EuGH-Vorlage zur Hinzurechnungsbesteuerung von Zwischeneinkünften
Hintergrund: Beteiligung an einer Schweizer AG
Die im Inland ansässige A-GmbH war zu 30 % an der Schweizer Y-AG beteiligt. In 2005 schloss die Y-AG mit der (inländischen) Z-GmbH eine Vereinbarung, mit der die Z-GmbH Forderungen (erfolgsorientierte Erlösbeteiligungen) an die Y-AG abtrat. Aus den abgetretenen Forderungen erzielte die Y-AG Einkünfte. Das FA unterwarf bei der Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs gegenüber der A-GmbH diese Einkünfte als Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter der Hinzurechnungsbesteuerung. Zum 1.1.2006 stellte das FA (für das Wirtschaftsjahr 2005) einen verbleibenden Verlustabzug für Verluste, die bei Einkünften entstanden sind, für die die ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, in Höhe von rund 100.000 EUR gesondert fest. Zum 1.1.2007 stellte das FA Einkünfte aus passivem Erwerb einer ausländischen Gesellschaft in Höhe von rund 550.000 EUR fest, die mit dem für das Vorjahr festgestellten Verlust verrechnet wurden. Das FG wies die dagegen gerichtete Klage ab. Die Revision der A-GmbH ist beim BFH anhängig.
Entscheidung: Motivtest für EU-/EWR-Fälle
Ausgehend vom deutschen Recht sind die aus dem Forderungsabtretungsvertrag resultierenden Einkünfte der Y-AG als Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter zu beurteilen. Denn es handelt sich um Einkünfte aus dem Halten und der Verwaltung von Forderungen (§ 7 Abs. 6a AStG), die Beteiligung der A-GmbH überstieg 1 % (§ 7 Abs. 6 Satz 1 AStG) und die Einkünfte der Y-AG unterlagen mit weniger als 25 % einer niedrigen Besteuerung (§ 8 Abs. 1 AStG). Der BFH sieht es jedoch als zweifelhaft an, ob die deutsche Rechtslage mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Zu der vergleichbaren britischen Rechtlage hat der EuGH entschieden, dass eine Hinzurechnungsbesteuerung nur dann mit der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG, jetzt Art. 49 AEUV) vereinbar ist, wenn der Steuerbürger die Besteuerung durch den Nachweis abwenden kann, dass es sich bei der Beteiligung an der Zwischengesellschaft nicht um eine rein künstliche Gestaltung handelt, die nur dazu dient, den höheren inländischen Steuersätzen zu entgehen (sog. Motivtest, EuGH-Urteil Cadbury Schweppes v. 12.9.2006, C-196/04, Haufe Index 1573384). Auf diese EuGH-Rechtsprechung wurde mit der Änderung des § 8 Abs. 2 AStG im deutschen Recht ab 2008 eine entsprechende Entlastungsmöglichkeit geschaffen.
Schutz der Kapitalverkehrsfreiheit
Dieser Motivtest gilt allerdings nur für Beteiligungen an Zwischengesellschaften in EU- und EWR-Staaten. Für Drittstaaten (hier: Schweiz) besteht keine entsprechende Entlastungsmöglichkeit. Die Niederlassungsfreiheit gilt für sie nicht. Jedoch ist zu prüfen, ob die Hinzurechnungsbesteuerung ohne die Möglichkeit eines Entlastungsbeweises gegen die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 Abs. 1 EG, jetzt Art. 63 AEUV) verstößt. Denn der Kapitalverkehr ist grundsätzlich auch zwischen den Mitgliedstaaten und Drittländern geschützt. Da es sich bei den Hinzurechnungsbeträgen um zum Zweck der Besteuerung fingierte Erträge der Beteiligung an ausländischen Gesellschaften handelt (Zurechnung ausländischer Einkünfte ohne vorherige Ausschüttung), die bei Inlandsbeteiligungen nicht vorgenommen wird, könnte der Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit grundsätzlich eröffnet sein. Nach der Auffassung des BFH wird die Kapitalverkehrsfreiheit im Streitfall nicht durch den Vorrang der Niederlassungsfreiheit verdrängt. Die Kapitalverkehrsfreiheit könnte jedoch durch die sog. Stand-Still-Klausel (Art. 64 Abs. 1 AEUV) ausgeschlossen sein. Danach berührt die Kapitalverkehrsfreiheit nicht die Anwendung der am 31.12.1993 bestehenden Beschränkungen auf Drittländer. Fraglich ist in diesem Zusammenhang auch, ob hier eine entsprechende Altregelung vorliegt, da die zum Stichtag bestehende Beschränkung kurzzeitig verändert wurde, aber in der Praxis nicht zur Anwendung kam.
Hinweis: Gleiche Problematik bei striktem Brexit
Der BFH betont, dass Art. 63 AEUV (Kapitalverkehrsfreiheit) auch den Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern schützt. Zu prüfen ist in diesem Zusammenhang auch, ob überhaupt eine tatbestandliche Beschränkung des Kapitalverkehrs vorliegt und ob diese möglicherweise durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt sein kann. Nach nationalem Recht (§ 8 Abs. 2 AStG) sind Zwischeneinkünfte von in Drittstaaten ansässigen Gesellschaften von der Nachweisregelung (Motivtest) ausgeschlossen. Von der Schweiz wurde zwar das EWR-Abkommen unterzeichnet, bis heute jedoch nicht ratifiziert. Sollte Großbritannien nach dem Austritt aus der EU (Brexit) auch den EWR-Status nicht erhalten und kein entsprechendes Abkommen gelingen, wäre nach deutschem Recht bei in den Bereich der Hinzurechnungsbesteuerung fallenden Beteiligungen an britischen Gesellschaften der Motivtest verwehrt.
BFH, Urteil v. 12.10.2016, I R 80/14, veröffentlicht am 15.3.2017
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