Klimawandel und Gesundheit: Die doppelte Krise
Die Weltklimakonferenz hat auf der COP 28 im November 2023 zum ersten Mal dem Thema Health einen eigenen Tag gewidmet – John Kerry, ehemaliger US-Außenminister und aktueller US-Klimabotschafter, sagte dort sehr prägnant: „Die Realität ist, die Klimakrise und die Gesundheitskrise sind ein und dasselbe. Sie sind miteinander verbunden und konvergieren in diesem Moment vollständig.“
Die möglichen Auswirkungen dieser Doppel-Krise werden klar benannt: Laut einem Bericht des World Economic Forum könnten bis 2050 bis zu 14,5 Millionen Todesfälle auf die Klimakrise zurückzuführen sein. Entsprechend sichtbarer wird das Thema in Deutschland auch außerhalb der Fachkreise: zum Beispiel wird der Deutsche Nachhaltigkeits-Preis im Dezember 2024 zum ersten Mal im Bereich Gesundheit verliehen. Der Arzt und TV-Moderator Eckart von Hirschhausen hat jüngst verkündet, seine Unterhaltungskarriere zu beenden, um sich vor allem seiner Stiftung ‚Gesunde Erde – Gesunde Menschen‘ zu widmen.
Doppelte Herausforderungen für Gesundheitsunternehmen
Für die Nachhaltigkeit von Unternehmen im Gesundheitssektor stellt sich eine doppelte Herausforderung: die Akteure sind zugleich Betroffene und Verursacher.
Der Klimawandel hat sowohl direkte als auch indirekte Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit.
Als direkte Auswirkungen erhöhen zum Beispiel steigende Temperaturen die Zahl der hitzebedingten Todesfälle und extreme Wetterereignisse wie Stürme und Überschwemmungen das Verletzungs- und Todesrisiko.
Indirekt führt zum Beispiel die Verschlechterung der Luftqualität zu einem höheren Risiko von Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen; neue Wettermuster steigern die Gefahr, durch Insekten übertragene Krankheiten wie Malaria und Dengue-Fieber zu erleiden.
Insgesamt haben sich laut WHO 58 Prozent der menschlichen Krankheiten aufgrund des Klimawandels verschlimmert.
Zugleich trägt der Gesundheitssektor selbst signifikant zum Klimawandel bei. Sein CO₂-Fußabdruck entspricht 4,4 Prozent der globalen Nettoemissionen und liegt damit zum Beispiel vor dem Luftverkehr. Hauptsächlich durch energieintensive medizinische Geräte, den Einsatz von Einwegmaterialien und die Entsorgung von medizinischem Abfall entstehen beträchtliche Emissionen. Darüber hinaus verursachen die Produktion und Entsorgung von pharmazeutischen Produkten Umweltbelastungen.
Die Wechselwirkungen sind also erheblich: Während der Klimawandel die Gesundheit direkt und indirekt beeinflusst, verstärken Emissionen und Produktabfälle des Gesundheitssektors den Klimawandel weiter.
Denkmuster doppelte Wesentlichkeit
Diese Wechselwirkung illustriert sehr eindrücklich das Konzept der doppelten Wesentlichkeit, das mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) in Europa verbindlich geworden ist.
Dieses Konzept bezieht sowohl die Auswirkungen eines Unternehmens auf die Umwelt (Inside-Out-Perspektive) als auch die Auswirkungen der Umwelt auf das Unternehmen (Outside-In-Perspektive) mit ein. Unternehmen, die nach CSRD berichten, müssen sich mit beiden Perspektiven auseinandersetzen.
Während im Gesundheitsbereich die Inside-Out-Perspektive das eher „klassische“ Themenfeld von ESG/Corporate Sustainability Management beinhaltet mit Fragen wie etwa Dekarbonisierung, Ressourceneffizienz, Lieferkettenmanagement, Erneuerbare Energien, Verpackungen/ Abfallmanagement, oder Recycling und Kreislaufwirtschaft, hat die Outside-In-Sicht für Gesundheitsunternehmen viele Herausforderungen, die in Teilen auch direkt Produkte und Anwendungsgebiete betreffen.
Dazu gehören zum Beispiel die Befähigung der Verbraucher zu Verhaltensänderungen und Anpassung von Anwendungen mit Blick auf die persönliche Gesundheit, sowie allgemein die Sensibilisierung für den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Gesundheit. Die umweltbezogene Gesundheitskompetenz ist aber auch essenziell für Fachkräfte wie Ärzte oder Apotheker, entsprechend hoch sind der Bedarf an Forschung und innovativen Lösungen.
