Steuerentstehung bei Sollbesteuerung

Die EuGH-Entscheidung "baumgarten sports & more" war von der Fachwelt mit Spannung erwartet worden. Schließlich ging es um die Frage, ob der leistende Unternehmer bei der Sollbesteuerung die Umsatzsteuer vorfinanzieren muss, obwohl er das Entgelt noch nicht vereinnahmt hat.

Vorfinanzierung der Umsatzsteuer

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des BFH (Beschluss v. 21.6.2017, V R 51/16), ging es um die sog. Sollbesteuerung (§ 16 Abs. 1 Satz 1 UStG) bei der Umsatzsteuer. Bei der Sollbesteuerung entsteht die Umsatzsteuer mit Ablauf des Voranmeldezeitraums, in dem die Leistung ausgeführt worden ist. Auf die Fälligkeit oder die Vereinnahmung des Entgelts kommt es nicht an. Dies führt dazu, dass der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer auf die von ihm ausgeführten Leistungen an das Finanzamt abführen muss, auch wenn er das Entgelt noch nicht vereinnahmt hat. Sofern das Entgelt erst nach Ablauf des Voranmeldezeitraums fällig wird, muss der Unternehmer die Umsatzsteuer somit vorfinanzieren. Korrespondierend zu dieser Sollbesteuerung kann der Unternehmer aber auch sein Vorsteuerabzugsrecht unabhängig vom Fälligkeits- oder Zahlungszeitpunkt geltend machen, sobald er eine Leistung bezogen hat und ihm diese in Rechnung gestellt wurde.

Istbesteuerung steht nicht jedem offen

Kleinere Unternehmer (mit einem Gesamtumsatz bis 500.000 EUR oder bei Befreiung von der Buchführungspflicht nach § 148 AO) sowie Freiberufler (i.S.d. § 18 EStG) können dagegen beim Finanzamt die sog. Istbesteuerung (§ 20 UStG) beantragen. Danach entsteht die Umsatzsteuer erst in dem Zeitpunkt, in dem der Unternehmer das Entgelt tatsächlich vereinnahmt. Eine Vorfinanzierung der Umsatzsteuer durch den leistenden Unternehmer tritt in diesem Fall nicht ein.

Provisionszahlungen an Spielervermittlerin

Der Streitfall betraf eine Spielervermittlerin, die im bezahlten Fußball tätig ist. Bei erfolgreicher Vermittlung von Profifußballspielern erhielt sie Provisionszahlungen von den aufnehmenden Fußballvereinen. Die Provisionszahlungen waren in Raten verteilt auf die Laufzeit des Arbeitsvertrages des Spielers zu leisten, wobei die Fälligkeit und das Bestehen der einzelnen Ratenansprüche unter der Bedingung des Fortbestehens des Arbeitsvertrages zwischen Verein und Spieler standen.

Das Finanzamt ging davon aus, dass die Klägerin ihre im Streitjahr 2012 erbrachten Vermittlungsleistungen auch insoweit bereits in 2012 zu versteuern habe, als sie Ratenzahlungen für diese Vermittlungsleistungen vertragsgemäß erst im Jahr 2015 beanspruchen konnte. Es erließ einen Umsatzsteuerbescheid für 2012, in dem es die anteiligen Provisionszahlungen aus der Vermittlung von Spielern, die erst im Jahr 2015 fällig waren, bereits im Streitjahr der Umsatzsteuer unterwarf. Das Finanzgericht gab der hiergegen gerichteten Klage statt.

Vorlagefragen an den EuGH

Mit seinen Vorlagefragen an den EuGH wollte der BFH wissen, ob die unionsrechtlichen Regelungen zur Sollbesteuerung (Art. 63 MwStSystRL) – entgegen ihrem Wortlaut – einschränkend dahin auszulegen sind, dass die Umsatzsteuer erst entsteht, wenn das Entgelt fällig ist oder unbedingt geschuldet wird (1. Vorlagefrage).

Hilfsweise wollte der BFH wissen, ob die Pflicht des Steuerpflichtigen zur Vorfinanzierung der Umsatzsteuer mit übergeordneten Besteuerungs- und Rechtsprinzipien des Unionsrechts (Grundsätze der Proportionalität der Steuer und Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 20 EUGrdRCh) vereinbar ist (2. Vorlagefrage).

Falls der EuGH dies bejahen sollte, wollte der BFH zudem wissen, ob die Mitgliedstaaten bei hinausgeschobener Fälligkeit eine Berichtigung der Umsatzsteuer zulassen dürfen (3. Vorlagefrage).

Die Sollbesteuerung nach dem UStG entspricht den Vorgaben der Art. 63, 66 MwStSystRL. Dies stellte auch der BFH nicht in Zweifel. Er zweifelte gleichwohl daran, dass die mit der Sollbesteuerung einhergehende Vorfinanzierungspflicht der Unternehmen in Fällen, in denen der Leistungsempfänger das Entgelt erst zu einem späteren Zeitpunkt zahlt, den unionsrechtlichen Grundsätzen entspricht.

