Schmalenbach-Tagung 2022: Zukunft der Finanzfunktion

Vor dem Hintergrund der Megatrends Digitalisierung, Globalisierung und Nachhaltigkeit sowie der aktuellen Herausforderungen der Corona-Pandemie und des Krieges in der Ukraine mit den daraus resultierenden Anspannungen in den Lieferketten, fand am 31.3.2022 in Köln die diesjährige Schmalenbach-Tagung in hybrider Form statt, um intensiv die Zukunft der Finanzfunktion zu diskutieren.

Es wurden fünf Thesen vorgestellt, die durch eine sechste zur Zusammenarbeit von Vorstand und Aufsichtsrat ergänzt wurde. Um einen Ausgangspunkt für die Diskussion zu bieten, wurden die Ergebnisse einer breiten Umfrage zu den Thesen im Vorfeld der Konferenz kurz dargestellt. Diese sind im Folgenden den einzelnen Thesen nachgestellt, bevor die dazu geführten Diskussionen wiedergegeben werden.

Finance als Treuhänder der Performance

90 % der Befragten bestätigen diese Sicht auf die Finanzfunktion, allerdings geben 80 % an, Unternehmenszweck, Strategie und Finanzfunktion seien in ihrem Unternehmen nicht vollständig aufeinander abgestimmt. Die Finanzfunktion sieht sich als Wächter über Effizienzen ("zahlengetriebenes Gewissen des Unternehmens"), identifiziert und hebt Synergien, schafft Transparenz und zeigt Datenqualitätsprobleme auf.

Voraussetzung ist das Zusammenwachsen der Funktionen Finance, IT und Business, um Mehrwert zu schaffen. Dies bedingt, die jeweiligen Beschäftigten umfassender und breiter auszubilden, um gerade die Schnittstellen bedienen zu können. Relevant bleibt aber, den Fokus nicht zu verlieren, d. h. es wäre zu klären, was Performance (Steigerung des Unternehmenswerts) eigentlich ist. Zudem wird der Finanzbereich vielfältiger: Es braucht weiter die Experten in Rechnungslegung, Treasury, aber auch die eher Controlling-getriebenen Berater als Business Partner, um etwa mit Szenario- oder Früherkennungsanalysen zu unterstützen. Eindeutig gehöre die aktuelle Nachhaltigkeitsdiskussion auch in die Finanzfunktion. Allerdings zeigen sich zunehmend Engpässe. So sei bei vielen Unternehmen das Kapital für die Finanzfunktion zwar vorhanden, die Personal- und Managementressourcen sind aber immer knapper. ESG- (Environmental Social Governance) und IT-Kompetenz sind selten in einer Person zu finden, daher braucht es crossfunktionale Teams und eine Ausbildung in mehreren Schritten ("Finance for Finance"-Seminare, Job Rotation, etc.), zudem ist auch die finanzielle und Steuerungskompetenz in andere Abteilungen zu tragen. Bei der Unterstützung des Unternehmenszwecks besitzt die Finanzfunktion eine langjährige Schnittstellenfunktion und steht im engen Austausch mit den Geschäftseinheiten und der IT. Erfahrungen liegen auch in der Verknüpfung verschiedener Systeme zur Entscheidungsfindung und der internen, sowie externen Kommunikation. Risikomanagement im traditionellen und erweiterten Sinne eines Früherkennungssystems sind für "Future of Finance" ebenso wichtig. Finanzen sind ein wertvoller Projektpartner für die (zukünftige) ESG-Steuerung und ein "modernes" Berichtswesen.

Hybride Finanzfunktion

99 % sehen die Antizipation der Digitalisierung als notwendig, allerdings sehen sich hier auch 80 % der Befragten nur mäßig aufgestellt, bei 40 % ist die Steigerung der Werthaltigkeit nicht sauber in den Systemen abgebildet.

