Umsatzsteuerfreie Leistungserbringung beim Jugendfreiwilligendienst
Hintergrund: Pauschalentgelt an den Träger des Jugendfreiwilligendiensts
Die X-GmbH verfolgt mit der Förderung der Berufsbildung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke (§§ 51 f. AO). Sie betreibt ein Zentrum für Freiwilligendienste (insbesondere Freiwilliges Soziales Jahr – FSJ -), in dem die Teilnehmer auf ihren Dienst vorbereitet und betreut werden. Die Teilnehmer erhalten von X ein Taschengeld und bei Bedarf unentgeltlich Unterkunft, Verpflegung usw.
Die (ebenfalls als gemeinnützig anerkannten) Einsatzstellen zahlten in 2017 an X für jeden Teilnehmer eine monatliche Pauschale zur Abdeckung der Ausgaben der X.
Das FA ging davon aus, zwischen X und der jeweiligen Einsatzstelle liege eine steuerpflichtige Personalüberlassung vor.
Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt. Zwar scheide eine Steuerbefreiung nach nationalem Recht aus. X könne sich jedoch unmittelbar auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen.
Entscheidung: Mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistung
Der BFH bestätigt die unionsrechtliche Steuerfreiheit. Dabei kann dahinstehen, ob überhaupt eine entgeltliche Leistung i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG vorliegt. Die Leistung ist jedenfalls nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL steuerfrei. Danach befreien die Mitgliedstaaten "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen (...), die durch (...) als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden".
Unternehmensbezogene Voraussetzung
Die unternehmensbezogene Anerkennung ergibt sich für den Streitfall aus § 10 des Jugendfreiwilligendienstgesetzes (JFDG). Danach ist X als Träger für die Freiwilligendienste nach dem JFDG zugelassen.
Auch die leistungsbezogene Voraussetzung ist erfüllt
Aus dem Gesamtkonzept und der gesetzlichen Ausgestaltung des Jugendfreiwilligendiensts ergibt sich, dass auch die leistungsbezogene Voraussetzung – eine eng mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit verbundene Leistung – vorliegt. Die Jugendfreiwilligendienste gehören zu den besonderen Formen des bürgerschaftlichen Engagements. Die Trennung zwischen dem Träger und den Einsatzstellen erfordert vertragliche Regeln. Diese Vereinbarungen ermöglichen einen "kompetenzbasierten Bildungsdienst", wobei sichergestellt werden soll, dass Träger und Einsatzstellen dem "Gedanken der Arbeitsmarktneutralität" Rechnung tragen, damit junge Menschen Fähigkeiten erwerben, die "in Bildungs- und Beschäftigungskontexten von Nutzen sind" (BT-Drs. 16/6519, S. 13).
Entgelt für eine soziale Dienstleistung
In Streitfall liegt eine Vereinbarung zwischen X als Träger des Jugendfreiwilligendiensts und dem Freiwilligen in dem Sinne vor, dass X Taschengeld, Unterkunft usw. übernimmt (zweiseitiger Vertrag, § 11 Abs. 1 JFDG). Daneben war eine weitere Vereinbarung erforderlich, nach der X von der Einsatzstelle eine Pauschale für die Übernahme dieser Kosten erhält. Bei dieser Pauschale handelt es sich um ein Entgelt für eine eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistung i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL. Denn nach der gesetzlichen Konzeption soll im Endergebnis die Einsatzstelle die Kosten für Taschengeld usw. tragen. Diese zusätzliche Vereinbarung zur Kostentragung mit der Einsatzstelle hebt die enge Verbindung mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit nicht auf. Denn die ergänzende Vereinbarung dient ausschließlich dazu, den Freiwilligen ihre Tätigkeit bei den Einsatzstellen zu ermöglichen und entspricht damit den Leistungen beim Einsatz von Zivildienstleistenden, die der BFH auf vergleichbarer Grundlage als steuerfrei angesehen hat (BFH v. 23.7.2009, V R 93/07, BStBl II 2015, 735).
Keine (nicht steuerbefreite) Personalgestellung
Zwar sind entgeltliche Personalgestellungen, auch wenn die Tätigkeit im Sozialbereich erbracht wird, nicht steuerbefreit. (EuGH "go fair" Zeitarbeit v. 12.03.2015 – C-594/13, EU:2015:164, BStBl II 2015, 980, Rz. 28). Die Tätigkeit der X als Trägerin des Jugendfreiwilligendienstes unterscheidet sich jedoch von einer steuerpflichtigen Personalgestellung bereits dadurch, dass sie das freiwillige soziale Jahr pädagogisch mit dem Ziel begleitet, soziale, kulturelle und interkulturelle Kompetenzen zu vermitteln und das Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl zu stärken. Maßgeblich ist letztlich die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements durch den Freiwilligendienst (vgl. § 1 Abs. 1 JFDG).
Hinweis: verschiedene Vertragsgestaltungen
Die Entscheidung betrifft das zum 1.6.2008 in Kraft getretene Jugendfreiwilligendienstgesetz (JFDG). Danach schließt der Träger (zugelassene Einrichtung) mit der Einsatzstelle (z.B. soziale Einrichtung) eine Vereinbarungen über die Durchführung des Diensts (§ 5 Abs. 4 JFDG). Daneben schließt der Freiwillige mit dem Träger eine zweiseitige Vereinbarung über Taschengeld, Unterkunft usw. (§ 11 Abs. 1 JFDG). Diese Vereinbarung kann auch als dreiseitige Vereinbarung zwischen dem Träger, der Einsatzstelle und dem Freiwilligen geschlossen werden (§ 11 Abs. 2 JFDG, sog. gemeinsame Vereinbarung). Der BFH sieht diese Vertragsgestaltungen als gleichrangig an, so dass in beiden Fallgestaltungen die unionsrechtliche Steuerbefreiung greift.
Keine Verallgemeinerung für andere Tätigkeiten
Der BFH bemerkt, dass die Entscheidung nur Tätigkeiten innerhalb des im Streitfall betroffenen Freiwilligen Sozialen Jahrs betrifft. Diese Tätigkeiten fallen unter Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL. Die Tätigkeiten außerhalb des FSJ (Freiwilliges Ökologisches Jahr, kombinierter Freiwilligendienst, Auslandsdienst) sind eigenständig zu werten.
BFH Urteil vom 24.06.2020 - V R 21/19 (veröffentlicht am 10.09.2020)
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