Ermittlung des Gesamtumsatzes von Kleinunternehmern bei Differenzbesteuerung
Gebrauchtwagenhändler wendet Differenzbesteuerung an
Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des BFH ging es um die Bestimmung des Gesamtumsatzes bei der Kleinunternehmerregelung gem. Art. 288 Satz 1 Nr. 1 MwStSystRL in den Fällen der Differenzbesteuerung (Art. 311 ff. MwStSystRL).
Streitig war, ob für die Bemessung des für die Anwendbarkeit der Kleinunternehmerregelung maßgeblichen Gesamtumsatzes auf die Differenz zwischen Verkaufspreis und Einkaufspreis (Handelsspanne) oder auf die vereinnahmten Entgelte abzustellen ist. Der Kläger führte steuerbare, der Differenzbesteuerung nach § 25a UStG unterliegende Umsätze im Rahmen eines Gebrauchtwagenhandels aus. Die in 2009 und im Streitjahr 2010 erzielten Umsätze betrugen bei einer Berechnung nach vereinnahmten Entgelten 27.358 EUR (für 2009) bzw. 25.115 EUR (für 2010). Die Bemessungsgrundlage der jeweiligen Umsätze ermittelte der Kläger in seinen Umsatzsteuererklärungen für 2009 und 2010 gem. § 25a Abs. 3 UStG nach dem Differenzbetrag (Handelsspanne) mit 17.328 EUR (für 2009) und 17.470 EUR (für 2010). Er nahm deshalb an, dass er Kleinunternehmer i. S. d. § 19 UStG sei.
Änderung der Verwaltungsauffassung ab 2010
Für das Jahr 2009 stellte die Verwaltung in Abschn. 251 Abs. 1 Satz 4 der UStR 2008 hinsichtlich der Ermittlung des für die Anwendung der Kleinunternehmerregelung maßgeblichen Gesamtumsatzes i. S. d. § 19 Abs. 3 Satz 1 UStG u.a.in Fällen der Differenzbesteuerung ebenfalls auf die Handelsspanne ab. Seit dem Jahr 2010 wird aufgrund des BMF-Schreibens vom 16.6.2009 (BStBl 2009 I S. 755, Haufe Index 2181339) jedoch auf die vereinnahmten Entgelte abgestellt.
Mit Wirkung vom 1.1.2010 war Abschn. 251 Abs. 1 Satz 4 UStR 2008 nicht mehr anzuwenden. Abschn. 19.3 Abs. 1 Satz 5 UStAE bestimmt nunmehr für die Anwendung der Kleinunternehmerregelung u.a. für die Fälle der Differenzbesteuerung bei Wiederverkäufern i. S. d. § 25a Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG, dass sich der Gesamtumsatz i. S. d. § 19 Abs. 3 Satz 1 UStG nach den vereinnahmten Entgelten und nicht nach der Summe der Differenzbeträge richtet.
Im Streitfall versagte das FA die Anwendung der Kleinunternehmerregelung für das Jahr 2010. Der Gesamtumsatz des Klägers habe in dem dem Streitjahr vorangehenden Kalenderjahr 2009 gemessen an den vereinnahmten Entgelten über der Grenze von 17.500 EUR gelegen.
FG sieht Konflikt mit Unionsrecht
Das FG entschied, dass in Fällen der Differenzbesteuerung nach § 25a UStG die vereinnahmten Entgelte, die über die Differenzbeträge i. S. v. § 25a Abs. 3 UStG hinausgehen, bei der Ermittlung des Gesamtumsatzes i. S. d. § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG unberücksichtigt zu lassen sind. Zwar ziele § 19 Abs. 1 UStG für die Ermittlung der Umsatzgrenze auf den Gesamtumsatz und nicht auf die Handelsspanne ab. Die Vorschrift stehe jedoch nicht im Einklang mit Art. 288 Satz 1 Nr. 1 MwStSystRL, auf die sich der Kläger unmittelbar berufen könne. Nach dieser unionsrechtlichen Bestimmung setze sich der Umsatz, der bei der Anwendung der Kleinunternehmerregelung zugrunde zu legen sei, aus dem Betrag der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen zusammen, soweit diese besteuert würden. Da bei der Differenzbesteuerung nach Art. 315 MwStSystRL nur die Handelsspanne besteuert werde, könne nur diese für die Bemessung der Umsatzgrenze herangezogen werden.
BFH legt die Frage dem EuGH vor
Der BFH fragte den EuGH, ob in Fällen der Differenzbesteuerung Art. 288 Satz 1 Nr. 1 MwStSystRL dahingehend auszulegen ist, dass für die Bemessung des danach maßgeblichen Umsatzes bei der Lieferung von Gegenständen nach Art. 314 MwStSystRL gem. Art. 315 der Richtlinie auf die Differenz zwischen dem geforderten Verkaufspreis und dem Einkaufspreis (Handelsspanne) abzustellen ist. Der BFH neigte entgegen der Verwaltungsauffassung dazu, § 19 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1, § 25a Abs. 3 Satz 1 UStG im Licht des Unionsrechts dahingehend auszulegen, dass zur Ermittlung der betreffenden Umsatzgrößen auf die Summe der Differenzbeträge i. S. d. § 25a Abs. 3 UStG abzustellen ist, unabhängig von der Höhe der vereinnahmten Entgelte.