Voith Group und BMW AG

Dr. Toralf Haag (CEO Voith Group) sieht bereits die Wandlung der Finanzfunktion: War früher etwa 75 % der Arbeitskapazität der Finanzfunktion mit Reportingaktivitäten gebunden und nur 25 % mit wertschaffenden Analysen, ist es aktuell schon fast umgekehrt, wobei das Ziel sein muss, die Reportingaktivitäten noch mehr zu automatisieren und Echtzeitdaten zur Simulation zur Verfügung zu haben. Beschäftigte müssen zur Motivation auch Erfolge mitfeiern dürfen, etwa das Erreichen von ESG-Ratings. Daher müssen mehr Meilensteine gesetzt und visualisiert werden.

Dr. Peter (CFO BMW AG) beobachtet, dass 2/3 der Zeit im Reporting im aktuellen Jahr für ESG-Berichterstattung aufgewandt wurde, mit dem Ziel, diese belastbarer und damit prüffähiger zu machen. Die Kostenrechnung sei weitgehend ausgereizt und schaffe kaum noch mehr Transparenz. Potential liegt künftig in der noch stärkeren Orientierung am Kunden, indem dieser über die Digitalisierung eingebunden wird. Die aktuelle Ukraine-Krise weckt bei vielen Beschäftigten Potenziale, da etwa die Bewältigung von Herausforderungen in den Lieferketten eine höhere Motivation auslöst. Er beobachtet ein Zusammenwachsen von Controlling und Rechnungslegung. Im Tagesgeschäft sitzen immer beide Funktionen mit am Tisch und werden auch durch ein vereinheitlichtes System zusammengebracht.

ESG oft nicht in Finanzfunktion verankert

Prof. Sellhorn sieht die Unternehmen oft noch sehr schlecht aufgestellt – Systeme sind gewachsen, weisen viele Brüche auf, häufig wird noch bewusst Intransparenz verteidigt, um eigene Informationsvorsprünge zu behalten. ESG ist häufig noch nicht in der Finanzfunktion verankert, dabei sind ESG-Themen Zugangsvoraussetzung für den Kapitalmarkt und auch in der operativen Steuerung heute unerlässlich. Beschäftigte verlangen zunehmende Einbindung in den Zweck und die Sinnhaftigkeit der Arbeit. Auch muss die Digitalisierung vom Management vorgelebt und umgesetzt werden, mit der Versicherung, dass Umbauprozesse nicht zu Arbeitsplatzabbau führen, sondern die Beschäftigten in analytischeren Tätigkeiten dringend benötigt würden.

Roche, Deloitte und Bosch

Dr. Hippe (CFO und CIO Roche) berichtete von einem Schub in der Kostenrechnung durch die interne Zusage, die Einsparungen von Kosten für eine Steigerung der Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen zu verwenden und damit im Ergebnis dem Wohl der Patienten zu dienen. Wirtschaftsprüfer und CPA Krug (Vorsitzender der Geschäftsführung Deloitte GmbH WPG) erinnert daran, dass die Digitalisierung auch die Wirtschaftsprüfung immer mehr erfasst. Zudem besteht die Herausforderung der ESG-Prüfung. Insgesamt komme der Auswahl des Datenbedarfs eine immer höhere Bedeutung zu, denn es kommt nicht darauf an, möglichst viele Daten zu bekommen, sondern die richtigen. Eine Fokussierung hilft dabei, die eigentlichen Ziele im Blick zu behalten und sich nicht mit Datensammlungen zu blockieren, die nicht ausgewertet werden können.

Prof. Dr. Asenkerschbaumer (Vorsitzender AR Robert Bosch GmbH) legt den Fokus auch auf die Ausbildung und Weiterqualifizierung des Finance-Personals. Hier muss stärker auf die Businesskompetenz abgestellt werden. Die Zeit von reinen Finanzexperten sei beendet, konstatierte er; sinnvoll sei die Sammlung von Erfahrungen in der Linie.

