Kein Vertrauensschutz bei sorgfaltswidriger Nichtabfrage der USt-IdNr.
Hintergrund: USt-Karussell und fingierte Ausfuhr
Die A-GmbH betrieb einen Getränkehandel im In- und Ausland. Folgende Sachverhalte waren streitig:
Sachverhalt I (R-GmbH): Karussellkette
R lieferte Getränke an A. A lieferte weiter an SBV. SBV lieferte wieder an R. R erteilte A Rechnungen mit Vorsteuerausweis.
Das FA ging von einer USt-Karussellkette aus versagte A den Vorsteuerabzug mit dem Hinweis, die Waren seien gar nicht geliefert worden.
Sachverhalt II (B-GmbH): Austausch des Lieferanten
A bestellte Getränke bei P. P wurde ebenso wie die B von G beherrscht. B bezog ihre Ware von P zur Veräußerung an Dritte im Reihengeschäft. B stellte A Rechnungen mit USt-Ausweis aus.
Das FA versagte A den Vorsteuerausweis aus den Rechnungen der B. B habe keine Waren geliefert oder darüber keine Verfügungsmacht gehabt. Vertragspartner der A sei P gewesen.
Sachverhalt III (J-S.A.R.L.): Vorgetäuschte Ausfuhrlieferungen
Die luxemburgische J-S.A.R.L erbat von A zunächst eine Preisliste, um eine geschäftliche Basis aufbauen zu können. Auf die daraufhin von A beim BZSt gestellte Anfrage teilte dieses mit, dass die USt-IdNr. der J gültig sei. Kurz danach wurde die USt-IdNr. gelöscht. Im Folgenden bestellte J Getränke bei A. A stellte die Ware bereit und J bestätigte den Eingang unter der luxemburgischen Anschrift. Tatsächlich wurde die Ware nicht in das Gemeinschaftsgebiet, sondern an Abnehmer im Inland geliefert.
Das FA war der Auffassung, die Lieferungen seien nicht steuerfrei und A genieße auch keinen Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG. Das FG gab der Klage für die Sachverhalte I und II statt. Hinsichtlich des Sachverhalts III wies es die Klage ab.
Entscheidung: Vorsteuerabzug bei nachgewiesenen Lieferungen; kein Vertrauensschutz bei Nichtabfrage der USt-IdNr.
A steht der Vorsteuerabzug in den Sachverhalten I und II zu. In der Sachverhaltsvariante III war wegen sorgfaltspflichtwidriger Nichtabfrage der USt-IdNr. der Vertrauensschutz zu versagen.
Sachverhalt I (R-GmbH): Berechtigter Vorsteuerabzug, da vom FA kein Steuerbetrug dargelegt wurde
Nach der Missbrauchs-Rechtsprechung des EuGH ist der Vorsteuerabzug nicht nur zu versagen, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht, sondern auch dann, wenn er wusste oder hätte wissen müssen (Kennenmüssen-Doktrin), dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in eine USt-Hinterziehung einbezogen war (BFH v. 21.6.2018, V R 28/16, BStBl II 2018, 806; jetzt geregelt mit dem JStG 2019 ab 2020 in § 25f UStG).
Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen liegt die Feststellungslast beim FA (BFH, Urteil v. 18.2.2016, V R 62/14; BStBl II 2016, 589). Im Streitfall hat das FA allerdings keine ausreichenden Anhaltspunkte für das Kennen oder Kennenmüssen der A hinsichtlich der Einbeziehung der Lieferungen der R in eine Steuerhinterziehung dargelegt.
Zum einen wird das Vorliegen einer Lieferung, wenn die objektiven Voraussetzungen dafür gegeben sind, nicht dadurch ausgeschlossen, dass es sich um Warenbewegungen im Kreis handelt (BFH v. 25.4.2018, XI R 21/16, BStBl II 2018, 505, Rz 36).
Zum anderen hat das FG aus dem Schriftverkehr keine Anhaltspunkte dafür abgeleitet, dass A von der Einbeziehung ihrer Leistungsbezüge in eine Steuerhinterziehung wusste oder hätte wissen können. Es fehlen bereits Feststellungen für das Vorliegen einer Steuerhinterziehung durch R.
