Wirtschaftsethik und deren praktische Anwendung durch die ISO 26000
Ziel der Wirtschaftsethik ist es, einerseits wirtschaftliche Theorien, Annahmen und Grundsätze aus der Perspektive der praktischen Philosophie (Ethik) kritisch zu hinterfragen, andererseits konkrete Hilfestellungen und Orientierungen, welche zu ethisch vertretbaren wirtschaftlichen Entscheidungen, Prozessen und Aktivitäten beitragen, für Wirtschaftsakteure aller Art aufzustellen und zu begründen.
Ursprung in den USA: Business Ethics
Ihren Ursprung hat die junge wissenschaftliche Disziplin in der sog. "Business Ethics"-Debatte in den USA, wo bereits in den 1970-iger Jahren die Frage nach der Verantwortung von Unternehmen angesichts neuer Herausforderungen, wie z. B. der zunehmenden Umweltverschmutzung und der globalisierungsbedingten Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohn-Länder ohne ausreichenden gesetzlichen Schutz von Arbeitnehmern, aufgeworfen worden war. Mitte der 1980-iger Jahre erreichte die Diskussion auch Europa, wo 1987 das European Business Ethics Network (EBEN) gegründet wurde, mit dem Ziel einen Dialog über ethische Fragen des Wirtschaftens zwischen Wissenschaft und Wirtschaftspraxis zu initiieren. Im deutschsprachigen Raum entstanden die ersten Lehrstühle für Wirtschafts- und Unternehmensethik Ende der 1980-iger Jahre. Ihre Inhaber (z. B. Peter Ulrich und Karl Homann) konzentrierten sich zunächst auf die Frage einer neuen Verbindung bzw. Re-Integration der beiden Disziplinen Ethik und Ökonomie. Letztere war über viele Jahrzehnte hinweg zu einer "wertneutralen" Wissenschaft verkürzt worden, obwohl der Begründer der modernen Marktwirtschaft, Adam Smith, selbst Moralphilosoph war und die klassische ökonomische Theorie nachweislich auf dem normativen Fundament des (Sozial-)Utilitarismus von Jeremy Bentham und John Stuart Mill aufbaut.
Wirtschaftsskandale machten Wirtschaftsethik praxistauglich
Eine Annäherung an die eher praxisorientierten Business Ethics folgte erst in den 1990-Jahren, als sich auch in Europa Wirtschaftsskandale häuften – neben negativen externen Effekten im Bereich der Umwelt gehörten dazu Korruption, Betrug oder menschenunwürdige Arbeitsbedingungen bei Zulieferern. Dadurch wurde die Kritik an einer rein (neo)liberalen Ausrichtung der ökonomischen Theorie und Praxis befeuert, wonach Unternehmen in erster Linie für die Befriedigung der Bedürfnisse von Kapitalgebern verantwortlich sind und sich entsprechend primär an der Maximierung des sog. "Shareholder Value" auszurichten haben, während für negative Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft, die nicht vom Markt selbst verhindert werden, Staaten zuständig sind.
Wirtschaftsethik in der Praxis: ISO 26000
Ein Meilenstein für die praxisbezogene Wirtschaftsethik war die Veröffentlichung der ersten internationalen Norm zur gesellschaftlichen Verantwortung von Organisationen im Jahr 2010: die ISO 26000. In ihrer im internationalen Konsens (unter Einbindung von 99 Ländern à 6 Stakeholder-Gruppen) entwickelten Definition, macht sie unmissverständlich deutlich, dass Unternehmen eine Verantwortung in Form einer Rechenschafts- und präventiven Sorgfaltspflicht für die Auswirkungen ihrer Entscheidungen und Aktivitäten auf Umwelt und Gesellschaft haben. Zur Wahrnehmung dieser Verantwortung gehören zum einen die legitimen Interessen aller Stakeholder – neben Kapitalgebern auch die von Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten, Gesellschaft, etc. – als gleichberechtigt und gleichgewichtig anzuerkennen bzw. zu berücksichtigen; zum anderen ein durchgängig von ethischer Reflexion begleitetes Handeln und Verhalten im Kontext zentraler Aspekte dieser Verantwortung: Organisationsführung und -steuerung, Geschäftspraktiken, Arbeitsbedingungen, Menschenrechte, Verbraucheranliegen, Umwelt und gesellschaftliches Engagement.
Wirtschaftsethik heute: Wichtig für die Zukunftsfähigkeit
Die Relevanz und Aktualität des Themas sind in den 20-iger Jahren des 21. Jahrhunderts offensichtlich. Unternehmen sehen darin zunehmend eine Chance, sich in einem immer komplexer und anspruchsvoller werdenden Umfeld zukunftsfähig aufzustellen. Wo diese Einsicht nicht freiwillig reift, hilft inzwischen der Gesetzgeber auf europäischer bzw. nationaler Ebene nach: Neben der 2014 EU-seitig initiierten Verpflichtung für Unternehmen bestimmter Rechtsformen und Branchen, in ihren Lagebericht Informationen über die Wahrnehmung dieser gesellschaftlichen Verantwortung aufzunehmen (in Deutschland 2017 durch das CSR-RUG umgesetzt), gehört dazu als jüngstes Beispiel das sog. Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Es schreibt vor, dass und wie Unternehmen ihrer Verantwortung für die Einhaltung und Durchsetzung der Menschenrechte in der eigenen Wertschöpfungskette nachkommen sollen. Dass diese Pflicht auch für Unternehmen besteht, war mit den 2011 veröffentlichten Guiding Principles on Business and Human Rights der Vereinten Nationen explizit bestätigt worden.
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