Der begrenzte Sonderausgabenabzug für Krankenversicherungsbeiträge und der Arbeitslosenversicherungsbeiträge verstößt weder gegen das Grundgesetz noch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Hintergrund

Streitig war für die Jahre 1993 bis 1999 die Höhe der als Sonderausgaben abziehbaren Aufwendungen für Beiträge zur Krankenversicherung und Arbeitslosenversicherung. Das Finanzamt berücksichtigte die Vorsorgaufwendungen der Eheleute jeweils mit dem gesetzlichen Höchstbetrag von 7.830 €. Sie machten geltend, die Beiträge seien in voller Höhe abzuziehen, hilfsweise seien die Arbeitslosenversicherungsbeiträge im Wege des negativen Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen.  

Entscheidung

Vor dem BFH begehrten die Eheleute vorrangig das Ruhen oder die Aussetzung des Revisionsverfahrens bis zum Ergehen von Entscheidungen des BVerfG bzw. des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Der BFH wies diese Anträge zurück.

Die verfassungsrechtlichen Fragen zur begrenzten Abziehbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge sieht der BFH durch das BVerfG als geklärt an (BVerfG-Beschluss v. 13.2.2008, BVerfGE 120, 125). Danach war der Gesetzgeber verpflichtet, ab 2010 eine Neuregelung zu schaffen. Bis dahin blieben die bisherigen Gesetzesfassungen weiterhin anwendbar. Diese Weitergeltungsanordnung hat Gesetzeskraft. Sie ist für den BFH bindend und verstößt weder gegen das Grundgesetz noch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).

Zu Art. 6 Abs. 1 EMRK (Anspruch auf rechtliches Gehör innerhalb angemessener Frist) weist der BFH besonders darauf hin, dass diese Regel nur für zivilrechtliche und strafrechtliche Verfahren gilt. Sie ist im Bereich des - öffentlich-rechtlichen - Steuerrecht nicht anwendbar. 

Zu den Versicherungen gegen Arbeitslosigkeit verweist der BFH auf seine Rechtsprechung, dass der Gesetzgeber nicht verpflichtet ist, diese Beiträge in vollem Umfang zum Abzug zuzulassen. Das wurde vom BVerfG ausdrücklich verneint. Denn das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums gewährleistet dem Steuerpflichtigen lediglich den Schutz des Lebensstandards auf Sozialhilfeniveau, nicht aber auf dem Niveau, das durch die Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung erreicht werden könnte. 

Der BFH verneint auch einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Berücksichtigung der Beiträge im Wege des negativen Progressionsvorbehalts. Dieser beschränkt sich auf den Bereich der Betriebsausgaben und Werbungskosten sowie der - hier nicht gegebenen - negativen Einnahmen. Werbungskosten liegen nicht vor. Denn die Vorsorgeaufwendungen sind gesetzlich den Sonderausgaben zugewiesen.

Ein Ruhen des Verfahrens scheidet schon deshalb aus, weil es dazu übereinstimmender Anträge der Beteiligten bedarf; daran fehlt es hier.

Auch die Aussetzung des Verfahrens lehnt der BFH ab. Die Verfahren vor dem BVerfG und dem EGMR betreffen lediglich Teilaspekte hier zu beurteilenden Streitstoffs. Allein der Umstand, dass Verfassungsbeschwerden oder Beschwerden zum EGMR erhoben wurden, begründet kein überwiegendes Interesse anderer Rechtsmittelführer an der Aussetzung.

Urteil v. 16.11.2011, X R 15/09, veröffentlicht am 22.2.2012