Zivilprozesskosten sind grundsätzlich keine außergewöhnliche Belastung
Hintergrund
Die Ehefrau (F) war in 2006 an den Folgen eines Krebsleidens verstorben. In 2011 nahmen der Ehemann (M), die beiden gemeinsamen Kinder und die Erbengemeinschaft nach F den Arzt auf Schadensersatz wegen eines geltend gemachten Behandlungsfehlers in Anspruch. Sie klagten auf Schmerzensgeld sowie auf Feststellung, dass ihnen sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu erstatten seien, die ihnen aus Anlass der Behandlung entstanden seien oder entstehen würden. Der Prozess war im Streitjahr 2011 noch nicht beendet.
In der ESt-Erklärung für 2011 machte M von ihm in 2011 gezahlte Zivilprozesskosten von rund 12.000 EUR als außergewöhnliche Belastung geltend (Gerichtskosten 6.500 EUR, Rechtsanwaltskosten 1.500 EUR, Sachverständigenkosten 4.000 EUR). Das FA berücksichtigte die Aufwendungen nicht.
Das FG gab der dagegen erhobenen Klage statt. Es berief sich auf das Urteil des BFH v. 12.5.2011, VI R 42/10 (BStBl II 2011, 1015). Nach dieser Entscheidung sind Prozesskosten aus rechtlichen Gründen als zwangsläufig anzuerkennen, sofern sich der Steuerpflichtige nicht mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen hat.
Entscheidung
Der BFH hob das FG-Urteil auf und wies die Klage ab. Das Urteil v. 12.5.2011, VI R 42/10 (BStBl II 2011, 1015), auf das das FG die Klagestattgabe stützte, ist inzwischen überholt. Der BFH hält an der in diesem Urteil vertretenen Auffassung nicht mehr fest. Bereits mit dem Urteil v. 18.6.2015, VI R 17/14 (BStBl II 2015, 800) ist der BFH zu der früheren (strengeren) Rechtsprechung zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastung zurückgekehrt. Danach sind Zivilprozesskosten nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Wenn der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann er - und zwar auch bei unsicheren Erfolgsaussichten - aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, sodass die Prozesskosten zwangsläufig i.S. von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen.
Diese (engen) Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Die Ansprüche wegen immaterieller Schäden (Schmerzensgeld) betreffen nicht existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens. M lief nicht Gefahr, ohne diese Ansprüche die Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse und die seiner Kinder in dem üblichen Umfang nicht mehr befriedigen zu können. Schmerzensgeld soll nur den immateriellen Schaden - erlittene Schmerzen und Leiden - ausgleichen. Diese Ansprüche betreffen nicht den existenziellen Bereich.
Hinsichtlich der Ersatzpflicht für materielle Schäden konnte der BFH die Frage der Abziehbarkeit als außergewöhnliche Belastung offen lassen. Denn auch wenn diese den existenziell wichtigen Bereich berühren würden, verbliebe wegen der Gegenrechnung der zumutbaren Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG (bei zwei Kindern 4 % von 190.000 EUR) und bei den bereits anerkannten außergewöhnlichen Belastungen kein Abzugsbetrag.
Hinweis
Die großzügige Anerkennung jedweder Zivilprozesskosten ohne Rücksicht auf den Prozessgegenstand durch das - inzwischen überholte - Urteil v. 12.5.2011, VI R 42/10 (BStBl II 2011, 1015) ist auf breite Kritik gestoßen. Denn es widerspricht dem Ziel des § 33 EStG, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aufwendungen, die mit dem notwendigen Lebensbedarf nichts zu tun haben, fallen nicht in den Anwendungsbereich des § 33 EStG. Zwar kann sich ein Steuerpflichtiger nach einem verlorenen Zivilprozess der Zahlung der Prozesskosten aus rechtlichen Gründen nicht entziehen. Dies reicht aber für den Abzug der Prozesskosten als außergewöhnliche Belastung nicht aus. Denn hinsichtlich der Zwangsläufigkeit ist auf die wesentliche Ursache abzustellen, die zu der Aufwendung geführt hat.
Die Verwaltung hatte auf das o.a. Urteil mit einem Nichtanwendungserlass reagiert (BMF v. 20.12.2011, BStBl I 2011, 1286). Mit der Anfügung des Satzes 4 an § 33 Abs. 2 EStG durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz v. 26.6.2013 (BGBl I 2013, 1809) wurde sodann die bisherige Rechtslage im Wesentlichen wieder hergestellt. Danach gilt: "Aufwendungen für die Führung eines Rechtsstreits (Prozesskosten) sind vom Abzug ausgeschlossen, es sei denn, es handelt sich um Aufwendungen ohne die der Steuerpflichtige Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können". Für die Praxis wichtig ist, dass es dabei grundsätzlich nicht auf die Erfolgsaussichten des Prozesses ankommt, wobei allerdings mutwillige Prozessführungen ausgeschlossen sein müssen. Da die Neuregelung erst ab 2013 gilt, kam sie im Entscheidungsfall (Streitjahr 2011) noch nicht zur Anwendung. Umstritten und damit noch klärungsbedürftig ist, ob die Neuregelung strikt im Sinne der bisherigen BFH-Rechtsprechung zu verstehen ist oder ob die Anerkennung von Prozesskosten nunmehr engeren Kriterien unterliegt.
BFH, Urteil v. 17.12.2015, VI R 7/14, veröffentlicht am 6.4.2016
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