Wichtige Steuerrechtsprechung 2021
1. Zinsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat entschieden, dass die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen verfassungswidrig ist, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 ein Zinssatz von monatlich 0,5 % zugrunde gelegt wird.
Das BVerfG hat mit seinem Beschluss zwar die sog. Vollverzinsung nach § 233a AO dem Grunde nach bestätigt. Es hat allerdings die vom Gesetzgeber festgelegte Höhe des Zinssatzes beanstandet. Die Eckpunkte der Entscheidung lassen sich wie folgt zusammenfassen:
§ 233a AO i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO ist mit Art. 3 GG unvereinbar, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 ein Zinssatz von 0,5 % pro Monat zugrunde gelegt wird. Für Verzinsungszeiträume bis 31.12.2018 ist das bisherige Recht aber weiter anwendbar (Fortgeltungsanordnung). Für Verzinsungszeiträume ab 01.01.2019 gilt Folgendes:
- § 233a AO i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO ist als Folge des Verstoßes gegen Art. 3 GG unanwendbar (Anwendungssperre).
- Gerichte und Behörden dürfen diese Normen insoweit nicht mehr anwenden und laufende Verfahren sind auszusetzen. Dies bedeutet, dass sowohl Nachzahlungs- als auch Erstattungszinsen auf der Grundlage der verfassungswidrig erklärten Vorschriften nicht mehr festgesetzt werden dürfen.
- Unanfechtbare Zinsfestsetzungen, die auf der Anwendung dieser Vorschriften beruhen, sind wegen der Entscheidung des BVerfG weder aufzuheben noch zu ändern (§ 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG entsprechend). Sie genießen Bestandskraft. Die Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung ist – soweit sie noch nicht vollzogen ist – allerdings unzulässig (§ 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG entsprechend).
- Ansprüche des Zinsschuldners gegen die Finanzbehörde aus ungerechtfertigter Bereicherung hinsichtlich bereits entrichteter Zinsen sind ausgeschlossen (§ 79 Abs. 2 Satz 4 BVerfGG).
- Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31.07.2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung für Verzinsungszeiträume ab 01.01.2019 zu treffen.
BVerfG Beschluss vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17, s . hierzu auch die News "Konsequenzen der Zinsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts".
Das BMF hat im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder dazu Stelllung genommen, wie im Einzelnen zu verfahren ist (BMF, Schreiben v. 17.9.2021, IV A 3 - S 0338/19/10004 :005), s. hierzu die News "Verwaltungspraxis zur Verzinsung von Steuernachzahlungen und -erstattungen".
2. Doppelte Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen
Der BFH hat entschieden, dass eine doppelte Besteuerung nicht vorliegt, wenn die Summe der voraussichtlichen steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse mindestens ebenso hoch ist wie die Summe der aus versteuertem Einkommen aufgebrachten Altersvorsorgeaufwendungen. Beträge, die bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens des Rentners abziehbar sind oder steuerfrei gestellt werden, sind in die Vergleichsrechnung nicht einzubeziehen (z. B. der Grundfreibetrag).
In seiner Grundsatzentscheidung legt der BFH fest, wie bei der Berechnung einer potentiellen Doppelbesteuerung der Alterseinkünfte vorzugehen ist. Auf der Einzahlungsseite sind die den Höchstbetrag übersteigenden Beträge zu ermitteln. Auf der Auszahlungsseite ist vor allem wichtig, dass der Grundfreibetrag als größte Position nicht zu berücksichtigen ist.
Aus der Berechnungsformel des BFH ergibt sich – grob abgeschätzt – für 4 Gruppen in erhöhtem Maße die "Gefahr" einer rechnerischen Doppelbesteuerung:
- Ledige Kinderlose, da an sie keine Hinterbliebenenbezüge ausbezahlt werden
- Männer, weil sie nach der Sterbetafel früher sterben als Frauen
- Frühere Selbständige, weil für sie kein steuerfreier Arbeitgeberanteil eingezahlt wird
- Künftige Rentnerjahrgänge, weil der Rentenfreibetrag mit jedem Renteneintrittsjahrgang geringer und ein immer höherer Anteil der Steuer unterworfen wird.
BFH Urteil vom 19.05.2021 - X R 33/19, s. hierzu auch die News "Doppelte Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen"
Mit einem Urteil gleichen Datums (BFH Urteil vom 19.05.2021 - X R 20/19), hat der BFH sich mit einer Fülle von Einzelfragen befasst, s. hierzu auch die News"Doppelte Besteuerung der gesetzlichen und privaten Altersversorgung"
Hinweis: Als Reaktion auf diese Rechtsprechung will die Bundesregierung den Vollabzug von Rentenversicherungsbeiträgen als Sonderausgaben bereits auf 2023 vorziehen und den steuerpflichtigen Rentenanteil ab 2023 nur noch um einen halben Prozentpunkt pro Jahr ansteigen lassen (Vollbesteuerung ab 2060).
3. Pkw-Überlassung an Arbeitnehmer zum privaten Gebrauch
Die umsatzsteuerliche Behandlung der Fahrzeugüberlassung an Arbeitnehmer für deren privaten Gebrauch in Deutschland muss aufgrund eines EuGH-Urteils grundsätzlich neu geregelt werden.
Die bisherige Annahme, wonach es sich bei der Überlassung eines Fahrzeugs durch einen Arbeitgeber/Unternehmer an seinen Arbeitnehmer für dessen privaten Bedarf im Rahmen des Arbeitsverhältnisses i. d. R. um einen entgeltlichen Vorgang handelt und die Fahrzeugüberlassung an das Personal eine entgeltliche sonstige (Vermietungs-)Leistung ist, sodass der Leistungsort sich in diesen Fällen nach § 3a Abs. 3 Nr. 2 UStG am Wohnsitz des Leistungsempfängers (Arbeitnehmers) befindet, kann nach der EuGH-Entscheidung nicht aufrecht erhalten werden.