Organisation als lebendiges System

80 % sehen die Unternehmen hier aktuell aber nur mäßig aufgestellt. Auch wenn Agilität derzeit hier der Trend ist, sollte gut bedacht werden, wo dies sinnvoll sei. Nicht alle Bereiche des Unternehmens, aber auch Personen, eigen sich dafür, sodass es einer guten Abstimmung bedarf. Teams sind innovativer, wenn klare Zielvorgaben existieren, eine völlige Freiheit führt zu Ineffizienzen. Daueraufgaben sollten weiter an feste Organisationsteile verankert sein, es lohne sich da die Spezialisierung, die mit Agilität nicht verwechselt werden darf. Projekte können dagegen agil aufgestellt werden. Einbindung von Personal durch die Unternehmen stellt aber eine neue Herausforderung dar, da es inzwischen einen Kampf um die – weniger werdenden – Talente gibt, die daher auch ganz anders behandelt werden müssen als noch vor einigen Jahren. Die Aufgabe der Führungskraft werde hierbei facettenreicher. Es müsse mehr die Rolle des Coachs eingenommen werden, was auch Agilität und das Aufbrechen von Silos sicherstellt. Teams müssen zur Umsetzung der Unternehmensstrategie befähigt werden und fungieren als Übersetzer zwischen Generationen und Abteilungen. Wichtig sei auch, unterschiedliche Entwicklungsperspektiven zuzulassen, es würden Generalisten und Spezialisten gerade auch in der Finanzfunktion benötigt.

Verantwortung über den Kern hinaus – insbesondere ESG

65 % fordern die Erweiterung der Zuständigkeiten über den Kernbereich hinaus – fokussiert auf ESG fordern dies sogar 80 %. 40 % haben allerdings bislang kaum Aktivitäten dazu aufgesetzt. Kreis (CFO Deutsche Post AG) bestätigt die aktuell zentrale Rolle im Kontext ESG. Wenn hier enorme Summen investiert werden müssen – die Deutsche Post plant bis Ende der Dekade 7 Mrd. EUR allein um den CO2-Ausstoß des Konzerns zu drücken – dann gehöre dies ganz natürlich auch in die Finanzfunktion. Diese muss das steuern und überwachen, wie andere Projekte auch. Prof. Dr. Bannier (Banking und Finance, Universität Gießen) bestätigt dies aus wissenschaftlicher Sicht. Die Finanzfunktion setzt letztlich die Strategieentscheidungen durch die Zuteilung der Ressourcen im Unternehmen um, sammelt dazu die nötigen Daten, gibt diese gezielt weiter und unterstützt insgesamt die Steuerung und Kontrolle. ESG trifft Unternehmen branchenabhängig ganz unterschiedlich, zumeist in den Bereichen Kunden, Mitarbeitern und Regulatorik. Diese sollte ganzheitlich und authentisch über alle Bereiche und Prozesse im Unternehmen umgesetzt werden und schließlich in einem effizienten Reporting transparent gemacht werden. Notwendig ist auch die Integration von finanziellem und Nachhaltigkeits-Reporting und die Nutzung für ein integriertes Risikomanagement.

Erweiterte Fähigkeiten im Finance-Bereich

75 % der Befragten sehen Bedarf an einer Veränderung der Kompetenzen, sehen die Finanzfunktion aber als unverzichtbar. 75 % sehen hier neue Zusammenarbeitsformen und selbstgesteuerte Weiterbildung als differenzierenden Faktor im Recruiting. Die Anforderungen in der Finanzfunktion entwickeln sich dennoch zu einem breiteren Anforderungsprofil über die Rechnungslegungskompetenzen hinaus, wie Managing Director Scheiff (Russel Reynolds Associates, Inc.) beiträgt. Ein CFO benötige erheblich mehr als klassische Rechnungslegungskenntnisse: Aktuell wird stark nach Transformationserfahrungen gefragt. Risikomanagement und ESG sind ebenfalls ganz zentrale Themen, die benötigt werden. Letztlich sind auch die IT-Affinitäten notwendig, wobei die Themen zusammenwachsen, da etwa Cyberrisiken eine enorme Relevanz für Unternehmen haben.

