Keine Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit nach Intensivprüfung
Hintergrund: Eingabefehler trotz "Intensivprüfung"
X erzielte bei der Veräußerung eines GmbH-Anteils einen Veräußerungsgewinn von 132.900 EUR, der nach dem Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 EStG) zu 60%, d.h. in Höhe von 79.740 der Besteuerung unterlag. X erklärte diesen Betrag ordnungsgemäß unter der Kennziffer 45.28 in der elektronisch eingereichten ESt-Erklärung 2011.
Im Veranlagungsverfahren wurde unter Kennziffer 45.83 (Beschreibungstext: "personell ermittelter steuerfreier Veräußerungsgewinn") der Wert "79.740 EUR" eingetragen; richtigerweise wäre hier der Freibetrag nach § 17 Abs. 3 EStG mit dem Wert "0 EUR" einzutragen gewesen. Es konnte nicht geklärt werden, durch wen (Veranlagungssachbearbeiter, Bearbeiterin der Qualitätssicherungsstelle – QSST –, Sachgebietsleiterin) die unrichtige Eintragung bei der Kennziffer 45.83 vorgenommen wurde.
Durch den Falscheintrag wurde von dem zutreffend erklärten Veräußerungsgewinn von 79.740 EUR ein "steuerfrei bleibender Veräußerungsgewinn" in gleicher Höhe abgezogen, so dass in einer für die Akten angefertigten Prüfberechnung die Einkünfte aus der Veräußerung mit 0 EUR berücksichtigt wurden.
In einem Prüfhinweis wurde die vollumfängliche Prüfung des Falles – u.a. die Einkünfte aus der Anteilsveräußerung – angeordnet und auf die Prüfung bestimmter Prüfpunkte (u.a. Teileinkünfteverfahren) durch den Sachgebietsleiter hingewiesen.
Der Veranlagungssachbearbeiter hakte verschiedene Prüfpunkte ab und leitete den Fall an die Bearbeiterin der QSST weiter, die den Fall ohne Änderung abzeichnete. Die Sachgebietsleiterin gab ihn anschließend frei. Keine der drei Stellen ("Sechs-Augen-Prinzip") bemerkte den Falscheintrag.
Erst bei einer Außenprüfung wurde der Fehler entdeckt und durch einen nach § 129 AO geänderten Bescheid, dem der erklärte Veräußerungsgewinn von 79.740 EUR zugrunde gelegt wurde, berichtigt. Die hiergegen gerichtete Klage wies das FG mit der Begründung ab, es liege ein mechanisches Versehen des Veranlagungssachbearbeiters vor, der von der QSST und der Sachgebietsleiterin unentdeckt – ohne Fehler in der Rechtsanwendung – übernommen wurde.
Entscheidung: Keine Berichtigung bei möglichen Fehlern in der Rechtsanwendung oder Sachaufklärung
Offenbare Unrichtigkeiten i.S. von § 129 AO sind mechanische Versehen (z.B. Schreibfehler, Rechenfehler, Eingabefehler, Übertragungsfehler). Dagegen schließen Fehler in der Rechtsanwendung (fehlerhafte Willensbildung, Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, unrichtige Tatsachenwürdigung, unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts oder Fehler, die auf mangelnder Sachaufklärung bzw. Nichtbeachtung feststehender Tatsachen beruhen) die Anwendung des § 129 AO aus. Die Korrekturvorschrift ist daher nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht (z.B. BFH Urteil vom 10.05.2016 - IX R 4/15, BFH/NV 2016, 1425).
Eine Berichtigung nach § 129 AO ist somit ausgeschlossen, wenn das FA aufgrund eines Prüfhinweises den Fall überprüft hat, es im Rahmen dieser Überprüfung zu einer neuen Willensbildung der zuständigen Beamten gekommen ist und daher die Möglichkeit eines Rechtsirrtums nicht auszuschließen ist.
Keine Berichtigung bei mehrfacher inhaltlicher Prüfung des Falles
Hiervon ausgehend liegen im Streitfall die Berichtigungsvoraussetzungen nach § 129 AO nicht vor. Der Schluss des FG, bereits dem Veranlagungssachbearbeiter sei ein mechanisches Versehen unterlaufen, ist nicht gerechtfertigt. Denn an dem Fall waren mehrere Bearbeiter tätig und nach der Aussage eines Zeugen könnte die Kennziffer 45.83 auch von einem anderen Bearbeiter angesprochen worden sein. Fest steht lediglich, dass die Veranlagung als "Intensiv-Prüfungsfall" von zwei Bearbeitern inhaltlich geprüft worden ist. Vor diesem Hintergrund ist aber auch die Möglichkeit (falscher) rechtlicher Erwägungen durch die maßgebliche Person nicht mit Sicherheit auszuschließen.
Bereits die ursprüngliche Eintragung könnte auf rechtlichen Erwägungen beruhen
Auf dieser Tatsachengrundlage kann schon nicht ausgeschlossen werden, dass bereits die ursprüngliche Eintragung des unzutreffenden Werts bei Kennziffer 45.83 auf (unzutreffenden) rechtlichen Erwägungen beruhte und nicht lediglich mechanisch erfolgte. Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob die weitere Überprüfung des Steuerfalles (durch die Bearbeiterin der QSST bzw. durch die Sachgebietsleiterin) sich auf eine bloße Plausibilitätskontrolle beschränkte oder eine "echte" Inhaltsprüfung darstellte (BFH Urteil vom 07.11.2013 - IV R 13/11, BFH/NV 2014,657).
Hinweis: Keine Berichtigung nach Ausführung eines Prüfhinweises
Die Frage, ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls und somit insbesondere nach der Aktenlage. Dabei sind im Rahmen der Gesamtwürdigung alle Beweisanzeichen heranzuziehen. Verbleibende Unklarheiten gehen zu Lasten des FA (so schon BFH Urteil vom 04.06.1986 - IX R 52/82, BFHE 147, 393, BStBl II 1987, 3).
Waren mit einem Fall verschiedene Personen befasst bzw. wurde mehrfach eine inhaltliche Prüfung vorgenommen (im Streitfall: "Sechs-Augen-Prinzip"), dürfte im Regelfall nicht auszuschließen sein, dass auch eine rechtliche Überprüfung stattgefunden hat. Wurde bei der maschinellen Veranlagung ein Prüfhinweis ausgeworfen und damit eine Prüfung im Rahmen der manuellen Veranlagung angeordnet, dürfte grundsätzlich davon auszugehen sein, dass der Bearbeiter – der Anordnung folgend – eine tatsächliche und rechtliche Prüfung vorgenommen hat, auch wenn er die betreffende Kennziffer lediglich "abgehakt" hat. Eine Berichtigung nach § 129 AO ist dann ausgeschlossen.
BFH Urteil vom 10.12.2019 - IX R 23/18 (veröffentlicht am 06.02.2020)
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