Die Berliner Zweitwohnungsteuer ist keine Verbrauchsteuer
Hintergrund
Die Eheleute X haben ihren Hauptwohnsitz außerhalb von Berlin. In Berlin besitzen sie seit vielen Jahren zwei Eigentumswohnungen (Nr. 19 und Nr. 20). Die Whg. 20 diente dem Ehemann (M) bis Juni 2009 zu freiberuflichen Zwecken und wird seither ebenso wie die Whg. 19 seit Fertigstellung privat genutzt. Eine Erklärung zur Zweitwohnungsteuer gaben die Eheleute erst in 2014 ab.
Das FA setzte gegen die Eheleute mit Bescheiden vom Juli 2015 je zur Hälfte Zweitwohnungsteuer für 2003 - 2017 (Whg. 19) und vom 1.7.2009 - 2017 (Whg. 20) fest. Dabei ging das FA von einer Steuerhinterziehung aus. Den Antrag, die Vollziehung der Bescheide auszusetzen, lehnte das FA ab.
Das FG gab dem Antrag des M auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) hinsichtlich Whg. 19 für Besteuerungszeiträume bis 2006 statt und lehnte den Antrag im Übrigen ab. Die Festsetzungsfrist habe sich auf 5 Jahre verlängert, da M eine leichtfertige Steuerverkürzung begangen habe. Denn er sei seinen melderechtlichen Pflichten nicht nachgekommen. Zweifelhaft sei, ob sich die Festsetzungsfrist wegen Steuerhinterziehung auf 10 Jahre verlängert habe.
Mit seiner Beschwerde brachte M vor, bei der Zweitwohnungsteuer handele es sich um eine Verbrauchsteuer. Die Festsetzungsfrist betrage daher nur ein Jahr (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO) und die nur für Fälle der Abgabe einer Steuererklärung geltende Anlaufhemmung (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO) sei nicht anwendbar. Außerdem habe er die Steuer nicht vorsätzlich oder leichtfertig verkürzt, da er sich möglicherweise selbst angemeldet oder auch der Verwalter der Eigentumsanlage die Anmeldung übernommen habe.
Entscheidung
Verbrauchsteuern sind nur solche Steuern, bei denen das Besteuerungsverfahren die Merkmale einer typischen Verbrauchsteuer aufweist. Die Einordnung anderer Steuern als Verbrauchsteuern wäre mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbar. Den typischen Verbrauchsteuern (Energie-, Tabak- Kaffee-, Schaumwein-, Alkopop-, Biersteuer) ist gemeinsam, dass sie auf Überwälzung auf die Verbraucher angelegt sind. Andere als derartige Warensteuern sind keine Verbrauchsteuern. Demnach ist die Zweitwohnungsteuer keine Warensteuer, durch die der Verbrauch vertretbarer Güter besteuert wird und die an den Übergang einer Sache aus der steuerlichen Gebundenheit in den freien Verkehr anknüpft. Es handelt sich vielmehr um eine örtliche Aufwandsteuer i. S. v. Art. 105 Abs. 2a GG. Sie soll die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit besteuern, die im Innehaben einer weiteren Wohnung für den persönlichen Lebensbedarf neben der Hauptwohnung zum Ausdruck kommt. Die Steuer ist nicht auf Überwälzung auf Dritte angelegt und braucht nicht bei einer Preiskalkulation berücksichtigt zu werden.
Dementsprechend gilt regulär die vierjährige Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO. Ebenso gilt auch die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO (Fristbeginn bei Nichtabgabe der Erklärung mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs nach Ablauf des Steuerentstehungsjahrs). Es bestehen demnach keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzungen ab 2008. Da die Erklärung erst 2014 abgegeben wurde, begann die vierjährige Frist für 2008 mit Jahresablauf 2011 und endete erst mit Jahresablauf 2015. Der in 2014 ergangene Bescheid ist somit vor Ablauf der Festsetzungsfrist ergangen.
Ob die Steuerfestsetzung für die Whg. 19 auch für 2007 rechtmäßig war, hängt davon ab, ob eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt und die Festsetzungsfrist sich dadurch auf 5 Jahre verlängert hat (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO). Dafür müssen die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt sein. Leichtfertig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Falles und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist und dem sich danach aufdrängen muss, dass er Steuern verkürzt. Dazu ist eine Gesamtbewertung des Verhaltens des Steuerpflichtigen erforderlich.
Ob M leichtfertig gehandelt hat, sieht der BFH als ernstlich zweifelhaft an. Entgegen der Auffassung des FG kommt es auf die Verletzung der Meldepflichten nach dem Meldegesetz schon deshalb nicht an, weil die Meldebehörden keine Finanzbehörden sind. Auch auf die Verletzung der Mitwirkungspflicht bei der Personenstands- und Betriebsaufnahme nach § 135 Abs. 2 AO lässt sich der Vorwurf der Leichtfertigkeit nicht stützen. Denn diese Pflicht setzt voraus, dass überhaupt eine entsprechende Aufnahme stattfindet. Eine Personenstands- und Betriebsaufnahme kann nur die Landesregierung oder die von ihr durch Rechtsverordnung dazu ermächtigte oberste Finanzbehörde durch Rechtsverordnung anordnen. Da aber seit Jahrzehnten eine Personenstands- und Betriebsaufnahme nicht mehr durchgeführt wurde, handelt es sich bei der Mitwirkungspflicht nach § 135 Abs. 2 AO nicht um eine kraft Gesetzes zu erfüllende Pflicht.
Ob M eine leichtfertige Steuerhinterziehung dadurch begangen hat, dass er die vorgeschriebene Steuererklärung zur Zweitwohnungsteuer nicht abgegeben hat, konnte der BFH nach Aktenlage nicht selbst entscheiden. Das wird erst im Hauptsachverfahren zu klären sein. Der BFH hob daher den FG-Beschluss auf und setzte die Vollziehung der Bescheide für 2003 bis 2007 aus.
Hinweis
Für die Praxis ist damit geklärt, dass die Zweitwohnungsteuer keine Verbrauchsteuer ist. Damit gilt die reguläre vierjährige Festsetzungsfrist, die sich bei leichtfertiger Steuerverkürzung auf fünf Jahre und bei Steuerhinterziehung auf 10 Jahre verlängert (§ 169 Abs. 2 AO). Die Frist beginnt mit Ablauf des Jahrs, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Jahr der Entstehung der Steuer folgt (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO).
BFH, Beschluss v. 21.4.2016, II B 4/16, veröffentlicht am 18.5.2016
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