Die wichtigsten BFH-Entscheidungen 2020 im Überblick
1. Aufwendungen für ein Erststudium sind keine Werbungskosten
Im Gegensatz zu den Aufwendungen für ein Erststudium (hier: Bachelor) sind die Aufwendungen für ein Master-Studium als Werbungskosten abziehbar.
Nach § 9 Abs. 6 EStG sind Aufwendungen für die Berufsausbildung oder für ein Studium nur dann Werbungskosten, wenn zuvor bereits eine Erstausbildung (Berufsausbildung oder Studium) abgeschlossen wurde (oder wenn die Berufsausbildung oder das Studium im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet). Da mit dem Abitur noch kein berufsqualifizierender Abschluss erreicht wird, stellt das anschließende Bachelor-Studium eine – nicht zu Werbungskosten führende – Erstausbildung i.S. des § 9 Abs. 6 EStG dar.
Der BFH weist besonders darauf hin, dass die Auslegung der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendeten Tatbestandsmerkmale "erstmalige Berufsausbildung" und "Erststudium" im Kindergeldrecht für die Auslegung des § 9 Abs. 6 EStG nicht von Bedeutung ist (dazu BFH Urteil vom 11.12.2018 - III R 26/18, und vom 22.05.2019 - III R 69/18, betr. mehraktige Ausbildung). Es wird daher häufig die Konstellation vorkommen, dass ein Master-Student
- für das Kindergeld (bis zum 25. Lebensjahr) weiter zu berücksichtigen ist, da die konkrete Berufsausbildung noch nicht abgeschlossen ist,
- und die Kosten des Master-Studiums als vorab entstandene WK geltend machen kann, da er mit dem Bachelor bereits eine Erstausbildung abgeschlossen hat.
Nach Ergehen der BVerfG-Entscheidung (BVerfG vom 19.11.2019 - 2 BvL 22-27/14, BFH/NV 2020 S. 334) wurden die zahlreichen beim BFH anhängigen Revisionen in Parallelfällen auf entsprechenden Hinweis des BFH zurückgenommen und durch Einstellungsbeschluss beendet.
BFH Urteil vom 12.02.2020 - VI R 17/20, veröffentlicht am 23.7.2020
S. hierzu auch die News: "Aufwendungen für ein Erststudium sind keine Werbungskosten"
2. Kaufpreisaufteilung bei Erwerb einer vermieteten Eigentumswohnung
Die Excel-Arbeitshilfe des BMF zur Aufteilung eines Gesamtkaufpreises gewährleistet nicht die Aufteilung nach den realen Verkehrswerten. Das FG ist daher in der Regel gehalten, das Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen einzuholen, wenn es nicht ausnahmsweise selbst über die nötige Sachkunde verfügt.
Der BFH betont, dass der BMF-Arbeitshilfe keine Bindungswirkung zukommt. Es handelt sich weder um eine Rechtsnorm noch um eine die Finanzbehörden bindende Verwaltungsanweisung, sondern (prozessrechtlich) lediglich um Parteivortrag des Finanzamts. Die BMF-Arbeitshilfe folgt zwar insoweit der BFH-Rechtsprechung, als sie den Wert des Grund und Bodens sowie den Wert des Gebäudes getrennt ermittelt (Einzelbewertung). Bei dem auf dem Sachwertverfahren beruhenden systemischen Fehler der BMF-Arbeitshilfe handelt es sich jedoch nicht lediglich um Unwägbarkeiten im Rahmen der Schätzung. Denn eine Schätzung ist nur dann zu beachten, wenn sich ihre Grundlagen als nachvollziehbar und überzeugend darstellen. Gerade das ist jedoch wegen der systemischen Defizite der Kaufpreisaufteilung im vereinfachten Verfahren der Finanzverwaltung nicht der Fall.
BFH Urteil vom 21.07.2020 - IX R 26/19 (veröffentlicht am 26.11.2020)
S. hierzu auch die News: "Kaufpreisaufteilung bei Erwerb einer vermieteten Eigentumswohnung"
3. EuGH-Vorlage zur Organschaft
Der BFH hat dem EuGH mehrere Fragen im Zusammenhang mit einer umsatzsteuerlichen Organschaft zur Vorabentscheidung vorgelegt. Bei Bejahung dieser Fragen durch den EuGH drohen dem deutschen Fiskus Steuerausfälle in 3-stelliger Milliardenhöhe und Beratern, die betroffene Veranlagungen nicht rechtzeitig offen halten, erhebliche Regressforderungen.
