Keine Anwendung des Sanierungserlasses auf Altfälle
Hintergrund: Schuldenerlass und Management-Buyout für 1 EUR
Die X-GmbH hatte erhebliche Verbindlichkeiten gegenüber ihren Gesellschaftern. Nachdem diese in 2004 auf den wesentlichen Teil ihrer Forderungen verzichtet hatten, erwarben im Dezember 2004 zwei Mitarbeiter der GmbH sämtliche Geschäftsanteile für 1 EUR. In 2005 wurden weitere Verbindlichkeiten erlassen.
Die GmbH erfasste die Forderungsverzichte als außerordentliche Erträge und beantragte unter Hinweis auf den Sanierungserlass (BMF-Schreiben v. 27.3.2003, BStBl I 2003, 240, ergänzt durch BMF-Schreiben v. 22.12.2009, BStBl I 2010, 18) den Erlass der auf den Verzichten beruhenden KSt aus sachlichen Billigkeitsgründen. Das FA lehnte dies ab, weil es an der Sanierungsabsicht gefehlt habe. Die Verzichte seien in erster Linie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst gewesen.
Die dagegen erhobene Klage hatte im ersten Rechtsgang teilweise (hinsichtlich der Forderungsverzichte in 2004) Erfolg. Nach Zurückverweisung der Sache an das FG durch den BFH gab das FG im zweiten Rechtsgang der Klage auch für die Forderungsverzichte in 2005 statt. Über die Revision des FA gegen dieses Urteil hatte der BFH nun zu entscheiden.
BMF erlässt Übergangsschreiben zur Weitergeltung des Sanierungserlasses
Der BFH hatte wegen des beim Großen Senat anhängigen Grundsatzverfahrens zur Wirkung des Sanierungserlasses das Ruhen des Revisionsverfahren angeordnet. Mit Beschluss vom 28.11.2016, GrS 1/15, BStBl II 2017, 393, entschied der Große Senat, der Sanierungserlass verstoße gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. In Reaktion darauf ordnete das BMF an, dass aus Gründen des Vertrauensschutzes in Fällen, in denen – wie im Streitfall – der Forderungsverzicht bis zum 8.2.2017 (Datum der Veröffentlichung des GrS-Beschlusses) endgültig vollzogen wurde, der Sanierungserlass gleichwohl weiterhin uneingeschränkt anzuwenden sei (BMF-Schreiben v. 27.4.2017, BStBl I 2017, 741). Darauf berief sich die GmbH in dem nun im zweiten Rechtsgang entschiedenen Revisionsverfahren. Zeitgleich mit der Abfassung dieses BMF-Übergangsschreibens erging der Beschluss des Deutschen Bundestags über das Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen (Beschluss v. 27.6.2017, BStBl I 2017, 1202). Dadurch wurden § 3a EStG und § 7b GewStG eingefügt. Die Neuregelungen enthalten nunmehr antragsgebundene Steuerbefreiungstatbestände bei einem Schuldenerlass zum Zweck einer unternehmensbezogenen Sanierung. Diese Steuerbefreiungen sind erstmals in Fällen anzuwenden, in denen die Schulden ganz oder teilweise nach dem 8.2.2017 erlassen wurden (§ 52 Abs. 4a EStG, § 36 Abs. 2c GewStG jeweils n. F.). Vor diesem Hintergrund hatte der BFH über die Revision des FA zu entscheiden.
Entscheidung: Übergangserlass ist ebenfalls rechtswidrig
Der BFH hob das FG-Urteil auf und wies die Klage ab (soweit das FG der Klage nicht bereits rechtskräftig mit dem Urteil im ersten Rechtsgang stattgegeben hat).
Der BFH bestätigt zunächst den Beschluss des Großen Senats vom 28.11.2016, GrS 1/15, BStBl II 2017, 393. Danach beschreiben die im Sanierungserlass aufgestellten Voraussetzungen für einen Billigkeitserlass keinen Fall sachlicher Unbilligkeit i. S. d. § 163, § 227 AO. Deshalb liegt ein Verstoß gegen die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung vor, soweit der Erlass gleichwohl die Befreiung der auf Sanierungsgewinne entfallenden Steuer vorsieht.
