Finanzamt darf keine Umsatzsteuer von "Bauunternehmern" nachfordern
Das Reverse-Charge-Verfahren gem. § 13b UStG, also die Umkehr der Steuerschuldnerschaft, spielt international – insbesondere innerhalb Europas – wie auch zunehmend national eine sehr wichtige Rolle. In dem Online-Seminar „Umsatzsteuer: Reverse-Charge-Verfahren“ am 9.7.2015 erläutert Prof. Dr. Ralf Alefs den Stand der Rechtslage und geht dabei insbesondere anhand von praxisorientierten Fallbeispielen auch auf die aktuellen Änderungen ein.
Steuer wurde vom leistenden „Bauunternehmer“ nicht an das Finanzamt abgeführt
In dem Fall, der dem Beschluss des FG Berlin-Brandenburg vom 3.6.2015 (Az. 5 V 5026/15) zugrunde lag, hatte der Antragsteller im Jahr 2009 als „Bauunternehmer“ Bauleistungen an verschiedene Bauträger ausgeführt. Entsprechend der damaligen Verwaltungsauffassung gingen die Beteiligten davon aus, dass die Bauträger als Leistungsempfänger die Umsatzsteuer schulden, weshalb die Steuer vom leistenden „Bauunternehmer“ nicht an das Finanzamt abgeführt wurde. Aufgrund des BFH-Urteils vom 22.8.2013 (Az. V R 37/10) forderten die Bauträger die ihrerseits gegenüber dem Finanzamt angemeldete Umsatzsteuer zurück. Daraufhin setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer gegenüber dem leistenden „Bauunternehmer“ fest und berief sich dabei auf den im Jahr 2014 „neu geschaffenen“ § 27 Abs. 19 UStG.
Das FG hat dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des „Bauunternehmers“ stattgegeben; die Steuernachforderung des Finanzamts hat damit vorerst keinen Erfolg. Nach einer summarischen Prüfung ist das Finanzgericht der Ansicht, dass dem Antragsteller Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 AO gewährt werden müsse. Danach darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, einer obersten Bundes- oder Landesbehörde von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist. Weil Satz 2 des neuen § 27 Abs. 19 UStG diesen Vertrauensschutz ausdrücklich ausschließt, spricht nach Ansicht des Finanzgerichts viel dafür, dass insoweit eine unzulässige echte Rückwirkung vorliegt. Zumindest erscheint eine solche nicht ausgeschlossen, da der Gesetzgeber mit der neuen Vorschrift in die zum Zeitpunkt der Gesetzesverkündung bereits entstandene Umsatzsteuerschuld für 2009 nachträglich eingegriffen hat. Nach Ansicht des Gerichts droht dem Antragsteller auch ein erheblicher Vermögensschaden, weil er die Umsatzsteuer wegen der zivilrechtlichen Verjährung seinem jeweiligen Vertragspartner nicht nachträglich in Rechnung stellen kann.
Erstmalige Äußerung eines Finanzgerichts zum Vertrauensschutz
Soweit ersichtlich, hat sich nun erstmals – wenn auch nur im „vorläufigen Rechtsschutzverfahren“ – ein Finanzgericht zu der brisanten Frage des Vertrauensschutzes bzw. des Ausschlusses des Vertrauensschutzes geäußert. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG bestanden bereits bei Verabschiedung des Gesetzes. Da bislang nur die Pressemitteilung zu dem Beschluss vorliegt, ist noch nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, warum im vorliegenden Fall – wovon das Finanzgericht ausgeht – bereits zivilrechtliche Verjährung eingetreten sein soll und der „Bauunternehmer“ die Umsatzsteuer deshalb nicht mehr von seinen damaligen Vertragspartnern einfordern kann. Denn nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB beginnt die regelmäßige Verjährung nämlich grundsätzlich erst zum Schluss des Jahres, in dem der Gläubiger Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen erlangt hat oder hätte erlangen müssen. Ob die anspruchsrelevante Tatsache das BFH-Urteil vom 22.8.2013 (Az. V R 37/10) ist oder der Zeitpunkt, zu dem der Leistungserbringer davon Kenntnis erlangt, dass der Leistungsempfänger von seinem Finanzamt Rückerstattung der entrichteten „§ 13b-Umsatzsteuer“ fordert, ist wohl noch nicht geklärt.
Wie Sie wissen schuldet in bestimmten Fällen nicht der leistende Unternehmer, sondern ausnahmsweise der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer gegenüber dem Finanzamt. Diese Umkehr der Steuerschuldnerschaft (in Deutschland geregelt in eben jenem § 13b UStG) wird auch als Reverse-Charge-Verfahren bezeichnet. Mehr hierzu erfahren Sie in dem Online-Seminar am Donnerstag, den 9.7.2015 um 15 Uhr.
Entscheidend ist, dass ein Anspruch tatsächlich besteht
In der Praxis muss natürlich beachtet werden, dass die Finanzverwaltung bzw. der Gesetzgeber den nachträglich in Anspruch genommenen „Bauunternehmern“ insoweit eine Brücke bauen möchte, als die Steuerschuld unter bestimmten Voraussetzungen dadurch getilgt werden kann, dass der bauleistende Unternehmer dem Finanzamt dem ihn gegen den Leistungsempfänger (Bauträger) zustehenden Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer abtritt. Dies setzt freilich gerade voraus, dass ein solcher Anspruch tatsächlich besteht. In der Praxis zweifeln bereits einige Finanzämter an der Werthaltigkeit eines solchen Anspruchs.
Generell verstößt es schon sehr stark gegen jegliches Rechtsempfinden, wenn bauleistende Unternehmer im Vertrauen auf damals bestehende Verwaltungsanweisungen gezielt danach gehandelt haben und nun Jahre später in Anspruch genommen werden sollen. Da vorliegend um die Umsatzsteuer für das Jahr 2009 gestritten wird, lässt sich noch nicht sicher prognostizieren, ob das FG Berlin-Brandenburg Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 AO auch dann gewährt hätte, wenn Umsatzsteuer für Zeiträume nach Bekanntwerden des BFH-Urteils vom 22.8.2013 (Az. V R 37/10) nachgefordert worden wäre. Diesbezüglich wird vermehrt die Auffassung vertreten, dass § 176 Abs. 2 AO zwar für einzelne Voranmeldungszeiträume in 2013 gilt, nicht aber für die Umsatzsteuerjahreserklärung 2013, die zur erstmaligen Steuerfestsetzung für den gesamten Besteuerungszeitraum führt und somit erst nach Bekanntwerden des BFH-Urteils vom 22.8.2013 (Az. V R 37/10) erfolgt (ist).
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