Umsatzschlüssel bei der Vorsteueraufteilung
Sachverhalt
Bei dem Verfahren ging es um die Auslegung von Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 173 Abs. 2 MwStSystRL) wegen der Höhe des Vorsteuerabzugs im Jahr 2004 für die Herstellung eines Gebäudes, das teils steuerpflichtig und teils steuerfrei vermietet wurde.
Unstreitig darf die Vorsteuer in einem solchen Fall nur anteilig in Abzug gebracht werden. Der BFH wollte jedoch wissen, ob der abziehbare Vorsteueranteil entsprechend dem Anteil der für steuerpflichtige Vermietung genutzten Fläche an der Gesamtfläche des Gebäudes bestimmt werden darf (Flächenschlüssel) oder ob das Unionsrecht eine Aufteilung nach den mit den jeweiligen Gebäudeteilen erzielten Umsätzen gebietet (Umsatzschlüssel) zwingend vorschreibt.
Die Klägerin errichtete in den Jahren 2003 und 2004 ein Wohn- und Geschäftsgebäude. Nach Fertigstellung des Gebäudes am Ende des Jahres 2004 vermietete sie die Geschäftsräume umsatzsteuerpflichtig und die Wohnungen steuerfrei. Für das Jahr 2004 war umstritten, wie der Umfang des Vorsteuerabzugs zu bestimmen ist, soweit die Herstellungskosten keinem Gebäudeteil - Geschäftsräumen bzw. Wohnungen - direkt zugeordnet werden können und damit für das Gebäude insgesamt bezogen wurden. Die Klägerin wollte diese Vorsteuer nach dem Umsatzschlüssel berechen, also einen Prozentsatz von ihrer Ausgangssteuer abziehen, der dem Verhältnis der steuerpflichtigen Vermietungsumsätze zu den gesamten Mietumsätzen des Gebäudes entsprach (54,07 %). Das Finanzamt war dagegen der Auffassung, dass ein Flächenschlüssel zugrunde zu legen war. Demnach sollte die Vorsteuer nur mit einem Prozentsatz abzugsfähig sein, der dem Verhältnis der Fläche der Geschäftsräume, die steuerpflichtig vermietet werden sollten, zur Gesamtfläche des Gebäudes entsprach (34,4 %).
Entscheidung
Der EuGH musste prüfen, ob Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 der 6. EG-Richtlinie die Mitgliedstaaten ermächtigt, für die Aufteilung des Rechts auf Vorsteuerabzug aus der Errichtung eines Gebäudes, das sowohl für vorsteuerunschädliche als auch vorsteuerschädliche Umätze verwendet wird, vorrangig einen anderen Aufteilungsmaßstab als den Umsatzschlüssel vorzuschreiben.
Insoweit hat der EuGH sich den Schlussanträgen des Generalanwalts angeschlossen. Zwar ist bei gemischten (teils steuerfreien, teils steuerpflichtigen) Umsätzen nach Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie der Vorsteueranspruch grundsätzlich auf der Basis eines Pro-rata-Satzes zu berechnen, der anhand von Art. 19 der Richtlinie (jetzt Art. 173 ff MwStSystRL) ermittelt wird. Jedoch lässt nach dem Urteil Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 der 6. EG-Richtlinie Abweichungen von der in Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 1 und 2 der Richtlinie vorgesehenen Regel zu, da er die Mitgliedstaaten ermächtigt, eine der anderen in Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 der 6. EG-Richtlinie aufgeführten Methoden zur Bestimmung des Rechts auf Vorsteuerabzug vorzusehen. Hierzu gehören die Festlegung eines besonderen Pro-rata-Satzes für jeden Tätigkeitsbereich, ein Vorsteuerabzug nach der Zuordnung der Gesamtheit oder eines Teils der Gegenstände und Dienstleistungen zu einer bestimmten Tätigkeit oder unter bestimmten Voraussetzungen sogar der Ausschluss des Rechts auf Vorsteuerabzug. Machen die Mitgliedstaaten davon Gebrauch, müssen sie allerdings die Grundsätze der steuerlichen Neutralität und der Verhältnismäßigkeit beachten.
Nach den weiteren Gründen schließen ein Pro-rata-Satz nach Art. 19 und eine alternative Aufteilungsmethode i. S. v. Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 der 6. EG-Richtlinie einander aus. Insgesamt verbietet es Art. 17 Abs. 5 der 6. EG-Richtlinie somit nicht, wenn der betreffende Mitgliedstaat bei gemischten Umsätzen eine andere Aufteilungsmethode oder einen anderen Aufteilungsschlüssel als die Umsatzmethode, namentlich die im Ausgangsverfahren streitige Flächenmethode, anwendet. Voraussetzung hierfür ist allerdings dass die gewählte Methode eine präzisere Bestimmung der Vorsteueraufteilung gewährleistet als die Umsatzmethode.
