Grenzen der 30/70-Methode in der Gastronomie
Jeder Unternehmer stöhnt, wenn wieder einmal eine Betriebsprüfung ansteht. Das bedeutet nicht nur viel Arbeit, sondern führt auch hin und wieder zu hohen Steuernachzahlungen.
Da hilft nur eines:
Richtig vorbeugen durch eine sorgfältige Finanzbuchhaltung!
Denn das Finanzamt steht besonders gerne bei Auffälligkeiten und Unregelmäßigkeiten auf der Matte. So war es auch bei dem Fall (FG Münster, Urteil v. 4.12.2015, 4 K 2616/14 E,G,U), der jüngst vom FG Münster entschieden wurde (im Folgenden „Der Fall Münster“).
Der Fall Münster
Der Kläger betrieb ein chinesisch-mongolisches Speiserestaurant mit Buffetangebot. Der Außerhausverkauf von Speisen machte nach den Geschäftsunterlagen fast 30% des Gesamtumsatzes aus.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung gelangte das Finanzamt zu der Ansicht, dass die Kassenführung aufgrund schwerwiegender Mängel nicht ordnungsgemäß sei, auch wenn keine materiellen Unrichtigkeiten der Einnahmeerfassung nachgewiesen werden konnten. Diese erheblichen Mängel in der Kassenführung berechtigten die Finanzverwaltung eine Schätzung vorzunehmen.
Wichtig: Schätzungsbefugnis des Finanzamts
Kann die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen eines Steuerpflichtigen nicht ermitteln oder berechnen, darf sie sie schätzen (§162 Abs. 1 AO).
Gründe, die häufig zu einer Prüfung und Schätzung führen:
Die tatsächlich erzielten Einnahmen können nicht ermittelt werden oder es liegen andere Unregelmäßigkeiten vor, wie z.B.
- Eine nicht ordnungsgemäße Führung der Registrierkasse und/oder des Kassenbuchs, durch z. B. nicht eindeutig zuzuordnende Bons, keine fortlaufende Nummerierung von Finanzberichten, falsche oder nicht chronologische Zuordnungen, fehlende Dokumentation von Privatentnahmen aus der Kasse, falsche Aufzeichnung von Kartenzahlungen (z. B. als Barzahlung)
- Nicht nachprüfbare Aufzeichnungen
- Abrechnung mit falschen Umsatzsteuersätzen
- Einsatz von Kassensystemen, die Stornierungen zulassen, aber nicht aufzeichnen, und ohne Dokumentation täglich löschen
- Abweichungen von den Richtsätzen
- Hohe Kassenbestände oder zu seltene Ermittlung dieser (z. B. nur einmal pro Monat statt täglich)
- Geringe Personalkosten (Verdacht auf Schwarzarbeit) oder Einsatz von besonders vielen Mitarbeitern als geringfügige Beschäftigung
- Mieten unter dem ortsüblichen Niveau (Verdacht von Schwarzmieten)
- Kontrollmitteilungen, wie z. B. von Lieferanten, Wareneinkäufe, Großhandel, Brauereien (Bierlieferungen), von Kunden etc.
- Namentliche oder anonyme Anzeigen ehemaliger Mitarbeiter, Nachbarn, Konkurrenten, Geschäftspartner oder Familienangehöriger
- Kontrolle von Bewirtungsbelegen
- Verdächtige Rechnungen über Betriebsveranstaltungen
Solche schwerwiegenden Mängel, insbesondere wenn mehrere zusammenkommen, führen dazu, dass das Finanzamt die Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung versagt, wie im Fall Münster.
Praxis-Tipp: Alles sorgfältig dokumentieren
Durch eine sorgfältige und authentische Buchführung können solche o.g. verdächtigen Anzeichen und damit das Risiko einer Betriebsprüfung auf ein Minimum reduziert werden. Schätzwerte fallen häufig zu Ungunsten des Steuerpflichtigen aus. Daher gilt: Sofern Ihr Unternehmen Besonderheiten unterliegt (wie etwa einem starken Außerhausverkauf, wie im Fall Münster), heisst es: Dokumentieren Sie sorgfältig. Seien Sie ehrlich und lassen Sie sich im Zweifel von einem Steuerberater betreuen.
Achtung: Kein Einsatz manipulativer Kassensysteme
Steuerhinterziehungen im Bargeldbereich durch den Einsatz manipulativer Kassensysteme ist keine Seltenheit. Dabei steht die Registrierkasse im besonderen Fokus der Finanzverwaltung, da sich mit vielen Modellen „kinderleicht“ unrichtige Einnahmeaufzeichnungen erzeugen lassen. Allein der Einsatz eines solchen manipulativen Kassensystems – ganz gleich, ob sie für Manipulationen genutzt wird oder nicht – kann auch ohne Nachweis einzelner Verstöße zu einer o.g. Schätzung führen. Das Finanzamt setzt verstärkt auf speziell ausgebildete Betriebsprüfer, um solche Manipulationen aufzudecken. Achten Sie daher darauf, was für ein Kassensystem Sie bei sich eingesetzt haben und tauschen Sie es ggf. aus.
