Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung gegen wiederkehrende Bezüge
Hintergrund
Die Finanzverwaltung hat in R 139 Abs. 11 EstR 2001 Steuerpflichtigen, die einen Betrieb gegen Leibrente veräußern, ein Wahlrecht eingeräumt. Sie können den bei der Veräußerung entstandenen Gewinn entweder sofort versteuern (Satz 2) oder statt dessen die Rentenzahlungen als nachträgliche Betriebseinnahmen i.S des § 15 i.V.m. § 24 Nr. 2 EStG behandeln (Satz 6). In diesem Fall entsteht ein Gewinn, wenn die Rentenzahlungen das steuerliche Kapitalkonto des Veräußerers … übersteigen (Satz 7). Diese Wahlmöglichkeit hat auch ein Steuerpflichtiger, der eine Beteiligung i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG gegen Leibrente veräußert (R 140 Abs. 7 Satz 2 EstR 2001).
K war seit Juli 1997 zu mehr als 25 % an einer AG beteiligt. Im September 1999 und Juni 2000 veräußerte er die Aktien gegen Leibrenten. Dabei machte er gegenüber dem Finanzamt von dem Wahlrecht Gebrauch, die Rentenzahlungen als nachträgliche Betriebseinnahmen zu behandeln (sog. Zuflussbesteuerung). Im Jahr 2004 flossen K Einnahmen von 402 980 EUR zu. Bei der Veranlagung 2004 erklärte er Einkünfte aus Gewerbebetrieb von 201 490 EUR und gab zur Begründung an, die Einnahmen unerlägen dem Halbeinkünfteverfahren. Das Finanzamt erfasste die Einnahmen hingegen in voller Höhe. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Finanzamt und Finanzgericht gingen davon aus, bei der Wahl Zuflussbesteuerung seien die nachträglichen Einkünfte nach dem Recht zu besteuern, das im Zeitpunkt der Realisierung des Veräußerungsgewinns gegolten habe. Auf Veräußerungen in den Jahren 1999 und 2000 aber sei das Halbeinkünfteverfahren noch nicht anwendbar gewesen.
Entscheidung
Der BFH hob das finanzgerichtliche Urteil auf und gab der Klage statt.
Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung (im BMF-Schreiben v. 3.8.2004, BStBl I 2004 S. 1187) richtet sich bei der Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung und der Wahl der Zuflussbesteuerung die Besteuerung nach dem im Zeitpunkt des Zuflusses geltenden Rechts.
Dem steht – anders als Finanzamt und Finanzgericht angenommen haben – nicht entgegen, dass nach der Rechtsprechung die Gewinnermittlung nach § 17 Abs. 2 EStG eine Stichtagsbetrachtung erfordert. Denn mit der fakultativen Wahl der Zuflussbesteuerung bei Einkünften i.S. von § 17 Abs. 1 EStG ist der Stichtagsbetrachtung generell der Boden entzogen. Der Übergang zur Zuflussbesteuerung hat nämlich nicht nur Auswirkungen auf den Zeitpunkt der Besteuerung, sondern auch auf den Realisationszeitpunkt. Der Veräußerungsgewinn entsteht in diesem Fall nicht bereits im Zeitpunkt der Veräußerung, sondern sukzessive mit dem Zufluss jeder einzelnen Zahlung nach Überschreiten der Gewinnschwelle. Bis zum Erreichen der Gewinnschwelle ist ein Gewinn noch gar nicht entstanden.
Die im Streitjahr bezogenen Leibrentenzahlungen, die den „Veräußerungspreis“ i.S. von § 17 Abs. 2 EStG bilden, bleiben deshalb gemäß § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c Satz 1 EStG zur Hälfte steuerfrei.
Anmerkung
Der Kläger des Streitfalls war erkennbar gut beraten, als er im Zuge der Veräußerung seiner wesentlichen Beteiligung statt der Sofortbesteuerung die Zuflussbesteuerung wählte und damit in den Genuss des erst später eingeführten Halbeinkünfteverfahrens kam. Diese „nachträgliche“ Begünstigung durch die Anwendung von im Zeitpunkt der Veräußerung noch nicht geltenden Rechts hat der BFH ausdrücklich nicht als schädlich oder ungewöhnlich angesehen. Denn genau so gut hätte sich die Rechtslage zum Nachteil des K verändern können – zB. durch eine Anhebung des persönlichen Steuersatzes. Eine effektiv gleiche steuerliche Belastung für den Fall der Sofortbesteuerung und für den Fall der Zuflussbesteuerung wäre nur dann gewährleistet, wenn sich über die gesamte Laufzeit der Zuflussbesteuerung die rechtlichen und persönlichen Verhältnisse nicht ändern würden. Das aber erscheint allein im Hinblick auf die Steuerpolitik ausgeschlossen.
Hinweis
Nach dem Halbeinkünfteverfahren werden erstmals Veräußerungen besteuert, die bei kalendergleichem Wirtschaftsjahr im Jahr 2002 und bei vom Kalenderjahr abweichendem Wirtschaftsjahr im Jahr 2003 erfolgt sind (so z.B. BFH, Urteil v. 27.3.2007, VIII R 60/05, BStBl II 2008 S. 303, unter II.2.a). Von dieser Rechtsprechung ist der BFH mit der Besprechungentscheidung, in der die Veräußerungen 1999 bzw. 2000 erfolgt waren, keineswegs abgewichen. Denn diese Rechtsprechung betraf, wie der BFH nunmehr betont, Fälle der Regelbesteuerung nach dem Stichtagsprinzip und stellte darauf ab, dass der Veräußerungsgewinn jeweils vor Einführung des Halbeinkünfteverfahrens realisiert war. Das war in dem nun entschiedenen Fall aber gerade nicht der Fall.
Durch das UntStReformG 2008 ist mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2009 das Halbeinkünfteverfahren für Einkünfte im privaten Bereich abgeschafft und im betrieblichen Bereich auf ein Teileinkünfteverfahren mit 60 % reduziert worden.
(Ulrich Hutter)
BFH, Urteil v. 18.11.2014, IX R 4/14, veröffentlicht am 15.4.2015
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