Digisustain 2024: Ein Nachbericht

Nachhaltigkeit ist mehr als „nur“ Umwelt- und Klimaschutz, hieß es bei der Digisustain am 29. und 30. April. Wir haben uns beim Event in Frankfurt am Main umgeschaut. Über ein ambitioniertes Programm und die Frage, wieviel Politik ein Nachhaltigkeitsevent verträgt.

17 Bühnen, mehr als 300 Speaker:innen, mehr als 1.000 Besucher:innen. Eine große Themenvielfalt und viel Expertise in den Bereichen der Nachhaltigkeit und Digitalisierung versprach das Programm der zweiten Digisustain am 29. und 30. April in Frankfurt am Main. Über welche Themen gesprochen wurde, ob das Event dem eigenen Anspruch gerecht wird und welche Rolle dabei eine politische Partei spielte, lesen Sie im Folgenden.

Nachhaltigkeit in ihrer ganzen Vielfalt

„Eine Eigendynamik, die den Wunsch nach Veränderung antreibt“, forderte Samira Maleki, Mitglied im Stiftungsrat der Inglosus Foundation und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Maleki Corporate Group, zum Auftakt der Konferenz. Es liegt laut Maleki in unserer Verantwortung, dieses Potenzial zu erkennen und freizusetzen. Allerdings sei „green alone“, der reine Fokus auf Umwelt- und Klimathemen, nicht genug: „Wir wollen Nachhaltigkeit in ihrer Vielfalt erfassen.“

Ähnlich äußerte sich auch Dr. Nargess Eskandari-Grünberg, Bürgermeisterin der Stadt Frankfurt am Main: „Nachhaltigkeit bedeutet, dass wir unsere Haltung stärken können.“ Die drei Säulen Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Demokratie wolle sie zusammendenken. Allein seien diese Ziele nämlich nicht zu erreichen.

17 Bühnen, 17 SDGs?

Es erscheint einfach und nachvollziehbar: Die 17 Bühnen der Digisustain stehen nach eigenen Angaben im Einklang mit den 17 SDGs, den Zielen für nachhaltige Entwicklung der UN. Doch nur manche der Themen lassen sich problemlos einem der SDGs zuordnen, über die Sinnhaftigkeit manch anderer Themen im Zuge der SDGs kann man streiten. 

Nicht alle der Bühnen fanden an beiden Tagen statt, einige Events waren nur eintägig geplant. Und doch ergab sich aus der schieren Anzahl an Events ein ganz offensichtliches Problem: Die Anzahl der Zuschauer:innen pro Bühne war in vielen Fällen überschaubar, bei manchen Events saßen im Publikum kaum mehr Menschen als auf der Bühne. Kritische Nachfragen oder Impulse waren dadurch eher eine Ausnahme.

Ehrliche Streitgespräche …

Die Agenda versprach ein ambitioniertes, vielfältiges und tiefgehendes Bühnenprogramm. Zudem waren einige spannende und profilierte Expert:innen geladen. So konnten Besucher:innen der ein oder anderen spannenden Diskussion lauschen und gute Einblicke in den Alltag und die nachhaltigen Herausforderungen von Unternehmen und anderen Organisationen gewinnen. 

Bei einem Panel zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) ging es um Verantwortung und Veränderung in der Lieferkette. Kleine Unternehmen seien eher schlecht auf die kommenden Pflichten vorbereitet, meinte Klaus-Stefan Ruoff, Vizepräsident der IHK Frankfurt am Main. Ein großes Problem sieht er im Machtgefälle zwischen großen und kleinen Unternehmen. Außerdem würden deutsche Unternehmen, die in einem Markt nicht mehr auftreten, den Platz lediglich für ausländische Unternehmen freimachen.