Wie das Finanzamt schätzt
Kommt es zur Schätzung, darf die Finanzverwaltung nach ihrem Ermessen zwischen verschiedenen Schätzungsmethoden wählen. Dabei muss sie die Schätzungsmethode so wählen, dass die Besteuerungsgrundlagen durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen der Wirklichkeit möglichst nahe kommen. Schätzungen müssen zudem
- in sich schlüssig sein und
- wirtschaftlich vernünftige und mögliche Ergebnisse liefern.
Die sog. 30/70-Methode bzw. 30/70-Regel
Eine dieser Methoden ist die sog. 30/70-Regel. Sie besagt, dass – nach den Erfahrungen der Finanzverwaltung – das Verhältnis der Getränke- und Speiseumsätze in Speisegaststätten 30 zu 70 beträgt:
- 30 % der Umsätze fallen üblicherweise auf Getränke und
- 70 % auf Speisen.
Diese Methode basiert auf dem Grundgedanken, dass das Verhältnis zwischen den verzehrten Speisen und den Getränken nur geringen Schwankungen unterliegt, da Gäste im Durchschnitt zu jeder Speise eine bestimmte Menge an Getränken zu sich nehmen.
Der Fall Münster: Schätzmethode des Prüfers
Im besagten Fall Münster
- wandte der Prüfer die besagte 30/70-Methode an und
- nahm zur Ermittlung der Gewinn- und Umsatzhinzuschätzungen eine Getränkekalkulation vor
- Anhand des gebuchten Anteils der Getränkeumsätze berechnete er den Gesamtumsatz.
- Von der Kalkulationsdifferenz zum erklärten Umsatz nahm der Prüfer einen Sicherheitsabschlag in Höhe von 10% vor.
Gegen die aufgrund der Betriebsprüfung erlassenen Änderungsbescheide wandte der Kläger ein, dass das vom Prüfer ermittelte Ergebnis wirtschaftlich nicht erzielbar sei.
Der Fall Münster: Die Entscheidung des FG
Im vorliegenden Fall wurden zwar formelle Kassenführungsmängel nachgewiesen, welche zu einer Hinzuschätzung berechtigten, jedoch konnten keine materiellen Unrichtigkeiten der Einnahmeerfassung festgestellt werden. In solchen Fällen müssen laut FG Schätzungsmethoden, die auf betriebsinternen Daten aufbauen oder in anderer Weise die individuellen Verhältnisse des Steuerpflichtigen berücksichtigen (z. B. eine Aufschlagkalkulation), vorrangig herangezogen werden. Die Schätzung auf Grundlage einer Getränkekalkulation, die sog. 30/70-Methode, ist laut FG in einem solchen Fall grundsätzlich geeignet.
Im betreffenden Fall war der Anteil der Außerhausverkäufe des Klägers jedoch nicht unerheblich (30%), weshalb das FG entschied:
Aus der Getränkekalkulation über die 30/70-Methode können auf diese Außerhausumsätze keine unmittelbaren Schlussfolgerungen gezogen werden.
Denn: Zwischen den Getränkeumsätzen im Restaurant und den Speisen, die außer Haus geliefert werden, bestehe keine logische Verknüpfung.
Andererseits sind alle Umsätze in derselben Barkasse gelandet, so dass die zu den Hinzuschätzungen berechtigenden Kassenführungsmängel für alle Bereiche gleichermaßen gelten. Daher nahm der Senat für die Außerhausumsätze einen doppelt so hohen Sicherheitsabschlag wie bei den übrigen Umsätzen vor und zog – anders als der Prüfer – die Sicherheitsabschläge nicht erst von der Kalkulationsdifferenz, sondern vom Kalkulationsergebnis ab, um alle Unwägbarkeiten der gesamten Kalkulation abzugelten.
Fazit: 30/70-Methode nicht universal anwendbar
Aus dem Ergebnis einer Getränkekalkulation bei einem Restaurant nach der sog. 30/70-Methode kann nach Meinung des FG Münster nicht ohne Weiteres auch auf den Außerhausverkauf von Speisen geschlossen werden. Es muss nicht nur eine geeignete Schätzmethode herangezogen werden, sondern auch eine logische Verknüpfung bestehen.
Im Klartext heisst das:
Die von Prüfern beliebte 30/70-Methode kann im Wege der Schätzung nicht auf alle Sachverhalte (insbesondere in der Gastronomie) gleichermaßen angewendet werden.
Da Schätzmethoden nicht selten Anlass für Streitigkeiten sorgen, heisst es für Mitarbeiter im Rechnungswesen, diese mit Nachdruck zu vermeiden.
FG Münster, Urteil v. 4.12.2015, 4 K 2616/14 E,G,U
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