Ansprüche des Arbeitnehmers bei Einbehaltung von Sozialversicherungsbeiträgen
Hintergrund:
X war beim Land Sachsen-Anhalt als Lehrer angestellt. Das in der Vergangenheit angesparte Arbeitszeitkonto ließ er sich bei Rentenbeginn verzinslich auszahlen. Bis zum Auszahlungszeitpunkt stand ihm eine jährliche Verzinsung von 5 % zu. Im Rahmen der Gehaltsabrechnung für den Monat 2 unterwarf die Bezügestelle bei der OFD des Landes die auszuzahlenden Zinsen dem Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen. Hiergegen wandte sich X und klagte beim Arbeitsgericht (ArbG) auf Auszahlung der einbehaltenen Beträge. Das ArbG verwies das Verfahren an das FG.
Das FG gab der Klage mit der Begründung statt, X stehe gegen das Land ein Schadensersatzanspruch (nebst Verzugszinsen seit 1.1.2006) zu. Bei den Zinsen aus der Auszahlung des Arbeitszeitkontos handele es sich nicht um sozialversicherungspflichtiges Einkommen, sondern um die Gegenleistung für die Kapitalüberlassung. Eine Erstattung durch den Versicherungsträger scheide allerdings wegen zwischenzeitlicher Verjährung aus. X stehe jedoch ein Schadenersatzanspruch zu. Denn das Land habe es unterlassen, sich zu erkundigen, ob es sich bei den Zinsen um beitragspflichtiges Einkommen handele.
Entscheidung:
Der Arbeitgeber erfüllt mit der Abführung von Lohnbestandteilen (LSt, SolZ, Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung) an das FA bzw. die Einzugsstelle seine Zahlungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer. Legt der Arbeitgeber nachvollziehbar dar, dass er bestimmte Beträge (Steuern, Sozialversicherungsbeiträge) einbehalten und abgeführt habe, kann der Arbeitnehmer die nach seiner Auffassung unberechtigt einbehaltenen und abgeführten Beträge nicht mit einer Vergütungsklage gegen den Arbeitgeber geltend machen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn für den Arbeitgeber erkennbar war, dass eine Verpflichtung zum Abzug nicht bestand. Nur insoweit sind die ArbG zur Prüfung der Berechtigung der Abzüge (LSt, Sozialversicherungsbeiträge) befugt. Im Übrigen beschränken sich Die Rechte des Arbeitnehmers darauf, die LSt-Anmeldung anzufechten mit der Klagemöglichkeit zum FG. Die Rückerstattung zu Unrecht einbehaltener Sozialversicherungsbeiträge ist gegenüber dem Versicherungsträger geltend zu machen und kann mit der Klage beim Sozialgericht (SG) durchgesetzt werden (§ 26 SGB IV).
Der Arbeitgeber haftet allerdings gegenüber dem Arbeitnehmer auf Schadensersatz, wenn er bei der Einbehaltung und Abführung der LSt und Sozialversicherungsbeiträge schuldhaft seine Pflichten verletzt und dadurch Schäden des Arbeitnehmers verursacht, soweit dem Arbeitnehmer kein Verschulden zur Last gelegt werden kann. Bei unklarer Rechtslage hat sich der Arbeitgeber über eine Anrufungsauskunft beim Betriebsstättenfinanzamt entsprechend kundig zu machen (§ 42e EStG).
Hiervon ausgehend steht X der geltend gemachte Zahlungsanspruch nicht zu. Das Land hat mit dem Einbehalt und der Abführung der Sozialversicherungsbeiträge an die Einzugsstelle seine Zahlungspflicht gegenüber X erfüllt. Für das Land war aufgrund der ihm zum Zeitpunkt des Abzugs bekannten Umstände nicht eindeutig erkennbar, dass eine Verpflichtung zum Einbehalt und zur Abführung nicht bestand. Die Rechtslage war noch nicht geklärt. X war daher auf die ihm zur Verfügung stehende Möglichkeit beschränkt, die Beitragserstattung vom Versicherungsträger zu fordern und erforderlichenfalls durch Klage beim SG durchzusetzen.
X steht auch kein Schadensersatzanspruch gegen das Land zu. Ein Schadensersatzanspruch kann nicht darauf gestützt werden, dass sich das Land vor dem Einhalt der Sozialversicherungsbeiträge nicht bei der zuständigen Einzugsstelle über das Bestehen einer Beitragspflicht für die Zinsen erkundigt bzw. eine Entscheidung der Einzugsstelle beantragt habe. Außerdem ist eine Pflichtverletzung, die in einer Unterlassung besteht, für einen Schaden nur dann kausal, wenn pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des Schadens verhindert hätte. Es steht jedoch nicht fest, dass das Land den Einbehalt unterlassen hätte, wenn es bei der Einzugsstelle zuvor entsprechende Erkundigungen eingeholt hätte. Es kann deshalb offenbleiben, ob X dadurch gegen seine Pflicht, den Schaden abzuwenden oder zu mindern, verstoßen hat, dass er die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge nicht von der Einzugsstelle gefordert hat.
Der BFH hob daher auf die Revision des Landes das FG-Urteil auf und wies die Klage ab.
Hinweis:
Für die Praxis ist damit geklärt, dass der Arbeitnehmer die Erstattung von aus seiner Sicht zu Unrecht einbehaltenen und abgeführten Sozialversicherungsbeiträgen nur von der Einzugsstelle, nicht aber vom Arbeitgeber beanspruchen kann. Für die Klage ist nicht das FG, sondern das SG zuständig, da es sich um eine sozialrechtliche Fragestellung handelt, für die der Sozialrechtsweg eröffnet ist (§ 51 SGG). Das von X zunächst angerufene ArbG hatte jedoch das Verfahren an das FG verwiesen. An diese Verweisung war das FG gebunden (§ 17a Abs. 2 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG -). Der Verweisungsbeschluss ist für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, grundsätzlich auch dann bindend, wenn er sachlich fehlerhaft ist. Im Übrigen prüft der BFH als Revisionsgericht nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist (§ 17a Abs. 5 GVG).
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