Einkommensteuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten
Hintergrund: Abzug von latenten Steuerschulden des Erblassers
Zu entscheiden war u.a., ob von der Vollziehung ausgesetzte latente Steuerschulden des Erblassers als Nachlassverbindlichkeiten zu berücksichtigen sind.
Einkommensteuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten trotz Aussetzung der Vollziehung
Die Klägerin und ihre beiden Schwestern sind zu je 1/3 Erben ihres 2007 verstorbenen Vaters (Erblasser). Die Beigeladene ist die Witwe des Erblassers.
In ihrer Erbschaftsteuererklärung machten die Erbinnen u.a. Einkommensteuerschulden des Erblassers als Nachlassverbindlichkeiten geltend, und zwar in Höhe von 186.830,53 EUR für das Veranlagungsjahr 1996 und in Höhe von 6.417.618,57 EUR für das Veranlagungsjahr 1999. Die zugrunde liegenden Einkommensteuerbescheide wurden noch zu Lebzeiten vom Erblasser angefochten und insoweit antragsgemäß von der Vollziehung ausgesetzt. Sie sind noch nicht bestandskräftig.
Finanzamt und FG lehnen eine Berücksichtigung der Nachlassverbindlichkeiten ab
Das Finanzamt vertrat die Auffassung, die Einkommensteuerschulden für 1996 und für 1999 könnten nicht als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt werden. Wegen der Aussetzung der Vollziehung (AdV) hätten die Erben die Abgabenforderungen zum Stichtag nicht begleichen müssen. Es fehle insoweit an einer wirtschaftlichen Belastung. Dabei nahm das Finanzamt hinsichtlich der streitigen Einkommensteuerschulden des Erblassers einen Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 AO in den Steuerbescheid auf. Das FG schloss sich der Auffassung des Finanzamts an.
BFH gibt der Revision statt
Nach Ansicht des BFH sind die Einkommensteuerschulden entgegen der Auffassung des FG als Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG steuermindernd zu berücksichtigen, auch soweit die Vollziehung ausgesetzt ist.
Unerheblich ist, ob die Steuern beim Erbfall bereits festgesetzt waren oder nicht
Nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sind vom Erwerb des Erben die vom Erblasser herrührenden persönlichen Steuerschulden, die gem. § 1922 Abs. 1 BGB i.V.m. § 45 Abs. 1 AO auf den Erben übergegangen sind, als Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen. Dabei ist unerheblich, ob die Steuern beim Erbfall bereits festgesetzt waren oder nicht.
Steuerschulden müssen im Todeszeitpunkt eine wirtschaftliche Belastung darstellen
Der Abzug als Nachlassverbindlichkeiten setzt nicht nur voraus, dass die Steuerschulden im Zeitpunkt des Todes des Erblassers bereits entstanden waren oder - für die Einkommensteuer des Todesjahres - der Erblasser den Tatbestand, an den das Gesetz die Steuerpflicht knüpft, bereits verwirklicht hatte. Die Steuerschulden müssen darüber hinaus im Todeszeitpunkt eine wirtschaftliche Belastung dargestellt haben.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Finanzbehörden entstandene Steuern in der materiell-rechtlich zutreffenden Höhe festsetzen werden (§ 85 AO) und somit im Todeszeitpunkt die erforderliche wirtschaftliche Belastung mit der Steuerschuld gegeben ist. Dies gilt erst recht für im Bewertungsstichtag bereits durch Steuerbescheid festgesetzte Steuern. Diese belasten den Erblasser ebenso wie den Erben als dessen Gesamtrechtsnachfolger. Insoweit gilt etwas anderes als in dem Fall, in dem die Steuer im Todeszeitpunkt noch nicht gegenüber dem Erblasser festgesetzt war und auch später nicht gegen die Erben festgesetzt wird.
Einspruch und AdV lassen wirtschaftliche Belastung nicht entfallen
Die Einlegung eines Einspruchs durch den Erblasser zu dessen Lebzeiten führt nicht dazu, dass die wirtschaftliche Belastung durch die festgesetzte Steuer wegfällt. Will das für die Erbschaftsteuer zuständige Finanzamt eine niedrigere als die festgesetzte Steuer als Nachlassverbindlichkeit ansetzen, bedarf es dafür besonderer Gründe, die den sicheren Schluss zulassen, dass das für die Einkommensteuer zuständige Finanzamt die Steuer materiell-rechtlich unzutreffend festgesetzt hat und der zugrunde liegende Bescheid im Einspruchsverfahren aufgehoben oder geändert wird. Der bloße Verweis darauf, dass der Steuerbescheid mit dem Einspruch angefochten wurde und daher die materiell-rechtlich zutreffende Höhe noch nicht genau feststeht, reicht dafür nicht aus.
Dasselbe gilt für die Gewährung der AdV. Diese bewirkt für den Zeitraum ihrer Wirksamkeit nur, dass das für die Einkommensteuer zuständige Finanzamt entgegen § 361 Abs. 1 Satz 1 AO und § 69 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht aus dem angefochtenen Bescheid vollstrecken und die festgesetzte Steuer beitreiben kann. Der Steuerpflichtige bleibt gleichwohl in Höhe der festgesetzten Steuer belastet, er muss sie nur nicht während der Dauer der AdV entrichten. Beruht die AdV auf ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung (vgl. § 361 Abs. 2 Satz 2 AO, § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO), ändert das nichts an der wirtschaftlichen Belastung durch die festgesetzte Einkommensteuer. Die Gewährung der AdV begründet noch keinen sicheren Schluss, dass der Bescheid aufgehoben werden wird.
Vorläufige Steuerfestsetzung steht der Anerkennung der Steuerschulden nicht entgegen
Nach diesen Grundsätzen sind die gegen den Erblasser festgesetzten Einkommensteuern 1996 und 1999, auch soweit die Bescheide von der Vollziehung ausgesetzt sind, als Nachlassverbindlichkeiten steuermindernd zu berücksichtigen. Die im Hinblick auf die endgültige Festsetzung der Einkommensteuer vorläufige Festsetzung der Erbschaftsteuer steht der Anerkennung der Verbindlichkeiten nicht entgegen. Vielmehr ermöglicht die Vorläufigkeit dem Finanzamt, die Festsetzung der Erbschaftsteuer nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO entsprechend zu ändern, wenn die Einkommensteuerfestsetzung ganz oder teilweise aufgehoben wird.
BFH Urteil vom 14.11.2018 - II R 34/15 (veröffentlicht am 27.03.2019)
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