Entscheidung: EuGH gibt Richtung vor...

Der EuGH hat entschieden, dass - unter den Umständen des Ausgangsverfahrens - die USt nicht zum Zeitpunkt der Vermittlung, sondern mit Ablauf des Zeitraums entsteht, auf den sich die vom Verein geleisteten Zahlungen beziehen. Zur Begründung verweist der EuGH auf die Art. 63 und 64 MwStSystRL und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH. Art. 63 MwStSystRL regelt, dass Steuertatbestand und -anspruch zu dem Zeitpunkt eintreten, zu dem [...] die Dienstleistung erbracht wird. Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL bestimmt den Zeitpunkt, zu dem Dienstleistungen als "bewirkt" anzusehen sind, wenn sie "zu aufeinander folgenden Abrechnungen oder Zahlungen Anlass [geben]". Hiernach sei ein Verständnis für den Ausgangsfall dahingehend möglich, dass Steuertatbestand und -anspruch erst im jeweiligen Jahr der Ratenzahlung entstanden sind.

BFH muss prüfen

Es sei grundsätzlich Sache des BFH als vorlegendes Gerichts, zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Leistung tatsächlich zu den Leistungen zählt, die i. S. v. Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL "zu aufeinander folgenden Abrechnungen oder Zahlungen Anlass [geben]". Allerdings sei, insoweit gibt der EuGH dem BFH Hinweise, darauf hinzuweisen, dass dies bei einer Leistung wie der im Ausgangsverfahren, die in der Vermittlung eines Spielers an einen Verein für eine bestimmte Anzahl von Spielzeiten besteht und durch unter einer Bedingung stehende Ratenzahlungen über mehrere Jahre nach der Vermittlung vergütet wird, der Fall zu sein scheint (vgl. entsprechend EuGH, Urteil v. 3.9.2015, C-463/14 (Asparuhovo Lake Investment Company)). Daraus folge, dass vorbehaltlich der dem BFH obliegenden Prüfungen davon auszugehen ist, dass der Steuertatbestand und der Steueranspruch bezüglich einer Leistung wie der im Ausgangsverfahren nicht zum Zeitpunkt der Vermittlung, sondern mit Ablauf des Zeitraums eintreten, auf den sich die vom Verein geleisteten Zahlungen beziehen.

Keine grundsätzliche Einschränkung der Sollbesteuerung

Der EuGH hat nicht - obwohl die Fragen des BFH hierauf abzielten - die Sollbesteuerung grundsätzlich eingeschränkt, sondern ganz offensichtlich "nur" eine Einzelfallentscheidung in Bezug auf Spielervermittler getroffen. Statt auf den Zeitpunkt der Leistungserbringung dürfte es in vergleichbaren Einzelfällen zukünftig auch im Rahmen der Sollbesteuerung auf den jeweiligen Zeitpunkt der Entgeltvereinnahmung ankommen.

Das UStG steht aber wohl mit dem Urteil im Einklang. In § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 UStG könnte der Zeitpunkt der Ausführung der Leistung für vergleichbare Einzelfälle unter Berücksichtigung von Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL unionsrechtskonform ausgelegt werden.

Gleichwohl erscheint es sehr zweifelhaft, ob Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL tatsächlich auf den Ausgangsfall zur Anwendung kommen kann. Nach dem Wortlaut sind eine Mehrzahl von Lieferungen bzw. Leistungen (Verwendung des Plurals) Voraussetzung für die Fiktion. Die Klägerin im Ausgangsverfahren hat aber nur eine Leistung (die Vermittlung des Spielers) erbracht, die mit dem Vertragsschluss zwischen Spieler und Verein abgeschlossen war. Allenfalls denkbar wäre, dass die (einmalige) Spielervermittlung als (dauerhafte) "Spielerbetreuung" konstruiert wird, um hierdurch den Anwendungsbereich von Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL zu öffnen. Argument hierfür könnte sein, dass die Klägerin während der Vertragsdauer des Spielers an seinem (ggf. prämienabhängigen) Gehalt partizipierte und sie daher fortwährend auf diesen Einfluss nahm. Diese Konstruktion ist aber eher wenig überzeugend und dürfte auch nicht auf alle Sachverhalte bei Spielervermittlungen zutreffen. Somit ist damit zu rechnen, dass ein anderes Gericht bei nächster Gelegenheit erneut den EuGH zur weitergehenden Konkretisierung und Klarstellung anrufen wird.

