Prostituierte erzielen Einkünfte aus Gewerbebetrieb
Hintergrund
Es dürfte niemanden geben, der sich jemals mit Einkommensteuer oder Gewerbesteuer befasst hat, dem das Problem nicht bekannt wäre, ob eine Prostituierte gewerbliche Einkünfte oder "sonstige Einkünfte" erzielt. Bereits 1964 hat sich der Große Senat des BFH mit der Frage befasst. Die Gewerblichkeit wurde damals verneint, weil es an der "Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr" fehle (BFH v. 23.6.1964, GrS 1/64 S, BStBl III 1964, 500).
Das "älteste Gewerbe" war danach - jedenfalls steuerrechtlich - gar kein Gewerbe. Die erzielten Einkünfte waren jedoch nicht steuerfrei, sondern wurden dem Auffangtatbestand der "sonstigen Einkünfte" zugeordnet. Sie waren folglich einkommensteuerpflichtig, nicht aber gewerbesteuerpflichtig. An dieser Auffassung hält der Große Senat nicht mehr fest.
Die Prostituierte P war im Streitjahr 2006 selbstständig tätig und erzielte bei Einnahmen von rund 64.000 EUR und Betriebsausgaben von 26.000 EUR einen Gewinn von 38.000 EUR. Das Finanzamt behandelte den Gewinn nicht - wie erklärt - als sonstige Einkünfte, sondern als Einkünfte aus Gewerbebetrieb und unterwarf ihn demzufolge (zusätzlich zur Einkommensteuer) der Gewerbesteuer. Streitgegenstand ist der Gewerbesteuermessbescheid. Das Finanzgericht gab der Klage unter Hinweis auf die bisherige Auffassung des BFH statt. Auf die Revision des Finanzamts legte der zuständige III. BFH-Senat die Frage dem Großen Senat des BFH vor.
Entscheidung
Unter Änderung der 50-jährigen Rechtsprechung bejaht der BFH nunmehr das für einen Gewerbebetrieb erforderliche Merkmal der Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr: "Die Prostitution kann in Gestalt eines sich am wirtschaftlichen Verkehr beteiligenden Unternehmens betrieben werden". Zur Begründung verweist der Große Senat auf den Vorlagebeschluss des III. Senats. Dort wird auf die veränderten Umstände - die weit verbreitete, nach außen hin erkennbare Bewerbung sexueller Dienstleistungen - hingewiesen. Eine Prostituierte, die ihr Angebot an eine unbestimmte Zahl möglicher Kunden richtet, beteiligt sich am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr. Denn sie wendet sich an andere Marktteilnehmer und erbringt ihre Leistungen in ihrer Eigenschaft als Marktteilnehmerin und nicht aus anderen Gründen. Ihre Tätigkeit dient der Gewinnerzielung und überschreitet den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung.
Hinweis
Der BFH bestätigt damit die einhellig in Verwaltung und Schrifttum vertretene Auffassung. Moralisch-ethische Einwände stehen der Besteuerung nicht entgegen. Die Steuer ist wertneutral. Eine gewerbliche Betätigung kann daher selbst dann vorliegen, wenn das Handeln verboten ist (was auf die Prostitution nicht zutrifft) oder als unsittlich angesehen wird, wobei in der Praxis das eigentliche Problem bei der Erfassung der Einnahmen liegen dürfte.
Übrigens: Dass der BFH weiblich formuliert, bedeutet nicht, dass die Grundsätze für andere Formen nicht gelten würden. Man darf gespannt sein, inwieweit es den Kommunen gelingt, sich mit dieser neuen Steuerquelle zu sanieren.
BFH Beschluss vom 20.02.2013 - GrS 1/12 (veröffentlicht am 08.05.2013)
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