Verbringen der Ware in ein Konsignationslager
Hintergrund: Lieferung über inländisches Auslieferungslager
Streitig war, ob die von einem niederländischen Lieferanten (L) unter Einschaltung eines inländischen Warenlagers an einen inländischen Abnehmer erbrachten Lieferungen als innergemeinschaftlicher Erwerb steuerbar und steuerpflichtig sind oder ob in den Niederlanden (nicht aber in Deutschland) steuerbare, aber steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen vorliegen.
L unterhielt im Inland ein sog. Konsignationslager, d.h. ein Auslieferungslager, aus dem der Abnehmer bei Bedarf Waren entnehmen kann. Über dieses Lager lieferte L in 2005 bis 2011 Waren (Bildschirme) an einen inländischen Großabnehmer (G). G war verpflichtet, den von L angelieferten Konsignationsbestand in einem gesonderten von ihm betriebenen Lager zu lagern, aus dem er die Waren an seine Kunden veräußerte. L blieb solange Eigentümer, bis G – einmal wöchentlich – eine Aufstellung des in der Vorwoche verkauften Bestands übermittelt hatte. Der Verkaufspreis des L an G wurde am Tag der Veräußerung durch G bestimmt. Der Konsignationsbestand wurde von G bei L aufgrund gemeinsam bestimmter Einlagerungsrichtlinien bestellt. G war verpflichtet, den Konsignationsbestand mindestens drei Wochen im Lager zu belassen. Danach war er berechtigt, den Bestand (ganz oder teilweise) an L zurückzusenden.
L behandelte die Veräußerungen an G als im Inland nicht steuerbar und erklärte diese in den Niederlanden als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen. Damit korrespondierend erklärte G innergemeinschaftliche Erwerbe in entsprechender Höhe und zog die darauf entfallende USt als Vorsteuer ab. Das FA behandelte dagegen die Lieferungen des L an G als steuerbar und steuerpflichtig. Dem folgte das FG. Es sah als Lieferort den Ort des Konsignationslagers an und bejahte dementsprechend steuerbare und steuerpflichtige Lieferungen.
Entscheidung: Der Abnehmer muss im Zeitpunkt der Versendung feststehen
Die Umsätze des L sind im Inland steuerbar. Denn der Ort der Lieferungen des L an G bestimmt sich nach § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG und nicht nach Abs. 6. Wird der Gegenstand durch den Lieferer (den Abnehmer oder einen vom Lieferer oder Abnehmer beauftragten Dritten) befördert oder versendet, gilt die Lieferung dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer (oder in dessen Auftrag an einen Dritten) beginnt (§ 3 Abs. 6 Satz 1 UStG). Wird der Gegenstand nicht befördert oder versendet, wird die Lieferung dort ausgeführt, wo sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet (§ 3 Abs. 7 Satz 1 UStG). Da § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG eine Beförderung oder Versendung "an den Abnehmer" verlangt, muss dieser im Zeitpunkt der Versendung feststehen.
An dieser Voraussetzung (feststehender Abnehmer) fehlt es hier. Der Ort der Lieferungen befand sich somit am Ort des Konsignationslagers. Denn bei der Versendung an G stand der Abnehmer noch nicht fest. Erst mit der Entnahme der Waren aus dem Konsignationslager war sicher, dass G die Gegenstände behalten werde und bereit war, dafür den Kaufpreis zu entrichten. Nach den zwischen L und G getroffenen Regelungen wurde ein verbindlicher Kaufvertrag erst nach der Einlagerung der Waren geschlossen. Denn G war nicht von vornherein dazu verpflichtet, die von L in das Lager verbrachten Waren abzunehmen. G war auch erst nach der Entnahme der Waren aus dem Lager zur Zahlung verpflichtet. Die Einlagerung in das Konsignationslager des G führte daher – anders als in dem Parallelfall des Urteils v. 20.10.2016, V R 31/15, BFH/NV 2017, 411 – nicht lediglich zu einer nur kurzen Unterbrechung der begonnenen Versendung an den bereits feststehenden Abnehmer. Der BFH bestätigte daher das FG-Urteil.
Hinweis: Abweichende Verwaltungspraxis
In Übereinstimmung mit der EuGH-Rechtsprechung stellt der BFH für eine Versendungs- oder Beförderungslieferung darauf ab, ob ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen Lieferung und Beförderung sowie ein kontinuierlicher Ablauf des Vorgangs besteht (BFH-Urteil v. 20.10.2016, V R 31/15, BFH/NV 2017, 411). Dieser Ablauf wird durch eine nur vorübergehende Einlagerung nicht beeinträchtigt. Die entsprechende Erwerbsbesteuerung ist vom Abnehmer durchzuführen. Der BFH widerspricht damit der Verwaltungsanweisung in Abschn. 1a.2 Abs. 6 Satz 1 UStAE (ebenso OFD Frankfurt a.M. v. 15.12.2015, DStR 2016, 1032). Nach der Verwaltungsauffassung liegt beim Verbringen in ein Auslieferungs- oder Konsignationslager eine nicht nur vorübergehende Verwendung und damit ein innergemeinschaftliches Verbringen mit anschließender Inlandslieferung vor. Im vorliegenden Fall ging es jedoch nicht um eine Unterbrechung der Versendung, sondern darum, ob der der Abnehmer feststand. Das war deshalb zu verneinen, weil – anders als in dem Urteil in BFH/NV 2017, 411 – G nicht bereits bei der Einlagerung fest verpflichtet war, die eingelagerten Waren abzunehmen. Der Kaufvertrag kam erst nach der Einlagerung zustande. In der Praxis dürften sich bei der Vertragsauslegung hinsichtlich der ausreichenden Festlegung des Abnehmers Schwierigkeiten ergeben. In dem Urteilsfall BFH/NV 2017, 411, wurden diese Probleme durch eine tatsächliche Verständigung ausgeklammert.
BFH, Urteil v. 16.11.2016, V R 1/16, veröffentlicht am 5.4.2017
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