So gibt die MwStSystRL in Art. 63 ausdrücklich vor, dass Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt eintreten, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird. Abweichend hiervon "können" die Mitgliedstaaten gem. Art. 66 MwStSystRL vorsehen, dass der Steueranspruch (lediglich) für bestimmte Umsätze oder Gruppen von Steuerpflichtigen zu einem späteren Zeitpunkt entsteht (spätestens bei Ausstellung der Rechnung, Vereinnahmung des Preises oder Ablauf einer bestimmten Frist). Von dieser Möglichkeit hat Deutschland mit der sog. Istbesteuerung nach § 20 UStG Gebrauch gemacht.

Aus der Kann-Bestimmung des Art. 66 MwStSystRL und der darin enthaltenen Einschränkung auf bestimmte Umsätze oder Gruppen von Steuerpflichtigen könnte im Umkehrschluss folgen, dass die USt grundsätzlich unabhängig vom Fälligkeitszeitpunkt der Leistung entsteht.

Die unterschiedliche Behandlung von Unternehmern, je nachdem ob sie der Soll- oder der Istbesteuerung unterliegen, ist von der MwStSystRL ausdrücklich vorgesehen.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass der leistende Unternehmer aus seinen eigenen Leistungsbezügen die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer - unter den weiteren Voraussetzungen – unabhängig vom Zeitpunkt der Entgeltzahlung oder der Fälligkeit sofort als Vorsteuer abziehen kann (Art. 167 i.V.m. Art. 178 Buchst. a MwStSystRL). Gleiches gilt für den Leistungsempfänger, sofern es sich um einen Unternehmer handelt, der zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Insoweit besteht also ein Liquiditätsvorteil beim Unternehmer zulasten des Fiskus.

Auch hat es der leistende Unternehmer selbst in der Hand, eine Vorfinanzierung der Umsatzsteuer zu vermeiden, indem er Anzahlungen fordert oder kurze Fälligkeiten vorgibt.

Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht gewinnt an Bedeutung

In seiner bisherigen Rechtsprechung hatte der EuGH Zweifeln an der Vereinbarkeit ausdrücklicher Vorgaben der MwStSystRL mit allgemeinen Unionsrechtsgrundsätzen – soweit ersichtlich – stets eine Absage erteilt. Dies hat der EuGH vorliegend etwas aufgeweicht. Zudem hat die Vereinbarkeit von Richtlinienbestimmungen mit höherrangigem Recht seit der Verabschiedung der EU-Grundrechtecharta an Bedeutung gewonnen. Im Bereich der MwSt liegt hierzu aber noch keine gefestigte EuGH-Rechtsprechung vor.

Würdigung als wirtschaftlich teilbare Leistung?

Hinsichtlich des Ausgangsfalles ist aber auch anzumerken, dass die Würdigung des BFH (sowie des Finanzamtes), wonach die Klägerin ihre Vermittlungsleistungen bereits mit Abschluss der Arbeitsverträge der Fußballspieler ausgeführt hat, zweifelhaft erscheinen könnte. Da die Zahlung der Raten in den späteren Jahren vom Fortbestehen der vermittelten Arbeitsverträge abhängig war, käme hier ggf. auch eine Würdigung als wirtschaftlich teilbare Leistung in Betracht. Dann würde die USt – entsprechend den Ratenzahlungen – (gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 2 und 3 UStG/Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL) erst mit (Ablauf des Voranmeldezeitraums der) Erbringung der jeweiligen Teilleistung entstehen und eine Vorfinanzierung durch die Klägerin entfallen. Dafür hat sich vorliegend der EuGH im Ergebnis wohl auch ausgesprochen.

In dem vom EuGH zitierten Urteil C-463/14 war fraglich, wie der Begriff "Dienstleistung" in Art. 24 Abs. 1 und Art. 25 Buchst. b MwStSystRL zu verstehen ist und ob Abonnementverträge über die Erbringung von Beratungsdienstleistungen unter diesen Begriff fallen. Für den Fall, dass dies bejaht wird, sollte festgestellt werden, zu welchem Zeitpunkt bei diesen Verträgen der Steuertatbestand nach Art. 62 - 64 MwStSystRL eintritt und dementsprechend MwSt für die Erbringung der Dienstleistung zu berechnen ist: mit Ablauf des Zeitraums, für den die Zahlung vereinbart wurde, unabhängig davon, ob die vertraglichen Dienstleistungen in Anspruch genommen wurden, oder mit der Erbringung dieser Dienstleistungen, wenn der Empfänger sie in Anspruch genommen hat. Hierzu hatte der EuGH entschieden, dass es sich im vorliegenden Fall um Dauerleistungen handele, die nach Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL zum Ende des jeweiligen Abrechnungszeitraums als bewirkt gelten. Es komme dabei nicht darauf an, dass bei Leistungsbereitschaft eine Leistung tatsächlich in Anspruch genommen wurde.

EuGH, Urteil v. 29.11.2018, C-548/17 (baumgarten sports & more GmbH)


Schlagworte zum Thema:  Umsatzsteuer