Vermeintliche mechanische Fehler des Steuerpflichtigen

§ 129 AO ermöglicht nicht die Berichtigung von Fehlern, die auf unzutreffender Rechtsanwendung beruhen, auch wenn sie aus der Sicht der den Fehler übernehmenden Behörde als offenbare Unrichtigkeiten erscheinen mögen.

Hintergrund

Zu entscheiden war, ob die Voraussetzungen für die Berichtigung eines Bescheids wegen offenbarer Unrichtigkeit (§ 129 AO) gegeben sind, wenn private Veräußerungsgeschäfte und Stillhaltergeschäfte entgegen dem ESt-Vordruck "Anlage SO" zusammengefasst nur als private Veräußerungsgeschäfte erklärt wurden.

X ordnete (durch seinen steuerlichen Berater) für das Streitjahr 2005 - entgegen einer vorgelegten Bankbestätigung - Einkünfte aus Stillhaltergeschäften den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften (§ 22 Nr. 2 i.V.m. § 23  Abs. 1 Nr. 4 EStG a.F.) statt richtigerweise den Einkünften aus sonstigen Leistungen (§ 22 Nr. 3 EStG) zu. Dem folgte das FA. Durch das Belassen dieser Einkünfte in dem Gesamtbetrag der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften kamen die Einkünfte aus den Stillhaltergeschäften mit einem Verlustvortrag aus Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften zur Verrechnung. Bei der Berücksichtigung als sonstige Leistung (§ 22 Nr. 3 EStG) wären hierauf keine Verlustvorträge verrechnet worden.   

Im Anschluss an eine Außenprüfung änderte das FA den ESt-Bescheid wegen offenbarer Unrichtigkeit und berücksichtigte die Einkünfte aus den Stillhaltergeschäften nunmehr bei den Einkünften aus sonstigen Leistungen. Dem folgte das FG. Es vertrat die Auffassung, eine Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit sei möglich. Zwar habe der steuerliche Berater bei der Zuordnung der Stilhaltergeschäfte zu den privaten Veräußerungsgeschäften rechtliche Überlegungen angestellt. Diese Zuordnung habe sich jedoch - für einen objektiven Dritten - als mechanisches Versehen dargestellt, das bei der Erstellung der ESt-Erklärung unterlaufen sei. Diese lediglich als mechanisches Versehen erscheinende Zuordnung habe das FA bei Erlass des ESt-Bescheids übernommen, ohne rechtliche Überlegungen anzustellen.

Entscheidung

Der BFH widerspricht dem FG und gab der Klage statt.

Zum einen ist X kein Fehler i.S. des § 129 AO unterlaufen. Denn sein Berater hat - wie das FG anhand der Akten festgestellt hat - im Rahmen der Zuordnung der Stillhaltergeschäfte zu den privaten Veräußerungsgeschäften umfangreiche rechtliche Erwägungen angestellt. Er hat die Zuordnungsfrage intern in der Kanzlei mit seiner Sachbearbeiterin eingehend erörtert. Es fehlt daher an offenbar fehlerhaften Angaben, die das FA als eigene (mechanische) Fehler hätte übernehmen können.    

Im Übrigen ist auch der Veranlagungssachbearbeiterin des FA kein mechanisches Versehen unterlaufen. Denn aus ihren Prüfvermerken ergibt sich, dass sie den von X eingetragenen Betrag durch Saldierung der von X in einer Anlage zur ESt-Erklärung aufgeführten Gewinne und Verluste nachvollzogen hat. Da eine Saldierung nur in Betracht kommt, wenn die saldierten Geschäftsvorfälle das gleiche steuerrechtliche Schicksal teilen, kann nicht verneint werden, dass die Sachbearbeiterin einem sachverhalts- oder rechtsfolgenbezogenen Denkfehler unterlegen ist.

Hinweis

Die Entscheidung entspricht der bisherigen Rechtsprechung, nach der unter offenbaren Unrichtigkeiten mechanische Versehen wie Eingabe- oder Übertragungsfehler zu verstehen sind. Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, unrichtige Tatsachenwürdigung oder unzutreffende Annahme eines nicht vorliegenden Sachverhalts die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit aus. § 129 AO ist ferner nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer Tatsache auf einem sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler oder auf mangelnder Sachaufklärung beruht.

Über den Gesetzeswortlaut hinaus ist § 129 auch anwendbar, wenn das FA offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt. Die Vorschrift gilt dagegen nicht für Versehen des Steuerpflichtigen oder eines anderen Beteiligten, es sei denn, ein solches Versehen wird vom FA als eigenes in den Bescheid übernommen. Bereits die Berücksichtigung derartiger Übernahmefehler geht über den Gesetzeswortlaut hinaus. Eine noch weiter gehende Berichtigung "vermeintlicher" mechanischer Fehler, die als solche nicht von § 129 AO erfasst sind, sondern lediglich aus Empfängersicht als offenbare Unrichtigkeiten erscheinen mögen, ist weder vom Wortlaut noch vom Zweck des § 129 AO gedeckt. Im Streitfall ist X und dem FA ein rechtlicher - kein mechanischer - Fehler unterlaufen. Ein nur vermeintlich als mechanisch erscheinendes Versehen ist nicht berichtigungsfähig.

BFH, Urteil v. 16.9.2015, IX R 37/14, veröffentlicht am 28.10.2015

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