Selbständigkeit oder Arbeitnehmereigenschaft von Telefoninterviewern
Hintergrund
Im Rahmen der Lohnsteuerhaftung war streitig, ob Telefoninterviewer als Arbeitnehmer nichtselbständig tätig waren.
K betreibt ein Meinungsforschungsunternehmen. Für sie waren in den Jahren 1998 bis 2002 zwischen 450 und 620 Interviewer tätig, die Befragungen per Telefon durchführten. K stellte ihnen rund 100 Computerarbeitsplätze zur Verfügung. Die Interviewer waren meist in Zeitblöcken von je 4 Stunden tätig. In einer Rahmenvereinbarung war geregelt, dass sie als freie Mitarbeiter tätig seien, die vorgeschlagenen Interviewzeiten ablehnen könnten und keinen zeitlichen Bindungen unterlägen sowie dass die einzelnen Interviews jeweils ein einheitliches Werk seien. Die Honorare waren für jeden Einzelauftrag gesondert vereinbart und vom Mitarbeiter monatlich in Rechnung zu stellen. Der Ablauf der Interviews richtete sich nach festen durch ein Computerprogramm vorgegebenen Regeln.
Das FA qualifizierte die Interviewer als Arbeitnehmer und erließ gegen K einen entsprechenden Haftungsbescheid über LSt und Annexsteuern (SolZ und KiSt). Dem folgte das FG und wies die Klage im Streitpunkt ab.
Entscheidung
Das FG hat bei der Gesamtwürdigung, ob die Interviewer in den geschäftlichen Organismus der K eingegliedert und deren Weisungen zu folgen verpflichtet waren, wichtige Aspekte nicht berücksichtigt und entscheidende Gesichtspunkte nicht ihrer Bedeutung entsprechend einbezogen. Im Einzelnen stellt der BFH folgende Kriterien heraus:
- Erfolgshonorar
Ein Erfolgshonorar ist ein wesentliches Indiz dafür, dass kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt. Das FG hat die Selbständigkeit damit verneint, dass den Interviewern ein begrenzt variables Stundenhonorar gezahlt wurde. Damit verkennt das FG, dass Stundenhonorare auch im Rahmen selbständiger und gewerblicher Tätigkeiten durchaus üblich sind, z.B. bei Handwerkern oder Rechtsanwälten.
- Unternehmerrisiko
Dass die Interviewer nach den Regelungen des Rahmenvertrags durch mehr Befragungen pro Zeiteinheit ihr Honorar über das Grundhonorar hinaus steigern konnten, spricht nicht gegen ein maßgebliches Unternehmerrisiko. Denn auch Selbständige, die durch branchen- oder ortsübliche Stundensätze gebunden sind, können ihre Einkünfte nur durch entsprechend zügigere oder zusätzliche Arbeit steigern. Ferner besteht ein Unternehmerrisiko darin, dass bei einem Interviewabbruch kein Honorar gezahlt wurde. Ein möglicher Honorarausfall entspricht der typischen wirtschaftlichen Situation eines selbständig Tätigen, auch wenn es - wie im Streitfall in 10 % der Interviews - nur selten zu einem Ausfall kommt.
- Lohnfortzahlung
Typischerweise liegt keine Arbeitnehmertätigkeit vor, wenn der Auftragnehmer im Fall einer Erkrankung oder Urlaubsabwesenheit keine Aufträge ausführen und keine Einnahmen erzielen kann. Entsprechendes gilt, wenn - wie im Streitfall - die Mitarbeiter darüber hinaus sogar die Möglichkeit haben, Aufträge abzulehnen.
- Nebentätigkeit
Fehlendes Unternehmerrisiko lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass die Interviewer im Rahmen einer Nebentätigkeit, also nur in geringem zeitlichen Umfang arbeiten sollten. Denn der Umfang des wirtschaftlichen Risikos richtet sich nicht nach dem Verhältnis der tatsächlichen zu der maximal möglichen Arbeitszeit.
- Sozialleistungen
Das FG hat auch zu Unrecht angenommen, die Nichtgewährung von Sozialleistungen spreche nicht für die Selbständigkeit der Interviewer, da diese lediglich in Teilzeit beschäftigt gewesen seien. Das Gegenteil ist richtig. Die - hier nicht vorliegenden - Merkmale Urlaubsanspruch, Anspruch auf sonstige Sozialleistungen und auf Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall sind typische Merkmale, die für eine Arbeitnehmereigenschaft sprechen.
- Gesamtwürdigung
Die Frage, ob nach dem Gesamtbild der Verhältnisse eine Tätigkeit selbständig oder nichtselbständig ausgeübt wird, hat das FG als Tatsacheninstanz zu beurteilen. Diese Wertung ist vom BFH wegen der grundsätzlichen Bindung an die Tatsachenfeststellung des FG nur begrenzt überprüfbar. Das ist der Fall, wenn das FG maßgebliche Umstände nicht vollständig oder ihrer Bedeutung entsprechend in seine Überzeugungsbildung einbezogen hat. Dann liegt ein materiell-rechtlicher Fehler vor, der dazu führt, dass die rechtsfehlerhafte Gesamtwürdigung des FG für den BFH nicht bindend ist.
Hinweis
Das FG hat die herkömmlichen Abgrenzungsmerkmale herangezogen, dabei jedoch der organisatorischen Einbindung der Interviewer in den Betrieb des Meinungsforschungsinstituts wegen der Zurverfügungstellung der Technik sowie der Vorgabe und Kontrolle der Interviewführung zu starke Bedeutung zugemessen. Der BFH stellt demgegenüber eher auf den Vergleich mit selbständigen Handwerkern oder Freiberuflern ab.
Der BFH hebt hervor, dass eine Vergütung auf der Basis von Erfolgshonoraren ein wesentliches Indiz dafür ist, dass keine abhängige Beschäftigung vorliegt. Das kann jedoch nur dann gelten, wenn die Vereinbarung den tatsächlichen Verhältnissen nicht widerspricht. Es ist daher stets zu prüfen, ob die getroffenen Vereinbarungen in der betrieblichen Praxis tatsächlich so wie vereinbart durchgeführt wurden.
BFH, Urteil v. 18.6.2015, VI R 77/12, veröffentlicht am 16.9.2015
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