Zur Qualifizierung der Tätigkeit eines Prüfingenieurs
Hintergrund: Eigenverantwortliche Tätigkeit angestellter Ingenieure
Die aus A und B bestehende GbR - beide Diplom-Ingenieure (FH) und Prüfingenieure – führt u.a. Haupt- und Abgasuntersuchungen an Kfz durch. Den überwiegenden Teil der im Streitjahr 2009 durchgeführten Prüfungen führten nicht die Gesellschafter A und B selbst, sondern drei angestellte Prüfingenieure durch. Das FA ging davon aus, insoweit fehle es an einer leitenden und eigenverantwortlichen Tätigkeit der Gesellschafter. Die GbR erziele daher insgesamt gewerbliche Einkünfte. Dem folgte das FG und wies die Klage ab. Mit der Revision machte die GbR geltend, die Arbeit eines Prüfingenieurs sei weitestgehend gesetzlich geregelt. Die Gesellschafter hätten deshalb gar nicht die Möglichkeit, die Arbeit der angestellten Ingenieure umfassend zu kontrollieren.
Entscheidung: Gewerbliche Tätigkeit der Ingenieur-GbR
Der freiberuflichen Tätigkeit eines Berufsträgers steht die Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte nicht entgegen (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG). Allerdings ist diese nur unschädlich, wenn die persönliche Teilnahme des Berufsträgers an der praktischen Arbeit in ausreichendem Umfang gewährleistet ist (z.B. BFH v. 27.8.2014, VIII R 6/12, BStBl II 2015, 1002). Die Leistung muss den "Stempel der Persönlichkeit" des Berufsträgers tragen, die Tätigkeit der Mitarbeiter muss als solche des Berufsträgers erkennbar und damit ihm persönlich zurechenbar sein. Das gilt auch in technisch-naturwissenschaftlichen Berufen, in denen der Anteil der "individuell freiberuflichen" Arbeitsleistung nur gering ist. Auch hier ist die persönliche Teilnahme an der praktischen Arbeit erforderlich. Daher muss auch bei diesen Berufsgruppen die fehlende Mitarbeit am einzelnen Auftrag auf Ausnahmen und vereinzelte Routinefälle beschränkt bleiben. Dementsprechend ist ein selbständig tätiger Ingenieur nur eigenverantwortlich tätig, wenn die Ausführung jedes einzelnen Auftrags ihm selbst - und nicht dem qualifizierten Mitarbeiter - zuzurechnen bzw. als seine erkennbar ist (z.B. BFH v. 7.7.2005, XI B 227/03, BFH/NV 2006, 55, zum Bau-/Vermessungsingenieur).
Für die von den Angestellten durchgeführten Prüfungen fehlt es an einer eigenverantwortlichen Tätigkeit der Gesellschafter
Die Gesellschafter A und B waren zwar freiberuflich tätig, soweit sie selbst Untersuchungen durchgeführt haben. Soweit der überwiegende Teil jedoch von den angestellten Ingenieuren durchgeführt wurde, fehlt es an einer eigenverantwortlichen Tätigkeit der GbR. A und B haben an den von den Angestellten durchgeführten Untersuchungen regelmäßig nicht persönlich teilgenommen, sondern diese lediglich stichprobenartig überwacht. Sie wurden nur in seltenen Zweifelsfällen hinzugezogen. Die Verantwortung verblieb jedoch bei dem die Prüfung durchführenden angestellten Ingenieur und wurde durch dessen Unterschrift unter den Prüfungsbericht dokumentierte. Die somit nur geringe Einbindung der Gesellschafter in die eigenständige Prüfungstätigkeit der angestellten Ingenieure genügt nicht, um deren Tätigkeit als solche der Gesellschafteer erkennbar zu machen.
Auch bei streng geregelter Tätigkeit der Mitarbeiter ist eigenverantwortliche Kontrolle des Freiberuflers unerlässlich
Dass die Tätigkeit der Prüfingenieure umfassend gesetzlich geregelt ist und eingehende Kontrollmaßnahmen der Gesellschafter damit ausgeschlossen sind, führt - entgegen der mit der Revision vorgetragenen Auffassung – nicht dazu, für die Annahme der Eigenverantwortlichkeit eine eingeschränkte Kontrollmöglichkeit genügen zu lassen. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG will zwar den Einsatz vorgebildeter Mitarbeiter ermöglichen, ermächtigt jedoch nicht, Routinearbeiten vollständig auf angestellte Berufsträger zu delegieren oder dem Berufsträger eine Tätigkeit als eigene zuzurechnen, die tatsächlich ein anderer, angestellter Berufsträger eigenständig ausgeführt hat. Das gilt insbesondere dann, wenn – wie im Streitfall – der Berufsträger selbst bei einer Leistungserbringung nur sehr eingeschränkt tätig sein kann.
Die Abfärbewirkung führt zu insgesamt gewerblichen Einkünften der GbR
Erbringen die Gesellschafter einer Personengesellschaft (hier: A und B) ihre Leistungen teilweise freiberuflich und teilweise - mangels Eigenverantwortlichkeit – gewerblich (gemischte Tätigkeit), ist ihre Tätigkeit nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 EStG in vollem Umfang als gewerblich zu qualifizieren (sog. Abfärbewirkung, z.B. BFH v. 3.11.2015, VIII R 62/13, BStBl II 2016, 381). Dementsprechend führt der Bereich, in dem die Gesellschafter nicht eigenverantwortlich tätig sind, zu insgesamt gewerblichen Einkünften der GbR. Auch eine nur geringfügige gewerbliche Tätigkeit löst bereits die Umqualifizierung aus.
Hinweis: Abfärbewirkung bei Überschreitung der Bagatellgrenze
Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist eine Umqualifizierung der Einkünfte hin zur Gewerblichkeit nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 EStG ausgeschlossen, wenn die gewerblichen Einkünfte ein äußerst geringes Ausmaß haben bzw. eine Bagatellgrenze nicht überschreiten. Die Bagatellgrenze wird bei originär gewerblichen Nettoumsatzerlösen von 3 % der Gesamtnettoumsatzerlöse der Gesellschaft und bei dem absoluten Höchstbetrag von 24.500 EUR im Veranlagungszeitraum gezogen (z.B. BFH v. 27.8.2014, VIII R 41/11, BStBl II 2015, 999, BFH v. 27.8.2014, VIII R 6/12, BStBl II 2015, 1002, H 15.8 (5) "Bagatellgrenze" EStH). Diese Grenze war im Streitfall nicht unterschritten. Anzumerken ist, dass die Bagatellgrenze für Fälle des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 EStG (Beteiligung an einer anderen Personengesellschaft mit gewerblichen Einkünften) nicht gilt.
BFH Urteil vom 14.05.2019 - VIII R 35/16 (veröffentlicht am 22.08.2019)
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