EuGH-Vorlage zur Umsatzsteuerbefreiung für medizinische Hotline
Hintergrund: Telefonberatung im Auftrag von Krankenkassen
Eine GmbH betrieb in 2014 im Auftrag von gesetzlichen Krankenkassen ein "Gesundheitstelefon" (Hotline), bei dem Versicherte medizinisch beraten wurden. Außerdem führte die GmbH Patientenbegleitprogramme für längere Zeit erkrankte Patienten durch. Diese Versicherten konnten auf der Basis von Abrechnungsdaten und Krankheitsbildern Informationen zu ihrer Erkrankung erhalten. Dabei wurden Diagnosen und mögliche Therapien erklärt und Ratschläge zu Verhaltens- und Behandlungsänderungen erteilt. Die telefonischen Beratungen wurden durch Krankenschwestern und medizinische Fachangestellte erbracht, die größtenteils als "Gesundheitscoach" ausgebildet waren. In rund 1/3 der Fälle wurde ein Arzt hinzugezogen. Die abgeschlossenen Fälle wurden stichprobenartig dem ärztlichen Leiter zugespielt und überprüft. Schwerpunkt der Patientenbegleitprogramme war, das Verständnis für ihre Krankheit und die Einnahme der Medikamente oder die Teilnahme an anderen Therapien zu verbessern und dadurch erneute stationäre Aufnahmen zu verringern.
Das FA beurteilte die Umsätze aus dem Betrieb des Gesundheitstelefons und der Patientenbegleitprogramme als steuerpflichtig. Die dagegen erhobene Klage wies das FG mit der Begründung ab, die telefonischen Beratungen hätten keinen hinreichend engen Bezug zu den von den behandelnden Ärzten durchgeführten Maßnahmen.
Entscheidung: Klärungsbedarf für beide Bereiche: Gesundheitstelefon und Patientenbegleitprogramm
Der Begriff der steuerbefreiten "Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin" i.S.v. § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG ist richtlinienkonform entsprechend Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL auszulegen. Danach liegt eine Heilbehandlung nur bei therapeutischer Zweckbestimmtheit vor. Dabei handelt es sich um die Beurteilung einer medizinischen Frage, die auf medizinischen Feststellungen beruhen muss, die von dem entsprechenden Fachpersonal getroffen worden sind. Die rein subjektive Vorstellung, die der Patient von der Leistung hat, ist nicht entscheidend (BFH Urteil vom 01.10.2014 - XI R 13/14, BFH/NV 2015, 451).
Kein persönlicher Kontakt bei Gesundheits-Hotline
Hiervon ausgehend fallen bei einem engen Verständnis der Steuerbefreiung die telefonischen Beratungsleistungen nicht darunter. Denn es steht weder fest, ob sich an die Beratung eine ärztliche Heilbehandlung anschließt, noch ob die Beratungen als "Erstberatung" Bestandteil einer komplexen Heilbehandlung werden. Zudem erfolgt die Information der Anrufenden - zumindest teilweise - nicht auf Grundlage vorheriger medizinischer Feststellungen oder Anordnungen und außerdem in allen Fällen ohne persönlichen Kontakt nur am Telefon.
Hotline könnte begünstigt sein
Der BFH beantragt eine Klärung durch den EuGH, ob die Auffassung zutreffend ist, dass solche telefonische Beratungsleistungen, die möglicherweise im Vorfeld einer ärztlichen Behandlung sattfinden, nicht unter die Befreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL fallen. Fraglich ist, ob die vorhandene Rechtsprechung zur Differenzierung zwischen steuerfreien Heilbehandlungen und Behandlungen, die lediglich zur Befriedigung allgemeiner Lebensbedürfnisse (Freizeit, Wellness, Kosmetik) vorgenommen wurden, heranzuziehen ist. In diesem Grenzbereich werden von entsprechendem Fachpersonal durchgeführte medizinische Feststellungen verlangt (BFH Urteil vom 01.10.2014 - XI R 13/14, BFH/NV 2015, 451). Würde man diese Parallele verneinen, wären telefonische Informationsleistungen, die nicht unter Freizeit- oder Wellnessgesichtspunkten, sondern aufgrund eines konkreten medizinischen Anliegens in Anspruch genommen wurden, grundsätzlich nicht von der Steuerbefreiung ausgeschlossen.
Patientenbegleitprogramme sind Heilbehandlungen
Die Patientenbegleitprogramme fallen prinzipiell in den Anwendungsbereich der Steuerbefreiung. Es handelt sich um Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, da diese als Patientenschulungen im Rahmen der ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation (§ 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB V) nur gegenüber Teilnehmern mit von ärztlichem Fachpersonal diagnostizierter chronischer Krankheit erbracht werden und damit nachgewiesen einen therapeutischen Zweck haben. Auf das Fehlen einer ärztlichen Anordnung kommt es insoweit nicht an.
Problematik des Fachpersonals
Es stellt sich jedoch – sowohl für die Patientenbegleitprogramme als auch für den Bereich des Gesundheitstelefons – die Frage, ob aufgrund des genutzten Mediums Telefon eine Zusatzqualifikation der Ausführenden zu fordern ist. Eine Heilbehandlung ist nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL wenn sie im Rahmen der Ausübung ärztlicher und arztähnlicher Berufe erbracht wird. Die Definition der ärztlichen oder arztähnlichen Berufe obliegt den Mitgliedstaaten. Dementsprechend regelt § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG, dass Leistungen im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt ... oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit erfasst werden. Fraglich ist, ob diese für herkömmliche Heilbehandlungen definierten Qualifikationsmerkmale eines ärztlichen und arztähnlichen Berufs auch für Heilbehandlungen gelten, die – z.B. im Bereich der Telemedizin - ohne persönlichen Kontakt erbracht werden bzw. ob und inwieweit hier andere Anforderungen zu stellen sind. Im Streitfall waren überwiegend Krankenschwestern und medizinische Fachangestellte tätig. Die Frage der beruflichen Qualifikation stellt sich für beide Bereiche (Gesundheitstelefon und Patientenbegleitprogramm).
Hinweis: Wachsender Bereich der Telemedizin
Angesichts des sich in einigen Gebieten abzeichnenden Ärztemangels dürfte der Bereich der Telemedizin zunehmen. Unabhängig von der Entscheidung des EuGH wird hier auch der Gesetzgeber tätig werden müssen. Dabei dürfte zwischen den Fällen der bloßen telefonischen Besprechung und den Möglichkeiten des Kontakts mittels Bildschirms zu unterschieden sein.
BFH Beschluss vom 18.09.2018 - XI R 19/15 (veröffentlicht am 23.01.2019)
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