Hat das FA nicht dargelegt, dass ein Steuerbetrug begangen wurde, kommt eine Versagung des Vorsteuerabzugs nach der Missbrauchs-Rechtsprechung des EuGH nicht in Betracht.
Sachverhalt II (B-GmbH): Wirksame Vertragsübernahme
A kann auch die in den Rechnungen der B ausgewiesene Vorsteuer in Abzug bringen. Die USt knüpft an tatsächliche Leistungsvorgänge an. Auf die zivilrechtliche Wirksamkeit der Verträge oder Leistungspflichten kommt es nicht an. Entscheidend ist, ob die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis des Rechtsgeschäfts gleichwohl eintreten und bestehen lassen.
Das FG hat die Umstände dahingehend gewürdigt, dass kein Scheingeschäft vorliegt, sondern dass die ursprünglich mit P vereinbarte Leistungsverpflichtung konkludent auf B übertragen wurde, so dass die B – und nicht P - die Ware im eigenen Namen geliefert hat. Auf die ursprüngliche Vereinbarung mit P kommt es nicht an. Ob die USt für die vorausgegangenen Verkäufe tatsächlich abgeführt wurde, ist für den Vorsteuerabzug ohne Bedeutung, da die A dies nicht wusste und nicht hätte wissen müssen.
Sachverhalt III (J-S.A.R.L.): Sorgfaltspflichtwidrige Nichtabfrage der USt-IdNr.
A war zeitnah vor der ersten Lieferung (Bestellung 6.7.2010, Bereitstellung 8.7.2010) und erneut wenige Wochen später gehalten, ihre Anfrage nach der Gültigkeit der USt-IdNr. zu wiederholen. Die lediglich einmalige Anfrage (16.6.2010) im Zusammenhang mit der Anbahnung der Geschäftsbeziehung genügt zur Erfüllung der gebotenen Sorgfaltspflicht nicht.
Der BFH bestätigt insoweit die Tatsachenwürdigung des FG. J war ein neuer Kunde und der A nicht als eingeführtes Handelsunternehmen bekannt. Außerdem war die Bestellmenge für den luxemburgischen Markt ungewöhnlich. Aufgrund dieser sorgfaltspflichtwidrigen Nichtabfrage der USt-IdNr. zeitnah zur ersten Lieferung und darauffolgend in regelmäßigen Abständen während der laufenden Lieferbeziehung besteht für A kein Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG.
Kein Billigkeitserlass
A kann auch nicht deshalb, weil das FA erst 6 Monate, nachdem es Kenntnis von der Löschung der USt-IdNr. erlangt hatte, dies der A mitgeteilt hat, aus Billigkeitsgründen eine niedrigere Steuerfestsetzung nach § 163 AO beanspruchen. Denn das Aufzeichnen einer gültigen USt-IdNr. (und damit auch deren Überprüfung) ist eine eigenständige Pflicht des Steuerpflichtigen. Deshalb ist es seine Aufgabe, die hierfür nach § 18e UStG eingerichtete Abfragemöglichkeit wahrzunehmen (BFH v. 14.8.2014, X B 174/13, BFH/NV 2014, 1725, Rz 18).
Hinweis: Rechtsänderung ab 2020
Ab 1.1.2020 wurde in § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG die Nr. 4 angefügt (JStG 2019). Danach ist – entsprechend unionsrechtlicher Vorgabe – eine zum Zeitpunkt der Lieferung gültige USt-IdNr. des Abnehmers zusätzliche materielle Voraussetzung für das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung. Der Erwerber muss im Zeitpunkt der an ihn bewirkten Lieferung eine ihm von dem anderen Mitgliedstaat erteilte USt-IdNr. besitzen und zudem gegenüber dem Lieferer "verwenden". Zur Sicherung der Steuerfreiheit sollte der Lieferer bei Aufnahme der Geschäftsbeziehung dokumentieren, dass der Abnehmer seine USt-IdNr. mitgeteilt hat und dementsprechend verwendet.
BFH Urteil vom 11.03.2020 - XI R 38/18 (veröffentlicht am 13.08.2020)
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