Zivilisationskrankheiten als Hypothek für die Gesellschaft

Lebensstilbedingte Erkrankungen sind in Deutschland für eine hohe Krankheitslast und viele vorzeitige Todesfälle verantwortlich. Wie kann es gelingen Krankheitsketten zu vermeiden und Präventionskompetenzen zu entwickeln?

Die Haufe Redaktion sprach mit den drei Herausgebern und Professoren der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) Bernhard Allmann, Jörg Loth und Arne Morsch über ihr Herausgeberwerk zu den Auswirkungen zivilisatorisch bedingter Erkrankungen auf die Gesellschaft und die gesundheitliche Versorgung in Deutschland.

Tödliches Quartett

Haufe Online Redaktion: Was versteht man unter den sogenannten Zivilisationskrankheiten?

Bernhard Allmann: Hierbei handelt es sich um Erkrankungen, die auf einen ungesunden Lebensstil zurückzuführen sind, für viel Krankheitsleid verantwortlich sind und die Menschen auch früher sterben lassen. Zentrale Erkrankungen sind z. B. Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Typ 2 Diabetes und Fettleibigkeit, die man auch als tödliches Quartett bezeichnet. Sowohl einzeln als auch in Kombination erhöhen sie das Risiko schwerwiegende gesundheitliche Komplikationen zu erleiden oder auch vorzeitig zu versterben deutlich.

Präventive Maßnahmen

Haufe Online Redaktion: Wie kann das Fortschreiten der Erkrankungen des tödlichen Quartetts aufgehalten werden?

Jörg Loth: Diesen Erkrankungen gemein ist, dass sie durch Prävention gut beeinflussbar und zum Teil vermeidbar sind. Zunächst ist es daher wichtig, dass die Menschen die Risiken eines ungesunden Lebensstils, beispielsweise von falscher Ernährung oder zu wenig Bewegung und Sport, erkennen. Hierbei ist es von besonderer Bedeutung, auch diejenigen zu erreichen, die bisher hierfür nicht affin waren.

Deshalb möchten wir die präventiven, gesundheitsförderlichen Angebote in den kommunalen Settings, also in den Orten, an denen sich die Menschen ganz überwiegend aufhalten, auf- und ausbauen. Dabei bietet es sich an, vorhandene Sport- und Bewegungsangebote in den Vereinen oder in den Fitness- und Gesundheitsstudios für die gesamte Bevölkerung zugänglich zu machen. Schließlich darf nicht verkannt werden, dass gute und umfassende Gesundheitsangebote die Attraktivität einer Gemeinde oder Stadt nicht unerheblich erhöhen.

Lebensraum und Umstände machen den Unterschied

Haufe Online Redaktion: Sind denn alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen von den Zivilisationskrankheiten betroffen oder gibt es hier Unterschiede?

Arne Morsch: Leider sind die gesundheitlichen Chancen in der Bevölkerung ungleich verteilt. So beeinflusst die sozioökonomische Lage, also Unterschiede hinsichtlich Bildung, beruflicher Stellung und Einkommen, maßgeblich auch das Gesundheitsverhalten und das Auftreten von Krankheiten. Es ist daher wichtig, gesundheitsförderliche Rahmenbedingungen in den unmittelbaren Lebensräumen der Menschen zu schaffen und zwar über alle Altersgruppen hinweg. Also angefangen bei den Kindertageseinrichtungen über die Schulen und Betriebe bis hin zu wohnortnahen Strukturen für ältere Menschen in ihrem direkten Lebensumfeld.

Inhalte zur Gesundheit vermitteln

Haufe Online Redaktion: Mit welchen Instrumenten möchten Sie diejenigen erreichen, die den Präventions- und Sportangeboten bisher nicht aufgeschlossen waren?