In Teilen schließt sich Georg Hoffmann, Nachhaltigkeitsmanager der Alfred Ritter GmbH, dem an, indem er den Rückzug aus allen Nicht-Demokratien und den Verzicht auf alle Rohstoffe  infragestellt: „Wenn sich ein Bauer entscheidet, sein Kind auf dem Feld arbeiten zu lassen, können wir das nicht verhindern.“ Und das geschehe übrigens auch in Deutschland. Mithilfe von Kooperationen könne man jedoch die Chance verringern, dass Produkte unter problematischen Bedingungen entstehen. Nicht zuletzt sprach er sich für das LkSG aus und betonte: „Endlich trifft es auch die, die bisher andere machen lassen.“

Viele Unternehmen schauen wegen des LkSG nun zukunftsgewandt auf sich selbst, berichtete Amira Jehia vom gemeinnützigen Verein Drip by Drip. Das Gesetz gehöre aber verschärft, denn es biete noch zu viele Schlupflöcher. Aktuell sei es an der Zeit, das eigene Geschäftsmodell zu hinterfragen: „Wenn ein Unternehmen nicht mit fairen Löhnen produzieren kann, muss es eben schließen. Wenn ich nicht weiß, woher meine Baumwolle kommt, ob sie von einer Kinderhand oder der einer hochschwangeren Frau gepflückt wurde, sollte ich das Wort Nachhaltigkeit gar nicht erst in den Mund nehmen.“ Und: Unternehmen im globalen Süden brauchen laut Jehia noch mehr Unterstützung von deutschen Unternehmen.

… und transparente Einblicke

„Die Low Hanging Fruits haben wir alle schon gepflückt“, sagte Christian Wilbers, Leiter Unternehmenskommunikation bei der CEWE Stiftung, bei einem Panel über Nachhaltigkeit als Teil der Unternehmens- und Markenstrategie. Sein Unternehmen wage den Spagat zwischen nachhaltiger Transformation und Kundenbedürfnissen. Die Kund:innen von CEWE seien grundsätzlich für Nachhaltigkeit, aber nicht zu Lasten der Qualität, das dürfe das Unternehmen nicht vergessen. Und auch wenn die eigenen Mitarbeitenden mehr Nachhaltigkeit fordern, müsse man das ernst nehmen. Angesichts der Berichtspflichten, die laut Wilbers einige Unternehmen nicht erfüllen könnten, sei es zudem wichtig, eigene Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Eine intrinsische Motivation müsse bleiben.

Einen Baum zum nächsten Firmenfest pflanzen, sei nicht sinnvoll und auch nicht in jeder Jahreszeit möglich, meinte Lars Hermes, Gründer und Geschäftsführer der Aktion Baum, die unter anderem forstwissenschaftlich sinnvolle Bäume in Deutschland pflanzt. In seiner Zusammenarbeit mit Unternehmen habe er schon einiges erlebt, so auch Nachhaltigkeitsbeauftragte, die nicht wissen, was die CSRD überhaupt ist. Grundsätzlich komme es ihm bei der Auswahl von Partnern nicht darauf an, wo ein Unternehmen steht, sondern dass es aufzeigt, wo es hingehen will: „Wir denken oft in Schwarz-Weiß und wollen zu häufig eine schnelle Antwort.“

Ein Plausch unter Gleichgesinnten … 

Die Vielfalt der Themen und Perspektiven sowie der inhaltliche Anspruch der Vorträge und Diskussionen war bei der Digisustain allerdings nicht überall gleich. Das liegt womöglich daran, dass einzelne Bühnen auch von Partnerorganisationen- und initiativen des Events mitorganisiert und kuratiert wurden. Einige Panels ließen daher unterschiedliche Positionen und eine lebhafte Diskussion eindeutig vermissen.

