Gewerbesteuerbefreiung für Altenheime und Pflegeeinrichtungen
Hintergrund: Zusatzeinnahmen eines mobilen Pflegediensts
Die Pflege-GmbH erbringt (entsprechend der Leistungskataloge der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen) Pflegeleistungen gegenüber kranken Personen (sog. mobile Hauskrankenpflege).
In 2009 erwarb Frau X (Anteilserwerberin) die Geschäftsanteile an der GmbH von Frau Y (Anteilsveräußerin). Zur Finanzierung der Übernahme nahm die GmbH in 2020 ein Bankdarlehen auf. Die GmbH vereinbarte mit X ebenfalls ein entsprechendes Darlehen. X stellte der finanzierenden Bank entsprechende Sicherheiten (Bürgschaft und Abtretung einer Lebensversicherung). Das Darlehen wurde in 2011 ausgezahlt und X bezahlte damit (anteilig) den Kaufpreis für die GmbH-Anteile an Y.
In den Streitjahren (2009 bis 2011) erzielte die GmbH (saldierte) Zinserträge. Zudem erhielt sie Provisionen (für die Vermittlung einer Vereinsmitgliedschaft in einem gemeinnützigen Verein und Vermittlung des Kaufs von Heilhilfsmitteln).
Das FA nahm eine partielle GewSt-Pflicht in Höhe der Zins- und Provisionserträge an, da die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 20 GewStG insoweit nicht greife. Das FG gab dagegen der von der GmbH erhobenen Klage statt. Die GmbH habe neben dem (begünstigten) Pflegebetrieb nicht einen weiteren (nicht begünstigten) Betrieb unterhalten.
Entscheidung: Keine Begünstigung der Darlehens- und Provisionserträge
Der BFH widerspricht dem FG. Die GmbH kann für die von ihr erzielten Gewinne aus Darlehens- und Provisionsgeschäften die Befreiungsvorschrift nicht in Anspruch nehmen.
Unterscheidung zwischen begünstigten und nicht begünstigten Tätigkeiten
Die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 20 Buchst. c und d GewStG ist keine persönliche Steuerbefreiung. Der Träger der benannten Einrichtungen wird nicht mit seinem gesamten Gewerbeertrag befreit. Begünstigt werden nur die aus dem Betrieb der Einrichtung resultierenden Erträge. Erzielt der Träger außerhalb der Einrichtung Erträge, unterliegen diese der GewSt (BFH v. 10.3.2010, I R 41/09, BStBl II 2011, 181, Rz 15). Für die Befreiung auch dieser Erträge ist kein Grund ersichtlich. Denn der Zweck der Steuerbefreiung liegt darin, die bestehenden Versorgungsstrukturen bei der Behandlung kranker und pflegebedürftiger Personen zu verbessern und die Sozialversicherungsträger von Aufwendungen zu entlasten (BFH v. 25.1.2017, I R 74/14, BStBl II 2017, 650, Rz 15). Daraus folgt, dass nur die Erträge begünstigt sein können, die aus dem Betrieb der jeweiligen Einrichtung selbst erzielt werden. Denn nur insoweit entstehen für die Sozialversicherungsträger Kosten. Eine Betätigung mit anderem Gegenstand ist dagegen nicht steuerbefreit. Anderenfalls wäre eine Kapitalgesellschaft allein schon deshalb von der GewSt befreit, weil sie auch ein Alten- oder Pflegeheim betreibt (BFH v. 22.6.2011, I R 43/10, BStBl II 2011, 892, Rz 16).
Keine Unterscheidung nach tätigkeitsbezogenen oder gegenständlichen Merkmalen
Entgegen der Auffassung des FG muss nicht entschieden werden, ob der steuerpflichtige vom steuerfreien Bereich gegenstands- oder tätigkeitsbezogen abzugrenzen ist. Denn der BFH versteht die beiden Begrifflichkeiten synonym (gleichbedeutend). Danach ist eine wirtschaftliche "Betätigung" mit anderem "Gegenstand" steuerpflichtig (BFH v. 22.6.2011, I R 43/10, BStBl II 2011, 892).
Die GewSt-Pflicht setzt keinen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb voraus
Der BFH widerspricht der Auffassung, dass eine begünstigte Einrichtung nur dann eine gewerbesteuerpflichtige Tätigkeit ausübt, wenn ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb vorliegt. Die gemeinnützigkeitsrechtliche Unterscheidung zwischen ideeller Sphäre und wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb lässt sich auf § 3 Nr. 20 GewStG nicht übertragen.
Die Überschreitung der privaten Vermögensverwaltung ist nicht erforderlich
Das Kriterium der Überschreitung des Rahmens der privaten Vermögensverwaltung berücksichtigt, dass den vermögensverwaltenden Tätigkeiten keine Wettbewerbsrelevanz zukommt (BFH v. 25.8.2020, I R 97/09, BFH/NV 2011, 312, Rz 22). Daraus folgt jedoch nicht umgekehrt, eine nicht vom Privilegierungszweck des § 3 Nr. 20 GewStG erfasste Tätigkeit sei als begünstigt anzusehen. Die Steuerpflicht setzt auch nicht das Erfordernis besonderer organisatorischer Vorkehrungen voraus. Denn auch gemischte Tätigkeiten werden in einen gewerbesteuerfreien und einen gewerbesteuerpflichtigen Teil aufgespalten, z.B. der Betrieb eines Blockheizkraftwerkes, das die geförderte Einrichtung versorgt, aber auch Wärme an Dritte abgibt (BFH v. 22.06.2011, I R 43/10, BStBl II 2011, 892, Rz 11).
Trennbarkeit der Erträge
Eine trennbare, partiell gewerbesteuerpflichtige Tätigkeit liegt bereits dann vor, wenn dieser Tätigkeit trennbare Erträge zugeordnet werden können. Das ist bei den Zins- und Provisionserträgen der GmbH der Fall. Diese resultieren aus einer Tätigkeit, die vom eigentlichen Betrieb der Einrichtung getrennt werden kann und vom Zweck der Steuerbefreiung nicht gedeckt ist. Die GmbH ist daher insoweit partiell gewerbesteuerpflichtig. Die Trennbarkeit der Tätigkeit ergibt sich daraus, dass der Tätigkeit trennbare Erträge zugeordnet werden können.
Hinweis: Zweck der Steuerbefreiung
Der BFH stellt klar, dass die Fragestellung irreführend ist, ob der steuerpflichtige vom steuerfreien Bereich gegenstands- oder tätigkeitsbezogen abzugrenzen ist, da die Begrifflichkeiten synonym sind. Ausgangspunkt muss der Zweck der Steuerbefreiung sein. Dieser liegt darin, die Versorgungsstrukturen zu verbessern und die Sozialversicherungsträger zu entlasten. Daraus lässt sich ableiten, dass nur die Erträge begünstigt sind, die aus dem Betrieb der jeweiligen Einrichtung selbst erzielt werden.
BFH Urteil vom 01.09.2021 - III R 20/19 (veröffentlicht am 25.11.2021)
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