Ersetzung des Vorläufigkeitsvermerks durch einschränkenden Vorläufigkeitsvermerk
Hintergrund
Nachdem X im Rahmen einer Selbstanzeige ausländische Kapitalerträge mit geschätzten Werten nacherklärt hatte, änderte das FA die ESt-Bescheide (2001 - 2003) wegen neuer Tatsachen (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO). Es erklärte die Veranlagungen für vorläufig nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO (ungewisse Tatsachen betreffend Kapitalerträge) und nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 AO (Nichtberücksichtigung pauschaler Werbungskosten und Höhe des Grundfreibetrags; Bescheide vom März 2010). Auf den Hinweis des FA, dass die ESt hinsichtlich der vorläufig gestellten Punkte weiter offen sei, nahm X den dagegen eingelegten Einspruch zurück.
In den wegen eines Grundlagenbescheids erneut geänderten Bescheiden (vom August) führte das FA aus, die Bescheide seien nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO vorläufig und verwies auf die die im Änderungsbescheid aufgeführten Vorläufigkeitspunkte (pauschale Werbungskosten, Grundfreibetrag). Die Bescheide enthielten jedoch keinen Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO mehr und auch keinen Hinweis auf die Aufhebung des noch im ursprünglichen Änderungsbescheid (vom März) enthaltenen Vorläufigkeitsvermerks hinsichtlich des Ansatzes der Einkünfte aus Kapitalvermögen. Nach endgültiger Ermittlung der Kapitalerträge stellte A den Antrag auf Änderung der Bescheide zu seinen Gunsten. Das FA lehnte die Änderung mit dem Hinweis ab, die Bescheide seien in diesem Punkt nicht mehr vorläufig.
Das FG gab der dagegen erhobenen Klage statt und hob den Ablehnungsbescheid mit der Begründung auf, das FA sei zur Durchführung der beantragten Änderung verpflichtet, weil die Voraussetzungen des § 165 Abs. 2 Satz 2 AO (Beseitigung der Ungewissheit hinsichtlich der Kapitalerträge) vorlägen. Denn das FA habe den auf § 165 Abs. 1 Satz 1 AO gestützten Vorläufigkeitsvermerk (vom März) weder aufgehoben noch sei dieser durch den allein auf § 165 Abs. 1 Satz 2 AO gestützten Vorläufigkeitsvermerk (vom August) ersetzt worden. Es lägen zwei voneinander zu unterscheidende Vorläufigkeitsvermerke vor.
Entscheidung
Hat das FA die Steuer - wie im Streitfall mit den Bescheiden vom März - unter Bezugnahme auf Gründe i. S. d. § 165 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AO vorläufig festgesetzt, so bleibt der Vorläufigkeitsvermerk bis zu seiner ausdrücklichen Aufhebung wirksam. Eine stillschweigende Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks durch eine Änderungsveranlagung, auch wenn sie auf eine (andere) Korrekturvorschrift gestützt ist, ist ausgeschlossen. Keine solche - stillschweigende - Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks, sondern dessen inhaltlich neue Bestimmung ist gegeben, wenn dem Änderungsbescheid im Verhältnis zum Ursprungsbescheid ein inhaltlich eingeschränkter Vorläufigkeitsvermerk beigefügt wird. Der in einem Änderungsbescheid (vom August) enthaltene - geänderte - Vorläufigkeitsvermerk ist grundsätzlich so zu verstehen, dass der Umfang der Vorläufigkeit gegenüber dem ursprünglichen Bescheid (vom März) geändert und nun im Änderungsbescheid abschließend umschrieben worden ist. Dies gilt auch, wenn - wie hier - ein sowohl auf § 165 Abs. 1 Satz 1 AO als auch auf Satz 2 gestützter Vorläufigkeitsvermerk im geänderten Bescheid durch einen allein auf § 165 Abs. 1 Satz 2 AO gestützten Vorläufigkeitsvermerk ersetzt wird.
Dementsprechend sind die Änderungsbescheide vom August nicht mehr änderbar, da sie hinsichtlich der Höhe der Kapitaleinkünfte keinen Vorläufigkeitsvermerk i.S.d. § 165 Abs. 1 Satz 1 AO mehr enthielten. Das ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut der Neufassung in den Bescheiden vom August. Dafür, dass das FA die Vorläufigkeit abweichend von dem abschließend formulierten Vermerk (Hinweis lediglich zum Vorläufigkeitskatalog nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 AO) auf andere Tatbestände (ungewisse Tatschen i.S.d. § 165 Abs. 1 AO) erstreckt wissen wollte, ergeben sich keine Anhaltspunkte.
Der BFH hob daher das stattgebende FG-Urteil auf und wies die Klage ab.
Hinweis
Der BFH bekräftigt somit, dass ein Vorläufigkeitsvermerk bis zu seiner ausdrücklichen Aufhebung wirksam bleibt. Er bleibt auch trotz einer nachfolgenden Änderungsveranlagung unverändert bestehen, und zwar auch dann, wenn die Änderungsveranlagung auf eine (andere) Korrekturvorschrift gestützt wird. Eine stillschweigende Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks ist ausgeschlossen.
Wird die Vorläufigkeit in einem Änderungsbescheid im Verhältnis zum Ursprungsbescheid inhaltlich eingeschränkt und damit neu bestimmt, muss der Bescheidadressat den geänderten Vorläufigkeitsvermerk so verstehen, dass der Umfang der Vorläufigkeit gegenüber dem ursprünglichen Bescheid geändert und abschließend neu umschrieben worden ist. Soll die Vorläufigkeit in dem ursprünglichen Umfang erhalten bleiben, muss daher der Änderungsbescheid, der die Vorläufigkeit einschränkend neu bestimmt, angefochten werden.
BFH, Urteil v. 14.7.2015, VIII R 21/13, veröffentlicht am 11.5.2016
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