Kein Vorläufigkeitsvermerk wegen Mindestbesteuerung

Bei einer Veranlagung, die unter Anwendung der sog. Mindestbesteuerung erfolgt, ist das Finanzamt nicht verpflichtet, im Hinblick auf eine mögliche Definitivbelastung durch einen späteren Wegfall von Verlustvorträgen den Steuerbescheid mit einem Vorläufigkeitsvermerk zu versehen.

Hintergrund

Der BFH hat vor knapp drei Jahren entschieden, dass die sog. Mindestbesteuerung in ihrer Grundlagenkonzeption einer zeitlichen Streckung des Verlustvortrags nicht gegen Verfassungsrecht verstößt (BFH, Urteil v. 22.8.2012, I R 9/11, BStBl II 2013 S. 512). Gegen dieses Urteil ist eine Verfassungsbeschwerde anhängig (BVerfG 2 BvR 2998/12).

Klägerin des Streitfalls ist eine GmbH, die in einen französischen Konzern eingebunden  ist und dort als geschäftsleitende Holding fungiert. Nach einer Außenprüfung ergingen – unter Anwendung der sog. Mindestbesteuerung – mehrere Steuer- und Feststellungsbescheide. Dagegen legte die GmbH Einsprüche ein und beantragte, die ergangenen Bescheide mit einem Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 AO zu versehen. Zur Begründung brachte sie vor, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass aufgrund der dem Finanzamt bereits unterbreiteten Umstrukturierungen im Konzern der Bestand der Verlustvorträge nach § 8c KStG gefährdet sei. Deshalb müssten alle Veranlagungen, in denen die Mindestbesteuerung zur Anwendung gekommen sei, für eine entsprechende Korrektur offen gehalten werden.

Entscheidung

Der BFH wies das Begehren der GmbH ebenso zurück wie zuvor das Finanzamt und das Finanzgericht (EFG 2013 S. 1374). Er entschied:

Die abstrakte Möglichkeit, dass in späteren Veranlagungszeiträumen Ereignisse eintreten, die (als sog. Definitiveffekte) im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung der Regelungen zur sog. Mindestbesteuerung auf den Veranlagungszeitraum zurückwirken könnten, führt nicht zu einer Ungewissheit i.S. des § 165 Abs. 1 Satz 1 AO  darüber, ob die Voraussetzungen für die Entstehung der Steuer in diesem Veranlagungszeitraum eingetreten sind.

Der BFH sah den Tatbestand des § 165 Abs. 1 Satz 1 AO nicht als erfüllt an, weil eine  Ungewissheit bei der Entstehung der Steuer, wie von dieser Vorschrift vorausgesetzt, nicht bestanden hat. Nach ständiger Rechtsprechung muss sich die Ungewissheit auf die Tatsachengrundlage eines Steuertatbestands beziehen („vorübergehendes Aufklärungshindernis“); eine Unsicherheit in der steuerrechtlichen Beurteilung eines feststehenden Sachverhalts rechtfertigt die Anordnung der Vorläufigkeit nicht (BFH, Beschluss v. 8.7.1998, I B 11/97, BStBl II 1998 S. 702, m.w.N.). Hier beruhten die Steuerfestsetzungen und Feststellungen aber auf einem vollständig ermittelten und unstreitigen Sachverhalt, der nach geltendem Recht zur Anwendung der sog. Mindestbesteuerung führt.

Auch die Voraussetzungen des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO, wonach eine vorläufige Steuerfestsetzung auch dann erfolgen kann, wenn die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens beim Bundesverfassungsgericht ist, liegen nicht vor. Das von der GmbH angeführte Verfahren beim BVerfG (2 BvR 2998/12) betrifft die Steuerfestsetzung (Nichtanwendung der streitbefangenen Mindestbesteuerungsvorschriften) und nicht die Frage der Anwendung des § 165 Abs. 1 AO, und damit einen davon zu unterscheidenden Streitgegenstand (vgl. z.B. BFH, Urteil v. 11.2.2009, X R 51/06, BStBl II 2009 S. 892). Selbst wenn man insoweit der Auffassung wäre, dass der vorgreifliche Rechtsstreit, dessentwegen der Vorläufigkeitsvermerk erfolgen soll, seinerseits nicht die Anwendung des § 165 Abs. 1 AO zum Gegenstand haben muss, ändert sich nichts für die hier zu beurteilende Situation. Denn – so der BFH – Gegenstand des beim BverfG anhängigen Verfahrens ist die Frage, ob ein sog. Definitiveffekt schon aus einer aktuell und voraussichtlich auch zukünftig gewinnlosen Geschäftstätigkeit erwächst; es ist nicht die Frage der in die Vergangenheit zurückwirkenden künftigen Definitivsituation.

Hinweis

Ansatzpunkt für das Begehren der GmbH, die Steuer- und Feststellungsbescheide für vorläufig zu erklären, ist die Frage, ob ein aus der Perspektive des Steuerentstehungszeitpunkts (Ablauf des 31.12.2004) in der Zukunft möglicherweise eintretendes Ereignis aus verfassungsrechtlichen Gründen auf das Streitjahr zurückwirken wird (s. dazu BFH, Beschluss v. 26.8.2010, I B 49/10, BStBl II 2011 S. 826). In ebendiesem Beschluss, in dem der BFH eine verfassungskonforme Auslegung der Regeln zur sog. Mindestbesteuerung erwogen hatte, hat der BFH auch ausgeführt, dass sich ein solches Auslegungsergebnis „verfahrensrechtlich .. durch die Beifügung eines Vorläufigkeitsvermerks i.S. des § 165 Abs. 1 Satz 1 AO … in den Fällen einer Besteuerung … absichern ließe“ (dort Rz 21). Mit diesem Hinweis hat der BFH der GmbH das hier geführte Verfahren geradezu nahegelegt. Wenn er dazu dann in seiner Revisionsbegründung lediglich in zwei kargen Sätzen Stellung nimmt und ausführt, daraus könne ein  Anspruch auf Vorläufigkeitserklärung nicht abgeleitet werden, weil es sich insoweit um eine für das dortige Verfahren nicht entscheidungserhebliche Äußerung gehandelt habe, die nicht unbesehen auf alle Fallgestaltungen übertragbar sei, dürfte das die Klägerin kaum zufriedenstellen. 

BFH, Urteil v. 17.12.2014, I R 32/13, veröffentlicht am 15.4.2015



Schlagworte zum Thema:  Vorläufigkeitsvermerk, Abgabenordnung