Ein Steuererlass lässt sich auch nicht auf das neue BMF-Schreiben vom 27.4.2017, BStBl I 2017, 741, stützen. Das BMF-Übergangsschreiben verstößt ebenfalls gegen den Gesetzmäßigkeitsgrundsatz. Die Finanzverwaltung kann zwar, wenn sich die bisherige Rechtsprechung verschärft oder eine höchstrichterliche Entscheidung von einer bisher allgemein geübten Verwaltungsauffassung abweicht, Übergangs- und Anpassungsregelungen erlassen oder entsprechende Einzelmaßnahmen treffen, um den Steuerpflichtigen im Hinblick auf seine im Vertrauen auf die bisherige Rechtslage getroffenen Dispositionen nicht zu enttäuschen. Ein derartiges geschütztes Vertrauen bestand indes im Fall des Sanierungserlasses nicht. Denn dessen Gesetzmäßigkeit wurde in der Rechtsprechung der FG und im Schrifttum schon frühzeitig infrage gestellt und kontrovers aufgenommen. In dieser Konstellation ist eine Übergangsregelung durch die Verwaltung durch Anordnung der Fortgeltung des Sanierungserlasses für alle Altfälle ausgeschlossen. Bei der unterschiedslosen Anwendung des Sanierungserlasses auf alle Altfälle handelt es sich um eine dem Gesetzgeber vorbehaltene typisierende Vertrauensschutzregelung, die nicht auf die Unbilligkeit nach Lage des Einzelfalls abstellt. Denn es trifft nicht zu, dass in jedem der Altfälle das Vertrauen auf die steuerliche Begünstigung des Sanierungsgewinns ursächlich für die jeweiligen Forderungsverzichte der Gläubiger war und dass alle Gläubiger bei Kenntnis des Fehlens einer Steuerbegünstigung von ihren Forderungserlassen abgesehen hätten.
Der Verstoß gegen das Legalitätsprinzip wird auch aus dem Gesetzgebungsverfahren, das zur Einfügung der § 3a EStG, § 7b GewStG geführt hat, ersichtlich. Für die Altfälle wurde keine Übergangsregelung geschaffen. In der Begründung der Entwurfsfassung des Finanzausschusses wird zwar darauf hingewiesen, dass nach dem BMF-Übergangsschreiben vom 27.4.2017 der Sanierungserlass aus Vertrauensschutzgründen weiterhin anwendbar sei. Da es der Gesetzgeber jedoch unterlassen hat, eine Übergangsregelung zu schaffen, steht es der Verwaltung nicht zu, die bisherige Verwaltungspraxis unter Berufung auf Vertrauensschutzgesichtspunkte im Billigkeitsweg fortzusetzen. Es ist nicht zulässig, generelle Unzulänglichkeiten des Gesetzes – hier das Fehlen einer Übergangsregelung für Altfälle – im Billigkeitsweg zu korrigieren.
Hinweis: Der Gesetzgeber hätte die Altfälle regeln müssen
Der BFH zeigt dem BMF ein zweites Mal seine Schranken auf. Zunächst wurde im November 2016 der Sanierungserlass verworfen. Jetzt hat der BFH auch die vom BMF angeordnete Weitergeltung des Sanierungserlasses für Altfälle gekippt. Die Übergangsregelung für Altfälle hätte nur durch den Gesetzgeber getroffen werden können. Warum dieser Weg nicht beschritten wurde, ist nicht ganz klar. Wie der Hinweis im Finanzausschuss auf den Übergangserlass zeigt, war das Problem der Rückwirkung auf Altfälle jedenfalls bekannt. Die Neuregelung (§3a EStG, § 7b GewStG) tritt erst in Kraft, wenn die EU-Kommission feststellt, dass keine unionsrechtswidrige Beihilfe vorliegt (Art. 6 des Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen v. 27.6.2017, BStBl I 2017, 1202). Möglicherweise wurde in der Rückwirkung für Altfälle eine rechtswidrige Beihilfe gesehen. In dem Parallelurteil vom 23.8.2017, X R 38/15, hat der BFH entsprechend entschieden.
BFH, Urteile v. 23.8.2017, I R 52/14 und X R 38/15; veröffentlicht jeweils am 25.10.2017.
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