Wortlaut lässt verschiedene Auslegungen zu
Nach Art. 288 Satz 1 Nr. 1 MwStSystRL setzt sich der Umsatz, der bei der Anwendung der Kleinunternehmerregelung zugrunde zu legen ist, aus dem Betrag der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen zusammen, "soweit" diese besteuert werden. Diese Bestimmung stellt somit nach Auffassung des BFH auf den Umfang der Besteuerung ab, der bei der Differenzbesteuerung nach Art. 315 MwStSystRL auf die Differenz (Handelsspanne) beschränkt ist. Der Wortlaut des Art. 288 Satz 1 Nr. 1 MwStSystRL lasse also eine Auslegung dahingehend zu, dass Leistungen, die - wie im Streitfall - der Differenzbesteuerung unterliegen und infolge einer besonderen Bemessungsgrundlage unter Ausschluss des Vorsteuerabzugs nur teilweise besteuert werden, nur in diesem reduzierten Umfang zum Umsatz i. S. dieser Richtlinienbestimmung zu zählen sind.
Andererseits meinte der BFH, Art. 288 Satz 1 Nr. 1 MwStSystRL könne wegen des Wortlauts "soweit diese besteuert werden" auch so verstanden werden, dass nur steuerfreie Leistungen betroffen sind und nur diese aus dem maßgeblichen Umsatz für die Anwendung der Kleinunternehmerregelung ausgeschlossen werden müssen. Bei diesem Verständnis des Art. 288 Satz 1 Nr. 1 MwStSystRL wären die der Differenzbesteuerung unterliegenden Lieferungen, die nicht steuerbefreit sind, sondern als solche besteuert werden, nicht nur i. H. der nach Maßgabe der Differenzbesteuerung ermittelten Bemessungsgrundlage für den ausgeführten Umsatz zu erfassen.
EuGH entscheidet nicht im Sinne des Steuerpflichtigen
Der EuGH hat ausgehend vom Wortlaut von Art. 288 Abs. 1 Nr. 1 MwStSystRL entschieden. Danach setzt sich der Umsatz des Steuerpflichtigen aus dem Gesamtbetrag ohne Mehrwertsteuer der besteuerten Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen zusammen, wobei sich das Wort "besteuert" aber nicht auf das Wort "Betrag", sondern auf "Lieferungen" oder "Leistungen" beziehe. Somit ist nach dem EuGH-Urteil für die Bestimmung des Gesamtumsatzes nach der Kleinunternehmerregelung bei einem differenzbesteuernden Unternehmer von dem Gesamtbetrag der von einem Wiederverkäufer ausgeführten Lieferungen auszugehen und nicht von der Handelsspanne der Umsätze.
Autonome Sonderregelungen
Auch sind die Sonderregelungen für Kleinunternehmen und für die Differenzbesteuerung zwei voneinander unabhängige autonome Sonderregelungen. Wird in einer von ihnen nicht auf die Tatbestandsmerkmale und Begriffe der anderen Regelung Bezug genommen, ist der Inhalt der einen grundsätzlich zu beurteilen, ohne dass der Inhalt der anderen berücksichtigt werden muss.
Differenzbesteuerung wurde erst später eingeführt
Auch die Entstehungsgeschichte der Kleinunternehmerregelung bestätigt nach dem EuGH-Urteil, dass sich der Begriff "von dem steuerpflichtigen Wiederverkäufer erzielte Differenz (Handelsspanne)" keinen Einfluss darauf haben kann, wie der Begriff "Umsatz" im Rahmen der Sonderregelung für Kleinunternehmen auszulegen ist. Die Kleinunternehmerregelung gab es bereits, als die Differenzbesteuerung eingeführt wurde.
Mit der Kleinunternehmerregelung soll nicht die Wettbewerbsfähigkeit großer, als Weiterverkäufer von Gebrauchtgegenständen tätiger Unternehmen gestärkt werden. Würden die über die Handelsspanne hinausgehenden vereinnahmten Entgelte bei der Ermittlung des Umsatzes für die Anwendung der Kleinunternehmerregelung nicht berücksichtigt, könnten nach dem EuGH-Urteil Unternehmen, die einen hohen Umsatz erzielen und eine geringe Handelsspanne haben, unter die Kleinunternehmerregelung fallen und dadurch einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil erhalten.
Verwaltungspraxis bestätigt
Der EuGH hat die seit dem 1.1.2010 geänderte Verwaltungspraxis in Deutschland somit bestätigt. Abschn. 19.3 Abs. 1 Satz 5 UStAE, wonach sich für die Anwendung der Kleinunternehmerregelung u.a. für die Fälle der Differenzbesteuerung bei Wiederverkäufern i. S. d. § 25a Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG der Gesamtumsatz i. S. d. § 19 Abs. 3 Satz 1 UStG nach den vereinnahmten Entgelten und nicht nach der Summe der Differenzbeträge richtet, ist damit unionsrechtskonform. Es ist davon auszugehen, dass der EuGH dies im Falle von Reiseleistungen ebenso sehen würde.
EuGH Urteil vom 29.07.2019 - C-388/18
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