Rechtsprechungsänderung zur sog. Sperrwirkung nach Art. 9 Abs. 1 OECD-MustAbk
Hintergrund: Ausbuchung eines unbesicherten Konzerndarlehens
Die X-GmbH ist Organträgerin der inländischen A-GmbH. Diese führte für ihre belgische Tochtergesellschaft (B N.V.) ein nicht besichertes Verrechnungskonto. Nachdem die B N.V. in Schiefläge geraten war, verzichtete die A-GmbH auf die Forderung aus dem Verrechnungskonto und buchte diese gewinnmindernd aus. Unter Hinweis auf die fehlende Besicherung der Forderung und die Fremdvergleichsgrundsätze neutralisierte das FA diese Teilwertabschreibung durch eine außerbilanzielle Hinzurechnung nach § 1 Abs. 1 AStG.
Frühere BFH-Auffassung: Sperrwirkung nach Art. 9 Abs. 1 OECD-MustAbk
Das FG berief sich auf die bisherige BFH-Rechtsprechung und gab der Klage statt. Es ging mit der früheren Auffassung des BFH davon aus, Art. 9 Abs. 1 OECD-MustAbk entfalte eine Sperrwirkung gegenüber § 1 Abs. 1 AStG in dem Sinne, dass der Korrekturbereich des § 1 Abs. 1 AStG auf Preisberichtigungen beschränkt sei und die Neutralisation der gewinnmindernden Ausbuchung einer Darlehensforderung oder eine Teilwertabschreibung ausgeschlossen sei. Die Frage der Fremdüblichkeit sei allein am Maßstab der vereinbarten Zinssätze zu beurteilen (BFH vom 17.12.2014 - I R 23/13, BStBl II 2016, 261, und vom 24.06.2015 - I R 29/14, BStBl II 2016, 258).
Entscheidung: Abkehr von der Sperrwirkungs-Rechtsprechung
An dieser Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 1 Abs. 1 AStG durch Art. 9 Abs. 1 OECD-MustAbk hält der BFH nicht mehr fest. Die Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG wird durch Art. 9 Abs. 1 OECD-MustAbk (hier: Art. 9 DBA Belgien) nicht ausgeschlossen. Mit der fehlenden Besicherung des Darlehens liegen vom Fremdüblichen abweichende "Bedingungen" i.S. des MustAbk vor. Entgegen der bisherigen Auffassung kann das Merkmal der Bedingung nicht auf den vereinbarten Zinssatz beschränkt werden. Dafür sprechen nicht nur der Wortlaut, sondern auch Sinn und Zweck des Art. 9 OECD-MustAbk. Die Regelung zielt auf die Einkünfteabgrenzung bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen am Maßstab des vom Territorialitäts- und Veranlassungsprinzip getragenen Fremdvergleichs. Sie will zudem die gleichen Wettbewerbsbedingungen zwischen unabhängigen und verbundenen Unternehmen sicherstellen.
Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht
Diese Einkünftekorrektur nach § 1 AStG widerspricht auch nicht dem Unionsrecht. Die Regelung stellt eine gerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zur Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsgrundlagen zwischen den Mitgliedsstaaten dar.
Hinweis: Nichtanwendungserlass gegen die – jetzt überholte - frühere BFH-Auffassung
Das BMF hatte auf die Urteile zur Sperrwirkung nach Art. 9 Abs. 1 OECD-MustAbk (BFH vom 17.12.2014 - I R 23/13, BStBl II 2016, 261, und vom 24.06.2015 - I R 29/14, BStBl II 2016, 258) mit einem Nichtanwendungserlass reagiert (BMF v. 30.3.2016, BStBl I 2016, 455), da die Vorschrift eine Gewinnberichtigung und nicht ein Preisberichtigung zum Gegenstand habe. Die jetzt revidierte BFH-Auffassung hat erhebliche Auswirkungen auf die Finanzierung ausländischer Tochtergesellschaften durch inländische Gesellschafter. In einer Pressemitteilung v. 27.2.2019 weist der BFH darauf hin, dass die neuen Grundsätze demnächst in einer Reihe weiterer Fälle konkretisiert werden. Entsprechende Fälle sollten daher offen gehalten werden.
Indizielle Würdigung der Fremdvergleichs-Kriterien
Ergänzend verweist der BFH auf den allgemeinen Grundsatz, dass die einzelnen Kriterien des Fremdvergleichs im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu würdigen sind. Einzelnen Kriterien kann daher nicht die Bedeutung unverzichtbarer Tatbestandsvoraussetzungen beigemessen werden. Diese sind vielmehr lediglich als Indizien zu würdigen (z.B. BFH vom 16.10.2014 - IV R 15/11, BStBl II 2015, 267).
BFH Urteil vom 27.02.2019 - I R 73/16 (veröffentlicht am 15.05.2019)
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