Werbungskosten: Fahrten zur Universität (BFH)
Hintergrund:
Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG sind die Aufwendungen eines Arbeitnehmers für die Wege zwischen seiner Wohnung und seiner regelmäßigen Arbeitsstätte nicht im tatsächlichen Umfang, sondern nur nach Maßgabe einer sog. Pendlerpauschale (derzeit: 0,30 Euro pro Entfernungskilometer) als Werbungskosten abziehbar. Der BFH hat in seiner bisherigen Rechtsprechung auch eine Bildungseinrichtung (z.B. eine Universität oder Fachhochschule) als regelmäßige Arbeitsstätte angesehen, wenn diese häufig über einen längeren Zeitraum hinweg zum Zwecke eines Vollzeitunterrichts aufgesucht wurde (z.B. BFH, Urteil v. 29.4.2003, VI R 86/99, BFH/NV 2003 S. 997), und deshalb auch insoweit angefallene Fahrtkosten nicht in voller Höhe zum Abzug zugelassen. Diese Rechtsprechung hat der BFH mit der vorliegenden Entscheidung ausdrücklich aufgegeben.
Im Streitfall hatte eine Diplom-Sozialpädagogin (S), die arbeitslos geworden war, ein zweites Hochschulstudium begonnen mit dem Ziel, Lehrerin für Sozialpädagogik an einer Berufsschule zu werden. Die Fahrtkosten der S zur Hochschule berücksichtigte das Finanzamt lediglich im Rahmen der Entfernungspauschale für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als vorweggenommene Werbungskosten. S wollte hingegen die Fahrtkosten nach Dienstreisegrundsätzen (also 0,30 Euro pro gefahrenen Kilometer) berücksichtigt haben.
Entscheidung des BFH:
Der BFH gab der S Recht und entschied, dass die Fahrtkosten zur Hochschule nicht nur in Höhe der Pendlerpauschale, sondern in voller Höhe als vorweggenommene Werbungskosten abgezogen werden können.
Dabei änderte der BFH seine bisherige Rechtsprechung insoweit, als er die Hochschule sowie andere Bildungseinrichtungen nicht mehr als regelmäßige Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ansieht.
Der Grund für die Begrenzung der Fahrtkosten zwischen der Wohnung und einer auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegten (regelmäßigen) Arbeitsstätte auf die sog. Pendlerpauschale liege nach Auffassung des BFH darin, dass sich der Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken könne. Eine berufliche Fort- oder Ausbildung hingegen sei, auch wenn sie sich über einen längeren Zeitraum erstrecke, stets vorübergehend und nicht auf Dauer angelegt. In solchen Fällen habe der Steuerpflichtige typischerweise nicht die Möglichkeit, seine Wegekosten gering zu halten. Eine Ausnahme von dem ansonsten geltenden Grundsatz der unbeschränkten Abzugsfähigkeit von Werbungskosten sei deshalb in den Fällen der vollzeitigen Aus- und Fortbildung nicht gerechtfertigt. Im Übrigen sei nach neuerer Rechtsprechung unter „regelmäßiger Arbeitsstätte“ nur eine ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers zu verstehen (BFH, Urteil v. 10.7.2008, VI R 21/07, BFH/NV 2008 S. 1923). Schon deshalb könne eine Bildungseinrichtung nicht als regelmäßige Arbeitsstätte angesehen werden.
Hinweis:
Die Fahrtaufwendungen zur Hochschule stellen im Besprechungsfall nur deshalb (vorweggenommene) Werbungskosten dar, weil sie im Rahmen eines Zweitstudiums angefallen sind. Aufwendungen für die erstmalige Berufsausbildung sollen nach dem Willen des Gesetzgebers in § 12 Nr. 5 EStG weder als Werbungskosten noch als Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen. Diese Neuregelung, die rückwirkend ab dem Veranlagungszeitraum 2004 gilt, hat der BFH mit einer Reihe von Urteilen „unterlaufen“, in denen er trotzdem für Erstausbildung und Erststudium einen Werbungskostenabzug zugelassen hat (BFH, Urteile v. 28.7.2011, VI R 38/10, VI R 7/10, VI R 5/10, BFH/NV 2011 S. 1776 ff.). Der Gesetzgeber hat darauf umgehend reagiert und mit dem Beitreibungsrichtlinien-Umsetzungsgesetz vom 7.12.2011 (BGBl I 2011 S. 2592) die §§ 4 Abs. 9 und 9 Abs. 6 EStG neu eingeführt, in denen unmissverständlich klargestellt wird, dass Aufwendungen für die erstmalige Berufsausbildung keine Betriebsausgaben bzw. keine Werbungskosten sind. Auch diese Regelungen gelten rückwirkend ab 2004.
Urteil v. 9.2.2012, VI R 44/10, veröffentlicht am 28.3.2012
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