Der Nachweis für die Einzahlung einer Stammeinlage muss 20 Jahre nach Eintragung der GmbH nicht zwingend durch einen Zahlungsbeleg geführt werden. Ein Indiziennachweis kann genügen.

Hintergrund:

Der Streit ging um die Frage, ob bei der Ermittlung eines Veräußerungsverlusts gem. § 17 Abs. 4 i. V. m. Abs. 2 EStG die Einzahlung einer Stammeinlage als Anschaffungskosten zu berücksichtigen war.

A war als Gesellschafterin der am 29. 7.1986 gegründeten B- GmbH (GmbH) an deren Stammkapital  (50.000,00 DM = 25.564,59 EUR) mit 16.500,00 DM (= 8.436,32 EUR) beteiligt. Die Stammeinlagen waren lt. Gründungsurkunde zur Hälfte sofort bar - im Übrigen nach Anforderung der Geschäftsführer - einzuzahlen. Nachdem das Amtsgericht im Juni 2006 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH mangels Masse abgelehnt hatte, wurde die GmbH im September 2006 im Handelsregister gelöscht. – A machte in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2006 den Verlust aus ihrer GmbH-Beteiligung nach § 17 EStG in Höhe von 4.218 EUR erfolglos geltend. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG entschied, das FA habe die Stammeinlage zu Recht nicht als Anschaffungskosten für die Beteiligung der A an der GmbH nach § 17 EStG berücksichtigt. A habe nicht nachgewiesen, dass sie die streitige Stammeinlage tatsächlich erbracht habe. Für die Erfüllung der Einlageverpflichtung trage sie die Beweislast.

Entscheidung des BFH:

Der BFH teilt die Auffassung des FG nicht.  Entgegen der Annahme des FG hätten die Voraussetzungen für die Berücksichtigung des geltend gemachten Auflösungsverlusts (§ 17 Abs. 4 EStG) vorgelegen. A habe Anschaffungskosten für die Beteiligung (§ 17 Abs. 2 EStG, § 255 Abs. 1 HGB) aufgewendet; denn die Stammeinlage sei – wie von ihr behauptet - eingezahlt worden. Dies ergebe sich aufgrund der  Gesamtwürdigung aller Indizien.

In seiner Entscheidung befaßt sich der BFH eingehend mit Fragen, die ganz allgemein für die Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts von Bedeutung sind. Er geht davon aus, dass die Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung (Art. 20 Abs. 3 GG, § 3 Abs. 1 AO) grundsätzlich die Feststellung erfordere, dass die gesetzlichen Merkmale der jeweiligen Steuernorm tatsächlich vorliegen. Nach  dem Untersuchungsgrundsatz (§ 76 Abs. 1 FGO) müsse aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des jeweiligen Besteuerungstatbestandes gewonnen werden. Ist dabei eine unmittelbare Beweisführung nicht möglich - sind also keine Beweismittel vorhanden, aus denen sich direkt das Vorliegen einer beweisbedürftigen Tatsache ergibt - so hat das FG ggf. vorhandene Hilfstatsachen (Indizien) zu würdigen, die mittelbar  - auch über Erfahrungssätze -  einen Schluss auf die entscheidungserhebliche Haupttatsache ermöglichen. Der Umstand, dass ein unmittelbares Beweismittel aus dem Bereich des Steuerpflichtigen nicht zur Verfügung steht, entbindet das FG nicht von einer Gesamtwürdigung aller vorhandenen Indizien.

Im Streitfall habe das FG das Erfordernis und den Inhalt der Gesamtwürdigung der vorhandenen Indizien wie auch die Ergiebigkeit einzelner Indizien verkannt. Es habe eine Beweislastentscheidung getroffen, ohne zuvor - wie es der Untersuchungsgrundsatz (§ 76 Abs. 1 FGO) gebiete – alle Indizien hinreichend geprüft zu haben. Der BFH kommt zu dem Ergebnis, dass der Nachweis für die Einzahlung der Stammeinlage 20 Jahre nach Eintragung der GmbH nicht zwingend allein durch den entsprechenden Zahlungsbeleg geführt werden muss, sondern alle Indizien im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu prüfen sind. In diesem Zusammenhang hebt der BFH die indizielle Bedeutung der Aussage der A zu ihrer Einlageleistung sowie der entsprechenden buchmäßigen Behandlung der Stammeinlage bei der eingetragenen Gesellschaft hervor.

Anmerkung:

Das Urteil enthält grundlegende Ausführungen zu Fragen, die die Tatsachenermittlung und – würdigung im finanzgerichtlichen Verfahren betreffen. Im Streitfall hatte das FG die Indizien für die Einzahlung der Stammeinlage (wie z.B. die Einzahlungsverpflichtung lt. Gesellschaftsvertrag, die eigene Aussage der A zu ihrer Einlageleistung, die Bilanzierung der ausstehenden Einlagen bei der GmbH mit 0 DM und deren Übernahme in die Prüferbilanz) nicht in die Gesamtwürdigung einfließen lassen. Zur Gesamtwürdigung hätte auch gehört, dass es unverhältnismäßig wäre, die Berücksichtigung der Stammeinlage als Anschaffungskosten nach 20 Jahren von der Vorlage eines entsprechenden Zahlungsbelegs abhängig zu machen, obwohl eine Aufbewahrungspflicht (§ 147 AO) insoweit nicht (mehr) besteht. Der BFH stellt in diesem Zusammenhang fest, dass Indizien für das Vorliegen dieses Sachverhalts um so mehr an Bedeutung gewinnen, je länger ein aufzuklärender Sachverhalt zurückliegt.

Urteil v. 8.2.2011, IX R 44/10, veröffentlicht am 15.6.2011