Drittwirkung der Steuerfestsetzung bei Organschaft
Hintergrund: Festsetzungsverjährte USt-Festsetzungen der Organgesellschaften
Zu entscheiden war, ob die USt-Festsetzungen aufgrund umsatzsteuerlicher Organschaft mit mehreren Personengesellschaften, deren USt-Festsetzungen bereits unanfechtbar sind, noch geändert werden können.
Der Architekt A war im Streitzeitraum (2008, 2009) Geschäftsführer und Alleingesellschafter zweier GmbHs (Planungs-GmbH, Projekt-GmbH). Unstreitig lag zwischen A als Organträger und den GmbHs als Organgesellschaften eine umsatzsteuerliche Organschaft vor.
A war außerdem an drei KGs als einziger Kommanditist sowie Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Komplementär-GmbH beteiligt. Zwischen dem Unternehmen des A (einschließlich der zum Organkreis gehörenden zwei GmbHs) und den drei KGs wurden Leistungen gegen Entgelt ausgetauscht.
Die USt-Festsetzungen gegenüber den drei KGs wurden jeweils formell und materiell bestandskräftig. Sie wiesen z.T. Vorsteuererstattungen aus.
In 2013 beantragte A die Änderung seiner USt-Festsetzungen 2008 und 2009, da er (aufgrund der in 2015/2016 geänderten BFH-Rechtsprechung) auch Organträger der drei KGs gewesen sei (BFH v. 2.12.2015, V R 25/13, BStBl II 2017, 247, und v. 19.1.2016, XI R 38/12, BStBl II 2017, 567). Das FA lehnte dies in 2017 mit der Begründung ab, eine Änderung zugunsten des A sei nur möglich, wenn die Steuerfestsetzungen bei den KGs noch änderbar seien. Dies sei aber nicht der Fall, da für alle drei KGs spätestens mit Ablauf des 31.12.2016 Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Daher komme auch eine Hinzuziehung zum Verfahren nach § 174 Abs. 5 AO nicht mehr in Betracht.
Das FG widersprach der Auffassung des FA und gab der Klage statt. Auf eine Abänderbarkeit der gegenüber den KGs ergangenen Steuerfestsetzungen komme es nicht an.
Entscheidung; Drittwirkung der gegen eine Organgesellschaft ergangenen Steuerfestsetzung
Der BFH hob das FG-Urteil auf. Das FG hat die Drittwirkung der gegenüber den KGs ergangenen Steuerfestsetzungen (Vergütungsbescheide) nach § 166 AO im Verhältnis zum Organträger (A) nicht beachtet. Die Auffassung des FG ist daher nur für die nicht steuerbaren Innenumsätze zutreffend.
Drittwirkung auch bei rechtswidriger Steuerfestsetzung
Nach der geänderten Rechtsprechung handelt es sich bei den drei KGs um Organgesellschaften. Mit Tochterpersonengesellschaften kann eine Organschaft i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG bestehen (BFH v. 2.12.2015, V R 25/13, BStBl II 2017, 247, und v. 19.1.2016, XI R 38/12, BStBl II 2017, 567). Auch wenn deshalb nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG gegenüber den KGs als Organgesellschaften keine Steuerfestsetzungen hätten ergehen dürfen bzw. diese rechtswidrig sind, entfalten sie gleichwohl Wirksamkeit (§ 124 Abs. 2 AO) und ergeben eine Drittwirkung i.S.v. § 166 AO gegenüber dem Organträger. Aus dieser Drittwirkung folgt, dass die Berücksichtigung der KGs als Organgesellschaften beim Organträger ausgeschlossen ist.
Keine Berufung auf Treu und Glauben
Es verstößt gegen Treu und Glauben ("venire contra factum proprium"), wenn der Steuerpflichtige aufgrund einer Rechtsprechungsänderung eine Erweiterung seiner bisherigen Rechtsstellung erreichen will, ohne die sich aus der neuen Rechtsprechung ergebenden negativen Folgen hinzunehmen. Das gilt ebenso im Verhältnis von Organträger und Organgesellschaft. Waren ein Einzelunternehmer und eine KG nach bisheriger Rechtsprechung gesonderte Steuerpflichtige, während der Einzelunternehmer nach der geänderten Rechtsprechung Organträger der KG als Organgesellschaft ist, ist es mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar, dass bei dem einen Unternehmensteil (hier: Organträger) die bislang für den anderen Unternehmensteil (hier: KG) festgesetzte Steuervergütung berücksichtigt wird, während eine korrespondierende Änderung der Steuerfestsetzung beim anderen Unternehmensteil (hier: KG) am Vertrauensschutz in die bisherige Rechtsprechung (§ 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO) scheitern soll.
Nichtbesteuerung der Innenleistungen
Aufgrund der Drittwirkung steht zwar fest, dass A als Organträger keinen Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen geltend machen kann, die über die KGs als Organgesellschaften von Dritten bezogen wurden. Jedoch bleibt das Recht des Organträgers, die Nichtbesteuerung von Innenleistungen geltend zu machen, die er an die Organgesellschaft erbracht hat, unberührt. A ist nicht gehindert, im Verfahren der ihm gegenüber ergangenen Steuerfestsetzungen geltend zu machen, dass eine Organschaft vorliegt und er Umsätze, die aufgrund der Organschaft als nicht steuerbare Innenumsätze anzusehen sind, zu Unrecht versteuert hat. Denn die Bindungswirkung des § 166 AO zu Lasten des A bezieht sich nur auf die Besteuerungsgrundlagen, die Gegenstand der unanfechtbar gegenüber den KGs ergangenen Steuerfestsetzungen sind, nicht aber auf die Umsätze, die Gegenstand der gegenüber A ergangenen Festsetzungen sind (die von den Organ-GmbHs an die KGs erbrachten Ausgangsleistungen).
Zurückverweisung
Der BFH verwies den Fall an das FG zurück. Dieses hat den Umfang der nicht steuerbaren Innenumsätze festzustellen.
Hinweis: Anwendung der neuen Rechtsprechungsgrundsätze
Nach der Übergangsregelung (BMF v. 26.5.2017, BStBl I 2017, 790, Rz 5 Satz 4) soll die Berufung auf die geänderte Rechtsprechung zur Personengesellschaft als Organgesellschaft (BFH v. 2.12.2015, V R 25/13, BStBl II 2017, 247, und v. 19.1.2016, XI R 38/12, BStBl II 2017, 567) nur unter der Voraussetzung akzeptiert werden, dass auch die USt-Festsetzungen der Organgesellschaft noch abänderbar sind. Diese Frage wurde vom FG mit dem Hinweis verneint, die Bedingung gegenläufiger Änderbarkeit sei kein Tatbestandsmerkmal des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG und das USt-Recht kenne im Bereich der Organschaft keine Korrespondenz. Ausgehend von der Drittwirkung nach § 166 AO konnte der BFH die Frage offen lassen.
BFH Urteil vom 26.08.2021 - V R 13/20 (veröffentlicht am 07.10.2021)
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