Aus dem EuGH-Urteil ergeben sich folgende Erkenntnisse:
Die Pkw-Überlassung im Rahmen eines Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnisses an den Arbeitnehmer kann die kurz- oder langfristige Vermietung eines Beförderungsmittels sein. Dies setzt in erster Linie voraus, dass der Arbeitnehmer für die Pkw-Überlassung zu privaten Zwecken an ihn eine Gegenleistung entrichtet.
Wird bei der Fahrzeugüberlassung keine solche Gegenleistung des Arbeitnehmers erbracht, handelt es sich nur unter den Voraussetzungen von § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG um eine steuerbare unentgeltliche Wertabgabe. D.h. insbesondere, der überlassene Pkw muss den Arbeitgeber bei der Anschaffung zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben. Dies kann auch die Vorsteuerabzugsberechtigung in einem anderen Mitgliedstaat als dem Ansässigkeitsstaat des den Pkw überlassenden Unternehmers sein. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, kommt eine unentgeltliche Wertabgabe auch nicht § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG in Betracht.
Erfolgt die Überlassung des Pkw entgeltlich, ist diese Leistung nur unter den vom EuGH definierten Voraussetzungen als Vermietung eines Beförderungsmittels zu sehen. Das bedeutet insbesondere, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gegen die Zahlung eines Mietzinses für eine vereinbarte Dauer das Recht überträgt, das Beförderungsmittel zu benutzen und andere davon auszuschließen. Ist bei entgeltlicher Fahrzeugüberlassung nicht von der Vermietung eines Beförderungsmittels auszugehen, wäre die Grundregel § 3a Abs. 1 UStG zur Bestimmung des Leistungsorts maßgebend und nicht § 3a Abs. 3 Nr. 2 UStG.
EuGH Urteil vom 20.01.2021 - C-288/19 (QM), s. hierzu auch die News "Pkw-Überlassung an Arbeitnehmer zum privaten Gebrauch"
4. Bildung von aktiven RAP auch in Fällen geringer Bedeutung
Aktive Rechnungsabgrenzungsposten (RAP) sind nach einem Urteil des BFH auch bei geringfügigen Beträgen zu bilden. Weder dem Grundsatz der Wesentlichkeit noch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz lässt sich eine Einschränkung der Pflicht zur Bildung auf wesentliche Fälle entnehmen.
§ 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG statuiere für Ausgaben vor dem Abschlussstichtag, soweit sie Aufwand für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen, ein abschließendes Aktivierungsgebot. Schon nach dem Gesetzeswortlaut habe der Steuerpflichtige insoweit kein Wahlrecht. Da es dem Sinn und Zweck der Gewinnermittlung entspreche, den vollen Gewinn zu erfassen, könne es nicht im Belieben des Steuerpflichtigen stehen, sich durch Nichtaktivierung von Wirtschaftsgütern, die handelsrechtlich aktiviert werden dürfen, ärmer zu machen, als er ist.
Die Entscheidung dürfte allerdings in der Praxis keine allzu großen Auswirkungen haben. Zwar werden für die vielen regelmäßig jährlich anfallenden und im Voraus zu zahlenden Kosten, die in Teilbeträgen auf das Folgejahr entfallen (KraftSt, Versicherungsbeiträge, Abonnements, Gebühren, Beiträge), aus Vereinfachungsgründen bei geringen Beträgen keine aktiven RAP gebildet. Wegen der gegenläufigen Auswirkung dürfte es aber eher selten sein, dass die Außenprüfung diese Fälle in vollem Umfang aufgreift, es sei denn, es handelt sich um insgesamt höhere Beträge mit erheblicher Gewinnauswirkung.
BFH Urteil vom 16.03.2021 - X R 34/19, s. hierzu auch die News "Bildung von aktiven RAP auch in Fällen geringer Bedeutung"
5. Berücksichtigung der Instandhaltungsrückstellung bei der Grunderwerbsteuer
Der vereinbarte Kaufpreis als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer vermindert sich nach einem Urteil des BFH nicht um die anteilige Instandhaltungsrückstellung.
Nach dem – inzwischen überholten – BFH Urteil vom 09.10.1991 - II R 20/98, war das Entgelt für den Erwerb des in der Instandhaltungsrückstellung angesammelten Guthabens nicht in die grunderwerbsteuerrechtliche Bemessungsgrundlage einzubeziehen. Das Entgelt war entsprechend aufzuteilen. Diese Auffassung hat der BFH nach der Ergänzung des § 10 WEG ab 01.07.2007 aufgegeben und für den Fall eines Erwerbs in der Zwangsversteigerung entschieden, dass die Bemessungsgrundlage nicht um die anteilige Instandhaltungsrückstellung zu mindern ist (BFH Urteil vom 02.03.2016 - II R 27/14). Der BFH hat nunmehr klargestelt, dass diese Auffassung nicht nur für den Erwerb in der Zwangsversteigerung gilt, sondern auch für den Fall des im Streitfall gegebenen rechtsgeschäftlichen Erwerbs.
Der BFH bemerkt am Rande, dass es sich bei der Instandhaltungsrückstellung nicht um eine Rückstellung im bilanztechnischen Sinn handelt. Häufig wird daher auch von "Instandhaltungsrücklage" gesprochen.
BFH Urteil vom 16.09.2020 - II R 49/17 (veröffentlicht am 21.01.2021) s. hierzu auch die News "Berücksichtigung der Instandhaltungsrückstellung bei der Grunderwerbsteuer"
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