Jörg Loth: Das Wissen um die gesundheitlichen Risiken, aber vor allem auch um die großen Chancen, die mit ausreichend Bewegung, Sport und Training sowie einer gesunden Ernährung verbunden sind, gilt es, den Menschen so niedrigschwellig als möglich zu vermitteln. Denn wir sehen auch in dem Herausgeberwerk, dass die Einschätzung des eigenen Gesundheitszustandes in einem Zusammenhang mit dem jeweiligen Qualifikationsniveau steht und Sport umso häufiger getrieben wird, desto höher der soziale Status ist.

Deshalb ist es notwendig, bereits den Kleinsten die Vermittlung von Gesundheitsbildung in Kita und Schule anzubieten. Ein eigenes Fach in der Schule oder zumindest ein klares Signal in den Lehrplänen wären hierfür in der Tat ein Meilenstein. Aber auch die Erwachsenen gilt es zu überzeugen.

Vermittlung im Betrieb

Haufe Online Redaktion: Die allermeisten Erwachsenen im Erwerbsalter verbringen einen Großteil ihres Alltags am Arbeitsplatz. Haben Sie ein Beispiel wie im betrieblichen Kontext Gesundheitskompetenzen aufgebaut werden können?

Bernhard Allmann: Wichtig ist, gemeinsam mit den Beschäftigten Grundsätze für ein gesundheitsförderliches Arbeiten zu schaffen. Dazu müssen Strukturen aufgebaut werden, wie beispielsweise ein gemeinsamer „Steuerungskreis Gesundheit“ in dem Gesundheitsziele erarbeitet werden, die dann auch in der Personalpolitik verankert werden. Zum Erreichen der Ziele braucht man ein nachvollziehbares Konzept. Auch hier müssen Beschäftigte im hohen Maße einbezogen werden und es sind Einflussmöglichkeiten auf die gesundheitliche Situation am Arbeitsplatz zu schaffen.

Wenn es gelingt, die Beschäftigten angemessen einzubeziehen und zu Experten in eigener Sache zu machen, ist der Grundstein für ein erfolgreiches und von allen Seiten akzeptiertes Betriebliches Gesundheitsmanagement gelegt.

Vermittlung an Ältere

Haufe Online Redaktion: Und wie erreicht man am besten ältere Menschen, die ja am häufigsten von den genannten Krankheiten betroffen sind und somit ein hoher Präventionsbedarf besteht?

Arne Morsch: Ältere Menschen, die aus dem Berufsleben ausgeschieden sind, aber noch selbstständig leben, erreicht man am besten in ihrem direkten Wohnumfeld, also der Stadt, der Gemeinde, dem Ort oder auch dem Wohnviertel. Die Lebensqualität und die Gesundheitssituation stehen dabei in einem engen Zusammenhang mit den vor Ort zur Verfügung stehenden gesundheitsförderlichen Angeboten oder auch den Möglichkeiten zur sozialen Einbindung.

Es ist somit eine wichtige kommunale Gestaltungsaufgabe entsprechende Strukturen zu schaffen und die DHfPG hat hierfür ein eigenes Studien- bzw. Qualifizierungsangebot im Bereich Kommunales Gesundheitsmanagement entwickelt.

Impuls durch das Herausgeberwerk

Haufe Online Redaktion: Welchen Impuls hoffen Sie mit dem Herausgeberwerk setzen zu können?

Bernhard Allmann, Jörg Loth, Arne Morsch: Wir hoffen, das Buch kann einen Beitrag dazu leisten, dass das Thema Prävention mehr Beachtung auf gesellschaftspolitischer Ebene findet und auch stärker als bislang in medizinische Behandlungsstrategien einbezogen wird.

Weitere Informationen:

Das Herausgeberwerk „Zivilisationskrankheiten: Krankheitsketten vermeiden – Präventionskompetenzen entwickeln“, herausgegeben von den Saarbrücker Professoren Dr. Bernhard Allmann, Dr. Jörg Loth und Dr. Arne Morsch, umfasst über 450 Seiten mit insgesamt 21 Beiträgen namhafter Autoren. Mehr Informationen finden Sie hier.


Schlagworte zum Thema:  Gesundheit, Gesundheitsvorsorge, Prävention