein Auskunftsersuchen an Dritte ohne vorherige Sachverhaltsaufklärung beim Steuerpflichtigen nur dann möglich ist, wenn von vornherein feststeht, dass der Beteiligte entweder nicht mitwirken wird oder die Erfolglosigkeit seiner Mitwirkung offenkundig ist. Auf letztes kann eine Finanzbehörde aufgrund des bisherigen Verhaltens des Beteiligten bei konkreten nachweisbaren Fakten im Rahmen einer vorweggenommenen Beweiswürdigung schließen. Im Ergebnis bleibt daher festzuhalten, dass ein Auskunftsersuchen an einen Dritten ohne vorherige Sachverhaltsaufklärung beim Beteiligten eher den Ausnahmefall bilden dürfte und der Finanzverwaltung hohe Anforderungen an die Begründung des Ermessens auferlegt. Das hier zu besprechende Urteil stellt der Finanzverwaltung mithin keinen "Freibrief" aus.
FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 30.8.2018, 9 K 9099/16, Haufe Index 12602495
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