Kindergeldberechtigung von Unionsbürgern

Bestehen für das Herkunftsland während der Übergangszeit nach dem EU-Beitritt Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit, fällt der Unionsbürger nur dann unter die Einschränkungen beim Kindergeld für nicht Freizügigkeitsberechtigte, wenn die Ausländerbehörde das Aufenthaltsrecht ablehnt. 

Hintergrund

Streitig war, ob das FG ein Kindergeld-Verfahren wegen verschiedener beim BVerfG anhängiger Verfahren aussetzen durfte. Das Niedersächsische FG hat in sechs Fällen dem BVerfG die Entscheidung darüber vorgelegt, ob § 62 Abs. 2 EStG verfassungsgemäß ist. Es geht um die Frage, ob die Regelung, nach der ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer - abhängig von der Art seines Aufenthaltsstatus - teilweise keinen Anspruch auf Kindergeld hat, teilweise ohne weitere Voraussetzungen und teilweise nur bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen anspruchsberechtigt ist (Az. BVerfG 2 BvL 9 - 14/14).

X, ein polnischer Staatsbürger, war in 2007 bis 2011 für eine polnische Baufirma als Arbeitnehmer im Inland beschäftigt. Er beantragte Kindergeld, das ihm nicht gewährt wurde. Dagegen erhob er nach erfolglosem Einspruch Klage. Das FG setzte das Klageverfahren nach § 74 FGO bis zur Entscheidung des BVerfG über die dort anhängigen sechs Vorlageverfahren aus. Das FG ging davon aus, X sei mangels Genehmigung der Beschäftigung durch die Bundesagentur für Arbeit als nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer i.S.v. § 62 Abs. 2 EStG zu behandeln. Da die Voraussetzungen dieser Vorschrift - Besitz eines Aufenthaltstitels nach dem Aufenthaltsgesetz - nicht vorlägen, sei der Kindergeldanspruch von der Verfassungsmäßigkeit der Regelung abhängig und wäre abzulehnen, sofern sie sich als verfassungsgemäß erweisen sollte.

X erhob gegen die Aussetzung seines Klageverfahrens Beschwerde.

Entscheidung

Der BFH entschied, die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens seien nicht gegeben. Er hob den Aussetzungsbeschluss des FG auf.

Bei den beim BVerfG anhängigen Vorlageverfahren geht es darum, ob § 62 Abs. 2 EStG insoweit verfassungswidrig ist, als für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer besondere Voraussetzungen für den Kindergeldanspruch gelten. Im Streitfall handelt es sich bei X jedoch um einen freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger, der bereits unter den (normalen) Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 EStG dem Grunde nach kindergeldberechtigt ist.

Nach der Übergangsregelung für die Neu-Mitgliedstaaten, die für Polen bis zum 30.4.2011 verlängert wurde, war der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für Staatsangehörige Polens während der Übergangsfrist von der Genehmigung der Bundesagentur abhängig (§ 284 SGB III). Entgegen der Ansicht des FG bewirkt die fehlende Genehmigung der Bundesagentur nicht, dass X als nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer anzusehen ist. Denn für Staatsangehörige der EU gilt das von der Arbeitnehmerfreizügigkeit unabhängige Freizügigkeitsrecht, das allein aus der Unionsbürgerschaft folgt. Dieses Aufenthaltsrecht entfällt erst, wenn die Ausländerbehörde festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht. Erst nach einer entsprechenden Feststellung findet das Aufenthaltsgesetz Anwendung mit der Folge, dass der Unionsbürger einen Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz benötigt. Allein die fehlende Arbeitsgenehmigung ohne eine Feststellung des Verlusts des Aufenthaltsrechts durch die Ausländerbehörde führt somit nicht dazu, dass der Unionsbürger nunmehr als nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer i.S.v. § 62 Abs. 2 EStG zu behandeln ist.

Da X somit nicht als nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer zu behandeln ist, stellt sich im Streitfall nicht die in den Vorlageverfahren problematisierte Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 62 Abs. 2 EStG. Eine Aussetzung des Verfahrens kommt daher nicht in Betracht.

Hinweis

Der BFH stellt klar, dass die Beschränkungen hinsichtlich der Arbeitnehmerfreizügigkeit während der Übergangszeit nach dem Beitritt zur EU - das Erfordernis einer Arbeitserlaubnis durch die Bundesagentur - nicht dazu führen, dass der Unionsbürger als nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer zu behandeln ist. Das tritt nur ein, wenn die zuständige Ausländerbehörde Maßnahmen ergriffen hat, durch die der Unionsbürger anstelle der Regelungen des Freizügigkeitsgesetzes den Regelungen des Aufenthaltsgesetzes unterworfen wird. Der Entscheidungsfall ist daher mit den beim BVerfG anhängigen Musterverfahren nicht vergleichbar. Die förmliche Feststellung, dass das Einreise-/Aufenthaltsrecht nicht besteht, obliegt allein den Ausländerbehörden, nicht den Familienkassen.

BFH, Beschluss v. 27.4.2015, III B 127/14, veröffentlicht am 29.7.2015


Schlagworte zum Thema:  Kindergeld, Kind, Freizügigkeit