Insolvenzbedingter Ausfall einer privaten Darlehensforderung
Hintergrund: Ausfall einer Darlehensforderung
X gewährte in 2010 einem Dritten ein verzinsliches Darlehen. Ab August 2011 erfolgten keine Rückzahlungen mehr. Über das Vermögen des Darlehensnehmers wurde im August 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet. X meldete seine noch offene Forderung zur Insolvenztabelle an. Im Oktober 2012 zeigte der Insolvenzverwalter gegenüber dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit an. Die Masseunzulänglichkeit dauerte während des Insolvenzverfahrens an und in 2016 wurde das Insolvenzverfahren mangels Masse eingestellt.
X machte für 2012 den Ausfall seiner Darlehensforderung vergeblich als Verlust bei seinen Einkünften aus Kapitalvermögen geltend.
Die dagegen erhobene Klage wies das FG mit der Begründung ab, Aufwendungen, die das Kapital eines Darlehens beträfen, würden von § 20 EStG nicht erfasst. Auf die Revision des X hob der BFH dieses Urteil mit dem Grundsatzurteil v. 24.10.2017. VIII R 13/15 (BStBl II 2020, 831) auf. Danach führt der endgültige Ausfall einer Kapitalforderung in der privaten Vermögenssphäre nach Einführung der Abgeltungsteuer zu einem steuerlich anzuerkennenden Verlust. Der BFH verwies die Sache an das FG zurück, um Feststellungen nachzuholen, ob und in welcher Höhe der Verlust im Streitjahr entstanden ist.
Das FG gab der Klage im zweiten Rechtszug statt. Der Verlust sei aufgrund der Anzeige der Masseunzulänglichkeit bereits in 2012 zu berücksichtigen. Dagegen legte das FA Revision ein.
Entscheidung: Endgültiger Forderungsausfall bei Anzeige der Masseunzulänglichkeit
Der BFH wies die Revision zurück. Der Forderungsausfall ist im Streitjahr 2012 nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 EStG zu berücksichtigen.
Grundsätze der Verlustberücksichtigung
Der BFH verweist auf die Grundsatzentscheidung VIII R 13/15 (BFH v. 24.10.2017, BStBl II 2020, 831). Danach ist die Minderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit aufgrund eines endgültig feststehenden Forderungsausfalls zu berücksichtigen. Ausnahmsweise kann der Verlust auch schon früher entstanden sein, wenn bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mit Rückzahlungen zu rechnen ist und ausreichende objektive Anhaltspunkte für eine Uneinbringlichkeit der Forderung vorliegen. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners reicht hierfür in der Regel nicht aus. Anders ist es, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wird (BFH v. 12.12.2000, VIII R 22/92, BStBl II 2001, 385) oder "aus anderen Gründen" feststeht, dass nicht mehr mit einer wesentlichen Änderung des Verlusts nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu rechnen ist (BFH v. 24.10.2017, VIII R 13/15, BStBl II 2020, 831).
Endgültiger Forderungsausfall bereits mit Anzeige der Masseunzulänglichkeit
Mit der Anzeige ändert sich die Zielrichtung des Insolvenzverfahrens. Der Insolvenzverwalter bleibt zwar nach § 208 Abs. 3 InsO zur Verwaltung und Verwertung der Masse verpflichtet. Das Insolvenzverfahren wird jedoch fortan mit dem Ziel fortgesetzt, die noch vorhandene Restmasse im Interesse der Massegläubiger zu verwerten. Es dient nicht mehr den Interessen der Insolvenzgläubiger, die keine Befriedigung ihrer Ansprüche mehr zu erwarten haben, da die Insolvenzmasse bereits mit Blick auf die sonstigen Masseverbindlichkeiten zahlungsunfähig und damit unzulänglich ist. Im Zeitpunkt der angezeigten Masseunzulänglichkeit (und damit bereits vor Abschluss des Insolvenzverfahrens) steht deshalb mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass auf die Forderungen der Insolvenzgläubiger keine Zahlungen mehr erfolgen werden und damit nicht mehr mit einer Änderung des Verlusts zu rechnen ist. Damit lagen im Streitfall ausreichende objektive Anhaltspunkte für die Uneinbringlichkeit der Forderung des X vor.
Grundsätzliche Möglichkeit der Massebesserung
Dass grundsätzlich die Möglichkeit besteht, bei Massebesserung wieder in das "normale" Insolvenzverfahren zurückzukehren, steht der Uneinbringlichkeit nicht entgegen. Denn dies ändert nichts daran, dass im Zeitpunkt der angezeigten Masseunzulänglichkeit die Insolvenzmasse objektiv nicht ausreichend ist, um alle Massegläubiger voll zu befriedigen, so dass eine auch nur anteilige Befriedigung der Insolvenzgläubiger nicht mehr zu erwarten ist. Sollte sich vor der Einstellung des Insolvenzverfahrens herausstellen, dass die angezeigte Masseunzulänglichkeit nicht von Dauer ist und die Insolvenzmasse wieder ausreichend wird, um sämtliche Massegläubiger vollständig und die Insolvenzgläubiger anteilig zu befriedigen, liegt ein rückwirkendes Ereignis vor, das die Höhe des Rückzahlungsgewinns bzw. -verlusts eines Insolvenzgläubigers beeinflusst und nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auf den Veranlagungszeitraum des geltend gemachten Forderungsausfalls zurück zu beziehen ist.
Keine sonstige Masseverbindlichkeit
Bei der ausgefallenen Darlehensforderung handelt es sich nicht um eine sonstige Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 InsO, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit noch Aussicht auf Befriedigung nach Maßgabe des sich aus § 209 Abs. 1 InsO ergebenden Rangverhältnisses hatte. Es liegt kein Fall eines bei Insolvenzeröffnung abgeschlossenen, aber beidseits noch nicht erfüllten Schuldverhältnisses vor. Denn X hatte bereits vor Insolvenzeröffnung die Darlehensvaluta an den Darlehensnehmer ausgezahlt und seine vertragliche Verpflichtung daher vollständig erfüllt. Er besaß deshalb einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Anspruch auf Rückzahlung, der für die Dauer der Masseunzulänglichkeit von einer Teilnahme an der Verwertung der Restmasse ausgeschlossen war.
Hinweis: Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht
Der BFH ergänzt, dass die Verlustberücksichtigung auch nicht wegen einer etwa fehlenden Einkünfteerzielungsabsicht versagt ist. Denn die Einkünfteerzielungsabsicht wird aufgrund der mit der Abgeltungsteuer eingeführten Besonderheiten (widerleglich) vermutet (BFH v. 14.3.2017, VIII R 38/15, BStBl II 2017, 1040). Anhaltspunkte dafür, dass diese Vermutung widerlegt sein könnte, sind im Streitfall nicht gegeben. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass X bereits bei Gewährung des Darlehens mit einer Rückzahlung nicht mehr rechnen konnte.
Mit dem vorliegenden Urteil führt der BFH die Grundsatzentscheidung v. 24.10.2017, VIII R 13/15 (BStBl II 2020, 831) fort und bekräftigt, dass (ohne dies zu konkretisieren) neben der Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse auch "andere Gründe" dazu führen können, dass keine Rückzahlung mehr zu erwarten ist.
BFH Urteil vom 01.07.2021 - VIII R 28/18 (veröffentlicht am 07.10.2021)
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