Vorläufige Insolvenzverwaltung

Die Qualifizierung offener Steuerforderungen als bevorrechtigte Masseforderungen (sog. Fiskus-Privileg) bedarf einer eindeutigen gesetzlichen Regelung und lässt sich nicht über die Korrekturvorschrift des § 17 UStG lösen.

Sachverhalt:
Der Kläger wurde mit Beschluss vom 14.5.2012 zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der A-GmbH bestellt. Es wurde angeordnet, dass Verfügungen der Schuldnerin nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind und der Schuldnerin insbesondere die Einziehung von Außenständen untersagt. Sogleich wurde der vorläufige Insolvenzverwalter ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen der Schuldnerin einzuziehen sowie eingehende Gelder und Schecks entgegenzunehmen. Die Gemeinschuldnerin führte ihren Geschäftsbetrieb im Rahmen der vorläufigen Verwaltung bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 25.6.2012 fort. Die in der Zeit vom 14. - 31.5.2012 ausgeführten Umsätze wurden unter der Alt-Steuernummer der Gemeinschuldnerin vorangemeldet. Das Finanzamt setzte die angemeldeten Beträge unter der Masse-Steuernummer gegenüber der Insolvenzmasse fest. Der hiergegen erhobene Einspruch blieb erfolglos.
Entscheidung:
Das Finanzgericht gab der Klage statt. Danach ist die in Rede stehende Umsatzsteuer keine Masseverbindlichkeit, sondern Insolvenzforderung i. S. v. § 38 InsO und als solche nur im Rahmen des Insolvenzverfahrens durchsetzbar. Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil v. 9.12.2010, V R 22/10) bestimmt sich die Einordnung eines Steueranspruchs als Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit nach dem Zeitpunkt, in dem der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Die tatbestandliche Verwirklichung liegt danach in der Entgeltvereinnahmung durch den Insolvenzverwalter, wobei unerheblich sein soll, ob der Umsatz der Ist- oder Soll-Besteuerung unterliegt. Nach dieser Rechtsprechung hat die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit dem Recht zum Forderungseinzug zur Folge, dass die noch ausstehenden Entgelte für vor der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters als auch für danach bis zur Beendigung des Insolvenzeröffnungsverfahrens ausgeführte Leistungen uneinbringlich werden und nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG zu berichtigen sind. Durch die Entgeltvereinnahmung kommt es alsdann zu einer zweiten Berichtigung. Durch diese doppelte Berichtigung werden (insbesondere zugunsten der Finanzverwaltung) „benachteiligte“ Insolvenzforderungen in „bevorrechtigte“ Masseverbindlichkeiten umgewandelt.

Den Rechtsprechungsgrundsätzen des BFH zur Uneinbringlichkeit folgt das Finanzgericht nicht. Eine Forderung ist regelmäßig dann nicht durchsetzbar, wenn der Schuldner zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist. Maßgebend sind also Umstände in der Person des Schuldners und nicht des Gläubigers. Es ist deshalb nach Ansicht des Finanzgerichts im Falle der Insolvenz nicht möglich, dass eine (Steuer-)Forderung durch bloße Veränderungen in der Gläubigerstellung und ohne Zutun des Schuldners uneinbringlich werden soll mit der Konsequenz der Berichtigungspflicht auf beiden Seiten der Umsatzbeteiligten. Dies dürfte weder dem Wortsinn des Begriffs „Uneinbringlichkeit“ noch dem Zweck des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG entsprechen.

Praxishinweis:

Der BFH hat mit Urteil vom 24.9.2014 (V R 48/13) seine Rechtsprechung erweitert auf die Entgeltvereinnahmung durch einen „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter. Entscheidend ist danach, ob der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt zum Forderungseinzug berechtigt ist. Ist dies der Fall, ist für die Begründung einer Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO auf die Entgeltsvereinnahmung und nicht auf die Leistungserbringung des Unternehmers/Gemeinschuldners abzustellen. Das Finanzgericht bringt vorliegend jedoch einen entscheidenden Einwand gegen die BFH-Rechtsprechung. Danach bedarf die Qualifizierung offener Steuerforderungen – im Gegensatz zu offenen Forderungen anderer Gläubiger – als bevorrechtigte Masseforderungen einer eindeutigen gesetzlichen Regelung und lässt sich nicht etwa über die Korrekturvorschrift des § 17 UStG lösen. Weil das Gericht ausdrücklich von der Rechtsprechung des BFH abweicht, wurde die Revision zugelassen.

FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 15.1.2015, 5 K 5182/13, Haufe Index 7701225


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