Umsatzsteuerbefreiung für die Abrechnung von Krankentransporten
Hintergrund: Abrechnung für fremde Leistungserbringer
Streitig war, ob die von dem A-Verband durchgeführte Abrechnung von Krankentransport und Notfallrettung gegenüber den Sozialleistungsträgern für fremde Leistungserbringer der USt unterliegt.
Der als gemeinnützig anerkannte A-Verband der freien Wohlfahrtspflege ist als Leistungserbringer im öffentlichen Rettungsdienst tätig.
Träger des öffentlichen Rettungsdienstes ist der Landkreis. A wickelt die Abrechnung der Rettungsdienstleistungen selbständig mit den Kostenträgern ab.
Ab 2012 verlangten die Sozialleistungsträger, dass aus Kostengründen in jedem Landkreis nur eine Abrechnungsstelle vorgehalten wird. Dementsprechend führte A (nach einer Vertragsanpassung) neben der Abrechnung der eigenen Einsätze auch die Abrechnungen der Einsätze für vier andere Leistungserbringer in den Bereichen Rettungsdienst und Krankentransport gegenüber den Kostenträgern durch.
Als Grundlage dafür bestehen jeweils 3-seitige Vereinbarungen zwischen dem Träger des Rettungsdienstes (Landkreis), A und den anderen Leistungserbringern. Die Abrechnung des Rettungsdienstes erfolgt ausdrücklich im Auftrag des Landkreises.
Das FA vertrat die Auffassung, der Betrieb der Abrechnungsstelle – mit Ausnahme der Abrechnung der eigenen Rettungsdienstleistungen – stelle eine gesondert zu beurteilende selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit dar, die die Voraussetzungen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs nach § 14 AO erfülle und kein Zweckbetrieb i.S. der §§ 66 und 65 AO sei. Eine USt-Befreiung nach § 4 Nr. 18 UStG oder Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL für die Leistungen der Abrechnungsstelle für die anderen Leistungserbringer komme nicht in Betracht.
Das FG folgte dem FA und wies die Klage ab.
Der BFH hatte das Ruhen des Revisionsverfahrens bis zur Entscheidung des EuGH in dem Verfahren C-657/19 angeordnet (BFH v. 22.7.2020, XI R 42/19, n.v.). Nach Ergehen des EuGH-Urteils "Finanzamt D" v. 8.10.2020, C-657/19 (EU:C:2020:811, BFH/NV 2021, 174) wurde das Revisionsverfahren fortgesetzt.
Entscheidung: Unionsrechtliche Steuerbefreiung
Der BFH lässt offen, ob die Abrechnungsleistungen bereits nach § 4 Nr. 17 Buchst. b oder Nr. 18 UStG steuerfrei sind. Jedenfalls sind sie nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL steuerbefreit. Entgegen dem Urteil des FG erbringt A auch im Hinblick auf die Abrechnungen für andere Leistungserbringer steuerbefreite Leistungen und ist auch insoweit als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt.
Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL
Die Steuerbefreiung knüpft an leistungs- und an personenbezogene Voraussetzungen an: Es muss sich (1.) um eng mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen handeln, die (2.) von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen erbracht werden, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind (EuGH-Urteil "Kingscrest Associates und Montecello" v. 26.5.2005, C-498/03, EU:C:2005:322, Rz 34; BFH v. 18.8.2005, V R 71/03, BStBl II 2006, 143, Rz 45 und 46; BFH v. 7.12.2016, XI R 5/15, BFH/NV 2017, 863).
Eng mit der Sozialfürsorge verbundene Dienstleistungen
Um das Merkmal "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden" i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL zu erfüllen, muss die Leistung jedenfalls für die der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unterfallenden Umsätze unerlässlich sein (EuGH-Urteil "Finanzamt D", EU:C:2020:811, Rz 31). Das ist hier der Fall. Die von A mit seiner Haupttätigkeit erbrachten Leistungen des Krankentransports und der Notfallrettung sind dem Grunde nach begünstigt. Die Abrechnung des A über diese Leistungen ist Teil derselben.
Auch die Abrechnung für andere Leistungsträger ist begünstigt
Soweit das FG eine eng mit der Sozialfürsorge verbundene Dienstleistung verneint hat, weil A die betreffende Abrechnungsleistung nicht gegenüber dem jeweiligen Hilfsbedürftigen erbracht hat, sondern gegenüber einem anderen Leistungserbringer, widerspricht dies dem EuGH-Urteil "Finanzamt D" (EU:C:2020:811). Denn danach hängt die Steuerbefreiung von Dienstleistungen nicht davon ab, an wen sie erbracht werden. Sie müssen lediglich einen für die Durchführung der Maßnahmen der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit unerlässlichen Schritt darstellen (EuGH-Urteil "Finanzamt D", EU:C:2020:811, Rz 36).
Anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter
Bei dem A-Verband handelt es sich auch um eine anerkannte Einrichtung mit im Wesentlichen sozialem Charakter i.S.v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL. Die Übernahme der Kosten durch die Sozialleistungsträger beruht auf speziellen vertraglichen Grundlagen. Nur auf Geheiß der Sozialleistungsträger hatte es A übernommen, Leistungen auch für dritte Leistungserbringer abzurechnen.
Zurückverweisung an das FG
Der BFH verwies die Sache an das FG zurück, da Feststellungen zur Höhe der steuerfreien Umsätze fehlen.
Hinweis: Geänderte Auffassung des BFH
Der BFH ging bisher davon aus, Leistungen seien dann nicht eng mit der Sozialfürsorge verbunden, wenn sie nicht unmittelbar gegenüber dem Hilfsbedürftigen, sondern an einen Unternehmer erbracht werden, der sie benötigt, um seine eigene steuerbefreite Ausgangsleistung an den jeweiligen Patienten oder Hilfsbedürftigen zu erbringen. Dementsprechend wurde der Transport von Notärzten (als Leistung gegenüber dem Arzt und nicht gegenüber dem Patienten) nicht als steuerbefreit beurteilt (BFH v. 1.12.2020, XI R 46/08, BFH/NV 202011, 712). An dieser engen Auffassung hält der BFH nach dem EuGH-Urteil "Finanzamt D", EU:C:2020:811 nicht mehr fest.
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