Um diese zwei Fragen geht es im Kern:
- Ist nach EU-Recht nicht der "Organträger", sondern die im deutschen Recht bislang unbekannte "Mehrwertsteuergruppe" als Steuerschuldner der Organschaftsumsätze anzusehen?
- Verhindert eine einschränkende Auslegung des EuGH-Urteils VNLTO die Entnahmebesteuerung bei hoheitlicher und ideeller Verwendung?
BFH Beschluss vom 07.05.2020 - V R 40/19 (veröffentlicht am 18.06.2020)
S. hierzu auch die News: "EuGH-Vorlage zur Organschaft"
4. Keine gesonderte Feststellung der Einkünfte von Ehegatten aus einer Photovoltaikanlage
Betreiben zusammen veranlagte Ehegatten in GbR eine Photovoltaikanlage auf ihrem eigengenutzten Wohnhaus, hat eine gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen regelmäßig zu unterbleiben.
Nach § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO sind die Einkünfte nicht gesondert festzustellen, wenn es sich um einen Fall von geringer Bedeutung handelt. Das liegt insbesondere vor, wenn die Höhe des festgestellten Betrags und die Aufteilung feststehen. Die Regelung dient der Verwaltungsvereinfachung, ohne dass eine einheitliche Rechtsanwendung gefährdet ist. Eine geringe Bedeutung ist daher zu bejahen, wenn die Gefahr divergierender Entscheidungen gegenüber den einzelnen Feststellungsbeteiligten nahezu ausgeschlossen ist.
Im Streitfall lag nach dem Urteil des BFH ein Fall von geringer Bedeutung vor. Denn über die Art, die Höhe und die (hälftige) Aufteilung der Einkünfte besteht zwischen den Eheleuten kein Streit und das Finanzamt ist nicht nur für die ESt-Veranlagung zuständig (Wohnsitz-FA), sondern wäre auch für die Gewinnfeststellung der GbR zuständig (Betriebs-FA), wenn eine solche durchzuführen wäre. Eine Gewinnfeststellung war daher nicht durchzuführen.
BFH Urteil vom 06.02.2020 - IV R 6/17 (veröffentlicht am 02.07.2020)
S. hierzu auch die News: "Keine gesonderte Feststellung der Einkünfte von Ehegatten aus einer Photovoltaikanlage"
5. Keine Unternehmereigenschaft von Aufsichtsratsmitgliedern mit Festvergütung
Trägt das Mitglied eines Aufsichtsrats aufgrund einer nicht variablen Festvergütung kein Vergütungsrisiko, ist es nicht als Unternehmer tätig.
Der BFH hat bisher die Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied einer AG als Arbeitnehmervertreter gegen Zahlung einer Aufsichtsratsvergütung als selbstständige Tätigkeit eines Unternehmers angesehen, ohne dabei nach der weiteren Ausgestaltung oder den Begleitumständen dieser Tätigkeit zu unterscheiden.
Nach dem EuGH-Urteil "IO" vom 13.06.2019 - C-420/18 übt ein Aufsichtsratsmitglied allerdings keine selbstständige Tätigkeit aus, auch wenn es dem Vorstand oder Aufsichtsrat hierarchisch nicht untergeordnet ist, aber nicht in eigenem Namen, für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung, sondern für Rechnung und unter Verantwortung des Aufsichtsrats handelt und dabei wegen einer Festvergütung auch nicht das wirtschaftliche Risiko seiner Tätigkeit trägt. Der BFH schließt sich der EuGH-Auffassung für den Fall an, dass das Aufsichtsratsmitglied kein wirtschaftliches Risiko trägt.
BFH Urteil vom 27.11.2019 - V R 23/19 (V R 62/17) (veröffentlicht am 06.02.2020)
S. hierzu auch die News: "Keine Unternehmereigenschaft von Aufsichtsratsmitgliedern mit Festvergütung"
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