Folgen für den Gesundheitssektor
Die doppelte Wesentlichkeit als Wechselwirkungen von Klimawandel und Gesundheit lässt sich an zwei exemplarischen Problemstellungen veranschaulichen.
Verlust der biologischen Vielfalt:
Der Verlust der biologischen Vielfalt wird durch den Gesundheitssektor mit beeinflusst, während er gleichzeitig die Herstellung innovativer Arzneimittel bedroht. Biologische Vielfalt ist entscheidend für die Arzneimittelforschung als Bindeglied für die Erweiterung der molekularen Vielfalt, die für erfolgreiche Forschung, Prävention und Gesundheit in der Zukunft notwendig ist. Unzählige Studien zeigen, dass Flüsse oder Ackerflächen mit pharmazeutischen Wirkstoffen verschmutzt sind.
Ungleichheiten und Klimagerechtigkeit:
Der Klimawandel betrifft nicht alle Menschen gleichermaßen. Vielmehr verschärft er bestehende Ungleichheiten, indem er diejenigen am stärksten trifft, die ohnehin schon einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind. Besonders gefährdet sind etwa Menschen mit geringem Einkommen, indigene Gemeinschaften, Arbeitnehmer in gefährlichen Berufen, Menschen mit bestehenden Gesundheitsstörungen und Obdachlose. Viele von ihnen sind bereits von den Auswirkungen des Klimawandels auf ihre Gesundheit betroffen. Die gezielte Unterstützung und Anpassung der Gesundheitsversorgung für diese vulnerablen Gruppen ist unerlässlich.
Es ist wichtig, diese Auswirkungen zu erkennen und zu minimieren. Dazu müssen wir verstehen, dass Gesundheit kein isoliertes Thema ist, sondern ein Zusammenspiel von Humanmedizin, Umweltbedingungen, Lebensmittelsicherheit, Handel und Reisebedingungen.
Ausblick: Gesundheit und Unternehmensverantwortung im Zeitalter des Klimawandels
Diese Szenarien sind allerdings auch außerhalb des Gesundheitssektors wesentlich. Der für die CSRD vorgegebene Standard ESRS S1 (European Sustainability Reporting Standards) enthält den Unterpunkt „Gesundheit und Sicherheit“. Dieser Standard betont, dass Gesundheit ein zentrales Thema für Unternehmensverantwortung ist, das weit über die Gesundheitsbranche hinausgeht und sich auf die gesamte Lieferkette erstreckt, insbesondere auf die Arbeitsbedingungen.
ESRS S1 verpflichtet Unternehmen, umfassend über ihre Auswirkungen auf die Gesundheit und Sicherheit ihrer Mitarbeiter sowie anderer relevanter Interessengruppen zu berichten. Dies umfasst Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, zum Schutz vor berufsbedingten Gesundheitsrisiken und zur Förderung des allgemeinen Wohlbefindens. Unternehmen müssen darlegen, wie sie Risiken identifizieren und managen, die durch ihre betrieblichen Aktivitäten entstehen und die Gesundheit und Sicherheit beeinflussen können.
Die Corona-Pandemie hat die Bedeutung von Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz deutlich gemacht. Unternehmen sind zunehmend gefordert, nicht nur reaktive Maßnahmen zu ergreifen, sondern auch präventive Strategien zu entwickeln, um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu schützen. Dies schließt auch die Anpassung an klimabedingte Gesundheitsrisiken ein, wie etwa die Notwendigkeit, Arbeitsplätze vor extremen Wetterereignissen zu sichern oder Maßnahmen gegen hitzebedingte Erkrankungen zu ergreifen.
ESRS S1 spiegelt auch die doppelte Wesentlichkeit wider, indem sowohl die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf die Gesundheit (Inside-Out) als auch die Auswirkungen von Gesundheitsrisiken auf das Unternehmen (Outside-In) berücksichtigt werden. Unternehmen müssen zeigen, wie ihre Aktivitäten zur Verbesserung der Gesundheit und Sicherheit beitragen und gleichzeitig die Widerstandsfähigkeit ihrer Belegschaft gegenüber externen Gesundheitsrisiken stärken.
Die Dynamik der wesentlichen Themen durch die Effekte des Klimawandels verdeutlicht, dass Unternehmen sich auch strategisch jenseits der Reporting-Aufgabe umfassend mit der doppelten Wesentlichkeit auseinandersetzen müssen. Nachhaltigkeit und Gesundheit sind eng miteinander verknüpft und die Wechselwirkungen haben tiefgreifende Auswirkungen auf Unternehmen und Gesellschaft. Ein integrativer Ansatz, der beide Perspektiven berücksichtigt, ist unerlässlich für die effektive Gestaltung unternehmerischer Nachhaltigkeit.
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