Praxishinweis
Das Urteil bestätigt einerseits die geltende deutsche Regelung, andererseits aber auch nicht. Nach § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG ist eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen (Pro-Rata-Regelung), nur zulässig, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist. Dies soll einer sachgerechten Aufteilung der Vorsteuern beim Bezug von Lieferungen oder sonstigen Leistungen dienen. Mit der Regelung wird die Verwendung des Umsatzschlüssels als alleiniger Aufteilungsmaßstab eingeschränkt. Nur dann, wenn keine andere wirtschaftliche Zuordnung möglich ist, ist der Umsatzschlüssel zugelassen. Diese ab 1.1.2004 geltende (mit dem Steueränderungsgesetz 2003 eingeführte) Regelung ist nach dem Nichtanwendungserlass des BMF (Schreiben v. 19.11.2002, BStBl 2002 I S.1368) auch eine gesetzliche Negierung des BFH-Urteils vom 17.08.2001 (V R 1/01, BStBl 2002 II S. 833). Der Gesetzgeber befürchtete, dass die Anwendung des Umsatzschlüssels als Regel-Aufteilungsmaßstab insbesondere bei der Herstellung von gemischt genutzten Gebäuden zu unzutreffenden Aufteilungsergebnissen führt und im Hinblick auf die nach § 15a UStG vorzunehmende Vorsteuerberichtigung bei einem sich ändernden Umsatzschlüssel auch nicht praktikabel sei. Der BFH hatte entschieden, dass die Aufteilung von Vorsteuerbeträgen nach dem Verhältnis der Ausgangsumsätze als sachgerechte Schätzung i.S.d. § 15 Abs. 4 UStG anzuerkennen ist.
Nach dem vorliegenden EuGH-Urteil ist es zwar zulässig, einen anderen Schlüssel als den Umsatzschlüssel zu wählen. Dieser muss aber „präziser“ sein als der Umsatzschlüssel, wobei der EuGH die Frage offen lässt, was er mit „präzise“ meint. Die deutsche Regelung geht vom umgekehrten Ansatz aus und hält eine alternative Aufteilungsmethode wie z.B. den Flächenschlüssel für grundsätzlich sachgerechter als den Umsatzschlüssel. Die deutsche Regelung wäre somit nur dann vollständig in Einklang mit dem EuGH-Urteil, wenn unterstellt werden könnte, dass die Vorsteueraufteilung nach wirtschaftlichen Kriterien prinzipiell sachgerechter, d.h. im Sinne einer gerechten und angemessenen Vorsteuerbelastung (oder im Sinne des EuGH „präziser“) ist als ein Umsatzschlüssel.
Klar ist nach dem Urteil, dass Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 der 6. EG-Richtlinie den Mitgliedstaaten eine eigenständige Option für die Einführung eines anderen Aufteilungsmaßstabs - hier des Flächenschlüssels - eröffnet. Das EuGH-Urteil ist wohl wie folgt zu verstehen: Insbesondere wenn dieser alternative Aufteilungsmaßstab zu präziseren Ergebnissen bezüglich des Verwendungszusammenhangs zwischen Eingangs- und Ausgangsumsätzen führt und damit letztlich dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität besser Rechnung trägt, als der pauschalierte Umsatzschlüssel, ist gegen die Anwendung dieses alternativen Aufteilungsschlüssel unionsrechtlich nichts einzuwenden. Das bedeutet, der Aufteilungsmaßstab muss verhindern, dass es zu ungerechtfertigten Vorsteueransprüchen kommt, sowohl aus Sicht des Unternehmers als auch aus Sicht der Finanzverwaltung. So wäre bei einer zur Hälfte steuerfreien und zur Hälfte steuerpflichtigen Vermietung eines Gebäudes ein Umsatzschlüssel „unpräzise“, wenn der sich daraus ergebende Vorsteuerabzug nicht in einem entsprechenden Verhältnis zu den Kosten, die auf die jeweiligen Vermietungsumsätze entfallen, stehen würde.
Welcher Aufteilungsmaßstab im Streitfall die präziseren Ergebnisse liefert, muss jetzt im Ausgangsverfahren (V R 19/09) der BFH klären.
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