Verfahrensrechtliche Umsetzung des § 6b EStG bei mitunternehmerbezogener Übertragung
Hintergrund: Übertragung einer § 6b-Rücklage auf eine KG-Beteiligung
Streitig ist, ob X eine in seinem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb nach Veräußerung einer Fläche gebildete Rücklage auf eine Beteiligung an einer KG übertragen konnte.
X ging davon aus, er habe die Rücklage in Höhe von 400.000 EUR auf seine anteiligen Anschaffungs- und Herstellungskosten als Mitunternehmer der S-KG übertragen können. Das FA veranlagte erklärungsgemäß (Bescheid vom Januar 2008).
Nach einer Außenprüfung lehnte das FA die Übertragung ab und erließ (Januar 2012) einen entsprechend geänderten und später (März 2012) nochmals geänderten Gewinnfeststellungsbescheid. Das FA meinte, wegen der Veräußerung zwischen 1.1.1999 bis 31.12.2001 scheide eine Übertragung aus, da nach damaliger Rechtslage für diesen Zeitraum keine rechtsträgerübergreifende (sondern nur eine rechtsträgerbezogene) Übertragung möglich gewesen sei.
X wandte ein, die Änderungsbescheide aus 2012 seien bereits wegen Unbestimmtheit nichtig. Ihnen sei nicht zu entnehmen, in welchem Verhältnis sie zueinander und zum Feststellungsbescheid aus 2008 ständen.
Das FG wies die Klage ab. Der Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit sei unbegründet; der Hilfsantrag auf Änderung des Gewinnfeststellungsbescheids sei mangels Klagebefugnis unzulässig.
Entscheidung: Offene verfahrensrechtliche Problematik
Für Gewinne aus Veräußerungen bis zum 31.12.1998 und ab dem 1.1.2002 ist die Übertragung der Rücklage nicht auf Reinvestitionsgüter beschränkt, die im Alleineigentum des Veräußerers stehen und dem Veräußerungsbetrieb zuzuordnen sind (§ 52 Abs. 18, 18a EStG a.F.). Die Übertragung kann u.a. auch auf Reinvestitionsgüter erfolgen, die zum Gesamthandsvermögen einer anderen Personengesellschaft gehören, an der der Veräußerer als Mitunternehmer beteiligt ist, soweit diese Wirtschaftsgüter ihm anteilig zuzurechnen sind (BFH v. 22.11.2018, VI R 50/16, BStBl II 2019, 313, Rz 22).
Entscheidungserhebliche Fragen
Das Wahlrecht, eine Reinvestitionsrücklage zu bilden, ist nach der BFH-Rechtsprechung in der Steuerbilanz des veräußernden Betriebs auszuüben. Bildung und Auflösung der Rücklage müssen in dessen Buchführung verfolgbar sein (BFH v. 22.11.2018, VI R 50/16, BStBl II 2019, 313, Rz 27). Für den Streitfall ist entscheidend, in welchem Festsetzungs- bzw. Feststellungsverfahren darüber zu befinden ist,
- ob und ggf. in welcher Höhe die Voraussetzungen für eine Bildung der Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG erfüllt sind,
- ob und ggf. in welchem Umfang und auf welche Wirtschaftsgüter einer Mitunternehmerschaft, an der der Veräußerer beteiligt ist, der in die Rücklage eingestellte Gewinn übertragen werden kann.
Mögliche Lösungsansätze
Für die Beantwortung dieser Fragen weist der BFH auf folgende Lösungsmöglichkeiten hin:
- Entscheidung über Rücklagenbildung und Übertragung im Verfahren des veräußernden Betriebs
Es ist denkbar, die bindende Entscheidung sowohl über die Berechtigung zur Rücklagenbildung als auch zur Übertragung in den Veranlagungsverfahren für den veräußernden Betrieb zu treffen. Denn das Wahlrecht zur Rücklagenbildung ist in diesem Betrieb auszuüben und nicht übertragene Gewinne sind Bestandteil des Gewinns dieses Betriebs. Soll der Gewinn auf Wirtschaftsgüter einer Personengesellschaft übertragen werden, wären die ESt-Bescheide bzw. Gewinnfeststellungsbescheide im Jahr der Rücklagenbildung und im Jahr der Auflösung der Rücklage Grundlagenbescheide für Feststellungsbescheide über den Gewinn der Gesellschaft. Die tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich des Reinvestitionsbetriebs müsste sich das FA von dem für den Reinvestitionsbetrieb zuständigen FA beschaffen. Rechtsschutz bestände ausschließlich gegen die Grundlagenbescheide.
- Entscheidung über die Rücklagenbildung im veräußernden Betrieb und über die Übertragung im Reinvestitionsbetrieb
Denkbar ist auch, dass über die Berechtigung zur Rücklagenbildung und Auflösung in Bescheiden betreffend den Veräußerungsbetrieb und über die Übertragung in Bescheiden für den Reinvestitionsbetrieb zu entscheiden ist. Die Bescheide könnten dann wechselbezüglich jeweils Grundlagen- und Folgebescheid sein. Rechtsschutz wäre jeweils dort zu gewähren, wo die Wirkung eines Grundlagenbescheids eintritt.
- Entscheidung über Rücklagenbildung und Übertragung sowohl im veräußernden als auch im Reinvestitionsbetrieb
Schließlich kommt in Betracht, dass über die Bildung der Rücklage und deren Übertragung sowohl in Verfahren betreffend den Veräußerungsbetrieb als auch in Verfahren betreffend den Reinvestitionsbetrieb eigenständig zu entscheiden ist. Die Bescheide ständen dann nicht im Verhältnis von Grundlagen- und Folgebescheid und könnten sich materiell widersprechen. Rechtsschutz könnte gegen jeden dieser Bescheide umfassend begehrt werden, wobei sich unterschiedliche Ergebnisse nicht vermeiden ließen.
Hinweis: Bedeutung für die Praxis
Die Beitrittsaufforderung an das BMF nach § 122 Abs. 2 Satz 2 FGO weist auf die Bedeutung der Problematik für die Besteuerungspraxis hin. Dem Wortlaut des § 6b EStG ist dazu nichts zu entnehmen. Letztlich dürften Praktikabilitätsgesichtspunkte die Entscheidung vorgeben.
Die Frage, ob die Veräußerung (Vertrag vom Oktober 2001) noch in 2001 (im Geltungsbereich des § 6b EStG a.F.) stattgefunden hat, wird vom BFH nicht angesprochen. Offenbar sind Nutzungen und Lasten erst später (in 2002) übergegangen. Auch die eventuelle Nichtigkeit der Bescheide spricht der BFH nicht an. Das FG hat zutreffend entschieden, dass ein etwaiger Begründungsmangel nicht zur Nichtigkeit führt.
BFH Beschluss vom 02.07.2020 - IV R 7/19 (veröffentlicht am 28.01.2021)
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