Pflichtteilsanspruch nach dem Tod des Pflichtteilsverpflichteten
Hintergrund: Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs durch den Erben des Pflichtteilsverpflichteten
Der Vater (V) verstarb in 2008. Er wurde von seiner Ehefrau (F) allein beerbt. Der Sohn (S) machte zunächst keine Pflichtteilsansprüche geltend. Das FA setzte die ErbSt gegenüber F auf 0 EUR fest.
F verstarb in 2011. S war ihr Alleinerbe. Das FA setzte die ErbSt gegen S für den Erwerb von F auf 60.000 EUR fest. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
In 2013 beantragte S, den Bescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (rückwirkendes Ereignis) zu ändern und den von ihm geltend gemachten Pflichtteilsanspruch in Höhe von 97.000 EUR nachträglich als Nachlassverbindlichkeit zu berücksichtigen. Er habe, nachdem F verstorben und er deren Alleinerbe geworden sei, mit einem an sich selbst gerichteten Schreiben seinen Pflichtteilsanspruch aus der Erbschaft nach V geltend gemacht. Die Geltendmachung des Pflichtteils wirke auf den Zeitpunkt der Entstehung der Steuer gegenüber dem Erben, also auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers zurück und stelle somit ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar. Die Verjährung des Pflichtteilsanspruchs stehe der Geltendmachung nicht entgegen. Sie führe lediglich zu einer Einrede, die der Schuldner geltend machen könne, aber nicht müsse.
Das FA und das FG lehnten den Änderungsantrag ab. Der Pflichtteilsanspruch könne wegen Verjährung nicht mehr als Nachlassverbindlichkeit berücksichtigt werden.
Entscheidung: Keine Nachlassverbindlichkeit bei verjährtem Pflichtteilsanspruch
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. Die Geltendmachung des Pflichtteils nach dem Tod des Pflichtteilsverpflichteten (F) ist zwar auch dann möglich, wenn der Pflichtteilsberechtigte (S) zugleich der Erbe des Pflichtteilsverpflichteten (F) ist. Denn der aufgrund Konfusion (Vereinigung von Recht und Verbindlichkeit) zivilrechtlich erloschene Pflichtteilsanspruch gilt nach der Fiktion des § 10 Abs. 3 ErbStG als nicht erloschen. Gleichwohl ist der Pflichtteilsanspruch nicht als Nachlassverbindlichkeit abziehbar, wenn er im Zeitpunkt der Geltendmachung nach zivilrechtlichen Grundsätzen verjährt ist.
Die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs wirkt zurück
Der Pflichtteilsanspruch ist als Nachlassverbindlichkeit und als Erwerb von Todes wegen erst dann von Bedeutung, wenn er geltend gemacht wird (§ 10 Abs. 5 Nr. 2, § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Wird er geltend gemacht, entsteht die ErbSt für den Erwerb mit der Geltendmachung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG). Für den Abzug als Nachlassverbindlichkeit wirkt die Geltendmachung auf den Zeitpunkt der Entstehung der Steuer gegenüber dem Erben, also auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), zurück. Sie stellt ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar (BFH, Urteil v. 19.2.2013, II R 47/11, BStBl II 2013, 332, Rz 12). Verstirbt der Pflichtteilsverpflichtete, stellt die Pflichtteilsverpflichtung daher nur dann eine abziehbare Nachlassverbindlichkeit dar, wenn der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteilsanspruch zu Lebzeiten des Verpflichteten geltend gemacht hat oder ihn nach dessen Tod nunmehr geltend macht.
Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs durch den Erben des Pflichtteilsverpflichteten
Diese Grundsätze gelten auch, wenn – wie hier – der Pflichtteilsberechtigte (S) zugleich der Erbe des verstorbenen Pflichtteilsverpflichteten (F) ist. Die durch die Vereinigung von Forderung und Schuld in einer Person (Konfusion) zivilrechtlich erloschenen Rechtsverhältnisse gelten nach § 10 Abs. 3 ErbStG als nicht erloschen. Diese Fiktion umfasst auch das Recht des Pflichtteilsberechtigten, die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs als Alleinerbe des Pflichtteilsverpflichteten nachzuholen. Gibt der Pflichtteilsberechtigte eine entsprechende Erklärung ab, hat das FA diese für die Besteuerung des Erwerbs des Pflichtteils und für den Abzug als Nachlassverbindlichkeit zu berücksichtigen (BFH, Urteil v. 19.2.2013, II R 47/11, BStBl II 2013, 332, Rz 18).
Keine Berücksichtigung bei Verjährung
Der geltend gemachte Pflichtteilsanspruch ist jedoch nicht als Nachlassverbindlichkeit abziehbar, wenn er im Zeitpunkt der Geltendmachung zivilrechtlich verjährt war. Die Fiktion des § 10 Abs. 3 ErbStG reicht nicht so weit, dass der aufgrund Konfusion zivilrechtlich erloschene Pflichtteilsanspruch erbschaftsteuerrechtlich auch dann noch geltend gemacht werden kann, wenn er im Zeitpunkt der Geltendmachung zivilrechtlich verjährt war. Zwar hindert zivilrechtlich die Verjährung einer Forderung grundsätzlich nicht deren Geltendmachung. Dies gilt jedoch nicht für den durch Konfusion erloschenen Pflichtteilsanspruch. Anderenfalls würde allein aufgrund der Fiktion des § 10 Abs. 3 ErbStG die Funktion der Verjährung, Rechtsfrieden herbeizuführen, insoweit aufgehoben. Das ist vom Regelungsgehalt des § 10 Abs. 3 ErbStG nicht umfasst.
Im Streitfall war Verjährung eingetreten
Hiervon ausgehend konnte S den zivilrechtlich bereits erloschenen Pflichtteilsanspruch nachträglich nicht mehr gegen sich selbst als Alleinerben der F geltend machen. Der Pflichtteilsanspruch des S gegen F wegen des Todes des V war im Zeitpunkt der Geltendmachung im August 2013 unstreitig zivilrechtlich bereits verjährt. Der Anspruch verjährt in 3 Jahren (§§ 2332, 195, 199 BGB).
Hinweis: Übergeordneter Gedanke des Rechtsfriedens
Der BFH stellt der im Schrifttum vertretenen Meinung, der Berechtigte könne sein Bestimmungsrecht auch noch nach Verjährung ausüben, den übergeordneten Gedanken des Rechtsfriedens entgegen. In Fällen des Berliner Testaments ist daher stets zu prüfen, ob der Pflichtteilsberechtigte seinen Anspruch noch geltend machen kann.
Wird der Pflichtteilsanspruch vor der Verjährung geltend gemacht, kann der Erbe des Pflichtteilsverpflichteten die Pflichtteilsschuld als Nachlassverbindlichkeit abziehen. Das gilt auch dann, wenn der ursprünglich Verpflichtete nicht damit rechnen musste, den Pflichtteilsanspruch erfüllen zu müssen, und deshalb nicht wirtschaftlich belastet war. Denn die Geltendmachung des Pflichtteils wirkt auf den Eintritt des ursprünglichen Erbfalls zurück (BFH, Urteil v. 19.2.2013, II R 47/11, BStBl II 2013, 332, Rz 13 bis 15).
BFH Urteil vom 05.02.2020 - II R 1/16 (veröffentlicht am 09.07.2020)
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