Nachhaltigkeit und ihre Regularien als Bürde, nicht als Chance: So lautete das Motto beim Panel „Wie die junge Unternehmergeneration das Thema Nachhaltigkeit anpackt“. Thomas Hoppe, Vorsitzender der Jungen Unternehmer, kritisierte das Handeln der Bundesregierung, eine Überbürokratisierung und fehlende Attraktivität des Standorts Deutschland. Zudem bedauerte er das angebliche Auswandern einiger junger Unternehmer:innen ins Ausland und ein grundlegendes Problem: „Wir schaffen es nicht, unsere Innovation auch auf die Straße zu bringen.“

Zwar verwies Nanda Bergstein, Managing Director bei Camm Solutions, auf viele Beispiele für nachhaltige Produkte und Unternehmen. Die neuen Regularien und Gesetze findet aber auch sie für den Mittelstand zu komplex. Vielmehr glaube sie an unternehmerische Kreativität und internationalen Blick. Und auch Alina Heurich, Geschäftsführerin der Heurich GmbH & Co. KG., machte deutlich: „Ich kann nicht immer werteorientierte Entscheidungen treffen.“ Nach ihrer Kritik an Regularien und Gesetzen erklärte sie, wo sie die größten Hebel in der nachhaltigen Transformation sieht, nämlich in unternehmerischer Freiheit, sinnhaftem Handeln und Durchsetzungsfähigkeit.

Die „nachhaltige Europameisterschaft“ bietet eigentlich nichts als Chancen und Vorteile für Deutschland und seine Austragungsorte. So oder so ähnlich zusammenfassen lässt sich das Panel „Auf dem Weg zu einem nachhaltigen Turnier“ mit Mike Josef, Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main, Markus Stenger, Geschäftsführer der DFB EURO GmbH / EURO 2024 GmbH sowie Dr. Nina Malaviya, Prokuristin und Syndikusrechtsanwältin bei Tourismus+Congress GmbH Frankfurt. Es war ein Gespräch voller Begeisterung und Zustimmung. Ein Gespräch unter Stakeholdern. Nicht mehr.

… und eine Plattform für Parteipolitik

Klimaanpassung in Landwirtschaft und Weinbau. Grüner Wasserstoff für die Industrie. Darum ging es auf der Bühne „Klima Union“, wo Mitglieder des gleichnamigen CDU- und CSU-nahen Vereins ihre Perspektive zu Nachhaltigkeitsthemen schildern durften. Auch Politiker:innen und Kandidat:innen der CDU sowie ein Mitglied der Jungen Union waren hier vertreten. Warum bietet ein Business-Event eine Plattform für parteipolitische Interessen? Und an wen richtet sich das Event damit?

Nun, über Motive kann man viel spekulieren. Fest steht allerdings: Darius Maleki, stellvertretender Vorsitzender der INGLOSUS Foundation und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Maleki Corporate Group, engagiert sich im hessischen Landesvorstand der Klima Union – dazu ist er übrigens Regionalvorsitzender des Regionalkreises der konservativ eingestellten Jungen Unternehmer. Er war es auch, der die Digisustain mit abschließenden Worten auf der Bühne der Klima Union beendete. 

Fazit: Die Chancen und Risiken der Digisustain

Die zweite Digisustain ist sicherlich eine spannende Plattform für Unternehmenslenker:innen, Nachhaltigkeitsverantwortliche und andere Berufsgruppen, die sich mit den Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung auseinandersetzen. Doch ob das Event dauerhaft relevant bei diesen Zielgruppen werden kann, hängt ganz davon ab, welche Entscheidungen die Organisator:innen mit Blick auf zwei Fragen treffen.

Ein hoher Anspruch und starke Ambitionen sind immer gut, aber wie sinnvoll ist ein Event, dessen Publikum sich auf zu vielen Bühnen verläuft und verliert? Und wie glaubwürdig machen sich Veranstalter:innen – besonders im Bereich Nachhaltigkeit – wenn sie einer einzigen politischen Partei eine eigene Bühne widmen? Die Verantwortlichen der Digisustain können nun einen kritischen Blick auf das eigene Event werfen und entscheiden, wie es in Zukunft aussehen wird. Die Chance ist groß, ebenso wie das Potenzial. 


Schlagworte zum Thema:  Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Veranstaltung