Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer
Hintergrund
Eheleute hatten gegen den ESt-Bescheid 2007 im März 2010 Klage beim FG Berlin-Brandenburg erhoben. Über diese Klage entschied das FG erst mit Urteil vom Mai 2013, also nach rund 38 Monaten. Zugrunde lag der Streit darüber, ob eine Zahlung, die die Ehefrau als Angestellte der X-GmbH von deren alleiniger Gesellschafterin (Y-GmbH) erhalten hatte, als Arbeitslohn zu erfassen ist. Die Eheleute vertraten die Auffassung, es handele sich um eine nicht der ESt unterliegende Schenkung.
Im April 2011 erklärten die Eheleute gegenüber dem FG, die im Oktober 2010 gewährte Akteneinsicht habe keine neuen Erkenntnisse gebracht, und baten um Terminierung. Darauf teilte der Berichterstatter des FG mit, eine Terminierung sei nicht absehbar, da der Senat schwerpunktmäßig Fälle aus 2006/2007 bearbeite. Das FG wurde zunächst nicht weiter tätig. Auf eine Verzögerungsrüge vom Dezember 2011 erläuterte der Vorsitzende, wegen der Geschäftslage sei in absehbarer Zeit nicht mit einer Terminierung zurechnen. Im Oktober 2012 und April 2013 erhoben die Eheleute erneut Verzögerungsrügen. Im April 2013 lud das FG sodann zur mündlichen Verhandlung im Mai 2013 und wies die Klage ab.
Die Eheleute erhoben daraufhin Entschädigungsklage gegen das Land Brandenburg. Die Sache sei bereits mit der Klageerhebung (März 2010), spätestens aber mit dem Schriftsatz vom April 2011 entscheidungsreif gewesen. Der Sachverhalt sei unstreitig gewesen und die Rechtsfrage habe sich darauf beschränkt, ob die Zahlung als Schenkung oder als Arbeitslohn anzusehen sei. Das FG hätte gut zwei Jahre nach Eingang der Klage mit der Bearbeitung beginnen müssen. Damit sei das Verfahren von März 2012 bis April 2013 als verzögert zu betrachten.
Entscheidung
Der Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens ist in § 155 FGO i.V. mit § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) geregelt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Zu den Grundsätzen einschließlich der Aufteilung des typischen finanzgerichtlichen Verfahrens verweist der BFH aus seine bisherige Rechtsprechung. Danach lassen sich die meisten FG-Klageverfahren in drei Phasen einteilen. Die Phase 1 besteht in der Einreichung und dem Austausch der Schriftsätze. Während der folgenden Phase 2 kann das Verfahren wegen der Arbeit des Senats an anderen Verfahren nicht bearbeitet werden. Mit Beginn der Phase 3 trifft das FG Maßnahmen, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen (z.B. Sachaufklärung, rechtliche Hinweise, in einfachen Fällen sofortige Ladung zur mündlichen Verhandlung). Bei einem Verfahren, das keine wesentlichen Besonderheiten aufweist, spricht eine Vermutung dafür, dass die Verfahrensdauer angemessen ist, wenn das FG gut zwei Jahre nach Klageeingang (Phase 1 und 2) mit Maßnahmen der Phase 3 beginnt, sofern diese letzte Phase nicht durch nennenswerte Zeiträume unterbrochen wird, in denen die Akte nicht bearbeitet wird (BFH v. 7.11.2013, X K 13/12, BStBl II 2014, 179).
Hiervon ausgehend liegt im Streitfall eine Verzögerung von 12 Monaten vor. Die Phase 1 war bereits im Oktober 2010 (Akteneinsicht), spätestens im April 2011 (Mitteilung von der Akteneinsicht) beendet, als die Sache "ausgeschrieben" war. Das FG hätte gut 2 Jahre nach Klageeingang (März 2010), somit im März 2012 mit der Bearbeitung des Verfahrens beginnen müssen. Das hat das FG versäumt. Erst mit der im April 2013 verfügten Ladung zur mündlichen Verhandlung hat das FG das Verfahren weiter betrieben. Demnach war (in vollen Monaten gerechnet) das Verfahren von April 2012 bis März 2013 und damit für insgesamt 12 Monate als verzögert anzusehen.
Für diese Verzögerung steht den Eheleuten eine Entschädigung zu. Allein der Umstand, dass objektiv möglicherweise ein Grund vorlag, das Verfahren zum Ruhen zu bringen, genügt nicht, bereits die Feststellung unangemessener Verfahrensdauer ausreichen zu lassen, wenn das FG das Ruhen des Verfahrens nicht angeregt hat. Jedem der Eheleute wurden daher 1.200 EUR Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer für einen Zeitraum von 12 Monaten zugesprochen.
Hinweis
Entschädigungsklagen kommen verhältnismäßig selten vor. Denn Voraussetzung dafür ist die Erhebung einer Verzögerungsrüge in dem Ausgangsverfahren vor dem FG oder vor dem BFH (§ 198 Abs. 3 GVG). Die Verzögerungsrüge soll und wird erfahrungsgemäß das Gericht zu einer Beschleunigung veranlassen, so dass es gar nicht zur Frage einer Entschädigung kommt. Zieht sich ein Verfahren unangemessen lange hin, kann auch an eine Dienstaufsichtsbeschwerde gedacht werden, die an den Präsidenten des Gerichts zu richten ist.
Die Entschädigung für einen materiellen Nachteil setzt die Kausalität zwischen Verfahrensdauer und Nachteil voraus. Der materielle Nachteil muss "angemessen" entschädigt werden, also nicht mit dem vollen Schadensersatz (§ 198 Abs. 1 GVG). Für einen immateriellen Nachteil kann eine Entschädigung in Geld nur beansprucht werden, wenn eine Wiedergutmachung auf andere Weise nicht ausreichend ist. Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Nur wenn diese Feststellung zur Wiedergutmachung nicht ausreicht, ist eine Entschädigung zu zahlen. Diese Beträgt 1.200 EUR für jedes Jahr der Verzögerung (§ 198 Abs. 2 GVG).
Zuständiges Gericht für Entschädigungsklagen in finanzgerichtlichen Verfahren ist der BFH. Die begehrte Entschädigung für immaterielle Nachteile muss im Klageantrag nicht beziffert werden. Die Größenordnung der geltend gemachten Entschädigung muss in der Klage jedoch zum Ausdruck kommen.
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