Bildung von aktiven RAP auch in Fällen geringer Bedeutung
Hintergrund: Bildung aktiver RAP bei Geringfügigkeit
Zu entscheiden war, ob auch für unwesentliche Beträge eine Pflicht zur Bildung eines aktiven RAP besteht.
X ist Flaschnermeister. Er ermittelt seine Gewinne durch Betriebsvermögensvergleich. Nach einer Außenprüfung erhöhte das FA u.a. die aktiven RAP. X hatte für verschiedene vorausgezahlte zeitraumbezogene Aufwendungen keine aktiven RAP gebildet. Es handelt sich um Versicherungsbeiträge, Aufwendungen für Werbeanzeigen und KraftSt-Zahlungen, insgesamt rund 20 Positionen im Bereich zwischen 12 EUR und 400 EUR und Jahresbeträge insgesamt zwischen rund 1.300 EUR und 1.500 EUR).
Das FG gab der Klage statt. Wegen der geringen Bedeutung müssten keine RAP gebildet werden. Für die Frage, wann ein Fall von geringer Bedeutung vorliegt, orientierte sich das FG an der 410 EUR-Grenze des in den Streitjahren 2015 bis 2017 geltenden § 6 Abs. 2 EStG.
Entscheidung: Pflicht zur Bildung aktiver RAP
Der BFH widerspricht dem FG. Weder aus dem Grundsatz der Wesentlichkeit noch aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgt das Recht, in Fällen von geringer Bedeutung auf eine periodengerechte Gewinnermittlung zu verzichten.
Kein Aktivierungswahlrecht
§ 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG statuiert für Ausgaben vor dem Abschlussstichtag, soweit sie Aufwand für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen, ein abschließendes Aktivierungsgebot (BFH v. 18.3.2020, X R 20/09, BFH/NV 2020, 1796, Rz 29). Schon nach dem Gesetzeswortlaut hat der Steuerpflichtige insoweit kein Wahlrecht. Da es dem Sinn und Zweck der Gewinnermittlung entspricht, den vollen Gewinn zu erfassen, kann es nicht im Belieben des Steuerpflichtigen stehen, sich durch Nichtaktivierung von Wirtschaftsgütern, die handelsrechtlich aktiviert werden dürfen, ärmer zu machen, als er ist. Bilanzierungswahlrechte im Steuerrecht ständen auch nicht im Einklang mit dem Grundsatz der Gleichheit der Besteuerung (BFH v. 3.2.1969, GrS 2/68, BStBl II 1969, 291).
Grundsatz der Wesentlichkeit
Das Wesentlichkeitsprinzip ist auch im Steuerrecht anerkannt (BFH v. 20.6.2000, VIII R 32/98, BStBl II 2001, 636). Das HGB verzichtet in bestimmten Fällen auf den Ausweis unwesentlicher Positionen (z.B. bei der Bildung von Durchschnittswerten). Auch das EStG zeigt, z.B. bei der Sofortabsetzung von geringwertigen Wirtschaftsgütern (§ 6 Abs. 2 EStG), dass ein periodengerechter Ausweis entbehrlich sein kann. Für ein Wahlrecht im Rahmen des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG hätte es aber einer gesetzlichen Regelung bedurft. Der Gedanke des § 6 Abs. 2 EStG kann nicht auf die Bildung von RAP übertragen werden. Zum einen sind diese nicht als Wirtschaftsgut zu qualifizieren. Zum anderen wird mit der Sofortabschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter (neben der Vereinfachung) auch der weitere Zweck der Verbesserung der Selbstfinanzierung der Unternehmen verfolgt. Dieser Förderzweck des § 6 Abs. 2 EStG wurde vom Gesetzgeber in § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG nicht aufgenommen. Im Übrigen ist eine analoge Anwendung mangels einer Regelungslücke ausgeschlossen.
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit müssen Mittel und Zweck in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Dies ist z.B. nicht gewahrt, wenn eine Tätigkeit von ganz untergeordneter Bedeutung, die kaum in Erscheinung tritt, eine wesentlich bedeutsamere Tätigkeit in eine gewerbliche nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 1 EStG umqualifizieren würde (BFH v. 27.8.2014, VIII R 6/12, BStBl II 2015, 1002). Durch den Ansatz eines RAP kann jedoch – auch in Fällen mit geringfügigen Beträgen – eine solche unverhältnismäßige Folge nicht eintreten. Denn der Ansatz bewirkt lediglich, dass sich der Gewinn in genau der Größenordnung des gebildeten Postens erhöht. Weitergehende Folgen sind nicht ersichtlich.
Kein unverhältnismäßiger Aufwand
Im Übrigen steht der Aufwand bei der Rechnungsabgrenzung in Fällen von geringer Bedeutung nicht außer Verhältnis zur Verbesserung des Einblicks in die Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens. Für die (zeitraumbezogene) Berechnung der Höhe der RAP nach den Verhältnissen der noch ausstehenden Gegenleistung zur gesamten Leistung sind keine Schwierigkeiten ersichtlich. Stehen die Werte der RAP eindeutig fest, sind sie auch in die Bilanz aufzunehmen, selbst wenn sie einen verhältnismäßig geringen Betrag aufweisen. Außerdem kann es bei einer Vielzahl nicht berücksichtigter, geringfügiger aktiver RAP durchaus insgesamt zu einer bedeutenden Verzerrung der Vermögens- und Ertragslage kommen.
Hinweis: Änderung der Rechtsprechung
In dem Kostenbeschluss v. 18.3.2020, X R 20/09, BFH/NV 2010, 1796, hatte der BFH das Wahlrecht in Bezug auf aktive RAP noch bejaht. Daran hält der BFH nicht mehr fest. Eine Vorlage an den Großen Senat ist nicht erforderlich, da der entscheidende X. Senat nicht von der Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats abweicht (§ 11 Abs. 2 FGO). In dem Urteil v. 3.9.2015, VI R 27/14, BStBl II 2016, 174, war die Frage nicht entscheidungserheblich und für ältere Urteile (vor Inkrafttreten der FGO) besteht keine Vorlagepflicht an den Großen Senat.
Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung dürfte in der Praxis keine allzu großen Auswirkungen haben. Zwar werden für die vielen regelmäßig jährlich anfallenden und im Voraus zu zahlenden Kosten, die in Teilbeträgen auf das Folgejahr entfallen (KraftSt, Versicherungsbeiträge, Abonnements, Gebühren, Beiträge), aus Vereinfachungsgründen bei geringen Beträgen keine aktiven RAP gebildet. Wegen der gegenläufigen Auswirkung dürfte es aber eher selten sein, dass die Außenprüfung diese Fälle in vollem Umfang aufgreift, es sei denn, es handelt sich um insgesamt höhere Beträge mit erheblicher Gewinnauswirkung.
BFH Urteil vom 16.03.2021 - X R 34/19 (veröffentlicht am 09.09.2021)
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