Beginn des Laufs von Hinterziehungszinsen
Hintergrund: Verspätete Anzeige von Schenkungen
A reichte in 2010 eine Selbstanzeige beim FA ein, mit der sie zwei empfangene Schenkungen nacherklärte (Schenkung I v. 19.12.2007, Schenkung II v. 17.07.2008). In 2013 erließ das FA dementsprechend Schenkungsteuerbescheide und setzte Hinterziehungszinsen wegen hinterzogener SchenkSt fest, ausgehend vom Beginn des Zinslaufs 6 Monate nach dem Stichtag der Schenkungen.
Im anschließenden Klageverfahren wegen zu frühen Beginns des Zinslaufs ermittelte das FA anhand eines internen Controlling-Berichts eine Bearbeitungsdauer von Schenkungsteuerfestsetzungen in 2008 von durchschnittlich 7,1 Monaten. Darauf änderte das FA den Beginn des Zinslaufs auf elf Monate nach dem jeweiligen Stichtag. Dabei ging es von einer Anzeigefrist nach § 30 Abs. 1 ErbStG von drei Monaten sowie einer auf acht Monate aufgerundeten Bearbeitungszeit aus. Das FG entschied, der Zinslauf beginne einen weiteren Monat später. Die Frist zur Abgabe der Steuererklärung von mindestens einem Monat nach § 31 Abs. 1 Satz 2 ErbStG sei hinzuzurechnen.
Entscheidung: Berücksichtigung der durchschnittlichen Bearbeitungszeit
Der Lauf der Hinterziehungszinsen beginnt u.a. mit dem Eintritt der Verkürzung (§ 235 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 AO), d.h. mit der Tatvollendung.
Steuerverkürzung bei abschnittsweise veranlagten Steuern
Ergeht bei einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) kein Steuerbescheid, ist die Tat bei abschnittsweise zu veranlagenden Steuern (z.B. ESt) erst vollendet, wenn das FA die Veranlagungsarbeiten für den betreffenden Zeitraum im Wesentlichen abgeschlossen hat. Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt, zu dem bei ordnungsgemäßer Abgabe der Steuererklärung auch der unterlassende Täter spätestens veranlagt worden wäre (BGH, Urteil v. 28.10.1998, 5 StR 500/98; BFH, Urteil v. 12.4.2016, VIII R 24/13, BFH/NV 2016, 1537).
Steuerverkürzung bei der SchenkSt in dem Zeitpunkt, zu dem das FA die Steuer festgesetzt hätte
Anders ist es bei einer Steuer, die – wie die SchenkSt – nicht kontinuierlich abschnittsbezogen nach Veranlagungszeiträumen, sondern anlassbezogen festgesetzt wird. Denn dann kann nicht festgestellt werden, wann die Bearbeitung der Steuererklärungen und Steuerfestsetzungen (im Wesentlichen) abgeschlossen ist. Für den Eintritt der Steuerverkürzung ist daher bei der SchenkSt als stichtagsbezogener Steuer der Zeitpunkt maßgebend, zu dem das FA bei ordnungsgemäßer Anzeige und Abgabe der Steuererklärung die Steuer festgesetzt hätte (BGH, Urteil v. 8.7.2014, 1 StR 240/14). Dabei kann der Zeitpunkt für den Beginn des Zinslaufs unter Berücksichtigung der beim zuständigen FA durchschnittlichen Bearbeitungszeit für Schenkungsteuererklärungen bestimmt werden.
Die tatsächliche Bearbeitungszeit ist nicht entscheidend
Auf die tatsächliche Dauer der Festsetzung der hinterzogenen SchenkSt kann bei einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen nicht abgestellt werden. Das gilt insbesondere dann, wenn sich die Festsetzung durch steuerstrafrechtliche Untersuchungen oder andere hinterziehungsbedingte Umstände verzögert. Häufig muss aufgrund von Ermittlungsmaßnahmen oder zur Überprüfung der Selbstanzeige eine Veranlagung zunächst zurückgestellt werden.
Auch der späteste Zeitpunkt ist nicht maßgeblich
Entgegen Stimmen im Schrifttum kann auch nicht nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" auf den spätesten Zeitpunkt, zu dem eine Festsetzung erfolgt wäre, abgestellt werden. Dieser Grundsatz setzt Zweifel über tatsächliche Gegebenheiten voraus. Die Unsicherheit hinsichtlich des Zeitpunkts der Vollendung der durch Unterlassen begangenen Tat betrifft aber nicht den tatsächlichen, sondern einen fiktiven Geschehensablauf. Maßgebend für den Beginn des Zinslaufs ist demnach der Zeitpunkt, zu dem nach Überzeugung des Tatsachengerichts bei ordnungsgemäßer Anzeige und Abgabe der Steuererklärung die Schenkungsteuer gegen den unterlassenden Täter im konkreten Einzelfall festgesetzt worden wäre. Hiervon ausgehend hat das FA im Anschluss an die Entscheidung des FG den Beginn des Zinslaufs bei beiden Schenkungen jedenfalls nicht auf ein zu frühes Datum festgelegt.
Hinweis: Berücksichtigung der Bearbeitungszeit für einen vergleichbaren Fall
Der Zeitraum der Bearbeitung im Anschluss an die nach der Anzeige angeforderte Erklärung ist für den Beginn des Zinslaufs zu berücksichtigen. Allerdings darf nicht pauschal die durchschnittlich beim FA anfallende Bearbeitungszeit zugrunde gelegt werden. Abzustellen ist auf die Zeit, die für die Bearbeitung einer Steuererklärung in einem vergleichbaren Fall hätte aufgewendet werden müssen. Das erfordert zumindest überschlägig die Berücksichtigung des Schwierigkeitsgrades im konkreten Fall.
BFH Urteil vom 28.08.2019 - II R 7/17 (veröffentlicht am 12.03.2020)
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