Investoren schauen immer weniger auf den Jahresabschluss, sondern viel stärker auf den Lagebericht und die dort dargestellte Strategie, berichtet Prof. Rocholl (ESMT, European School of Management and Technologie).

Aus- und Weiterbildung wird immer bedeutender

Daraus folgt, dass die Ausbildung vielfältiger werden muss, letztlich eine Kombination des amerikanischen Selektionsansatzes ("Wer ein Physikstudium bewältigt, dem kann man auch die nötigen Kenntnisse in Rechnungslegung vermitteln"), mit der eher klassischen Expertenausbildung, die mit der Vermittlung von Fachwissen beginnt und diese mit weiteren Erfahrungen bis zum Expertentum ausbaut. Ein BWL-Studium bleibe aber weiter ein gutes Sprungbrett, wie auch eine gute Universität, Unternehmenspraktika sowie ein Auslandsstudium. Allerdings führe dies oft zu sehr identischen Lebensläufen, aus denen es gilt, sich durch spezielle weitere Aspekte abzusetzen. Gefordert werden in Unternehmen auch zunehmend Teamplayer, die ebenfalls ausgebildet werden müssen. Auch die Frage des Unternehmenswechsels würde immer relevanter in Karriereplanungen. Inzwischen werde es sehr gerne gesehen, wenn hier breitere Erfahrungen mitgebracht werden, ohne dass allerdings die Fokussierung etwa auf eine Branche ganz verloren geht. Beobachtungen zeigen, dass Masterabsolventen der BWL sich stark für eine unternehmerisch, international, digital und nachhaltig (ESG) ausgerichtete Tätigkeit interessieren. Zudem ändern sich Weiterbildungsangebote, wo inzwischen sehr viel von sozialen Medien konsumiert wird, aber auch teure Online-Studiums-Angebote zunehmend genutzt werden.

Aus Sicht der Arbeitswissenschaft merkt Prof. Süß (Lehrstuhl für BWL, insb. Arbeit, Personal und Organisation, Universität Düsseldorf) an, dass die sozialen Kompetenzen deutlich mehr Gewicht bekommen. Die klassischen "Schornsteinkarrieren" (vom Referent über die Abteilungsleitung bis zum Vorstand) werden zunehmend weniger, vielmehr wird immer häufiger zwischen den Funktionen gesprungen und es gilt, Führungsverantwortung zu erarbeiten. Dies sei auch an Universitäten zu beobachten, wo Veranstaltungen wie BWL für Nichtökonomen inzwischen überlaufen seien. Aus Sicht der Unternehmen werde es durch soziale Medien und dortige Beurteilungsportale immer schwieriger, auch ein treffendes Bild des Unternehmens zu vermitteln.

Prof. Dr. Wieland-Blöse (Mitglied des Vorstands Warth & Klein Grant Thornton AG) merkt an, dass Führung Erfahrung braucht, die schon sehr früh ausgebildet werden kann. Gleichzeitig wächst der Bedarf an Weiterbildung und die aktuelle Entwicklung von frühen Zwangsverrentungen von Führungskräften, die dann als Seniormanager oft noch sehr erfolgreich eine weitere Karriere anhängen und ebenfalls, wie auch den jüngeren Generationen nachgesagt, zunehmend nach dem Sinn ihrer Tätigkeit fragen. Bei der aktuellen Einsteigergeneration sei die Bereitschaft, offen für verschiedene Angebote zu sein ohne sich festzulegen, zunächst sehr zu begrüßen. Problematisch wird es dann allerdings, wenn unter dem Vorwand der Flexibilität einer Belastungssituation ausgewichen wird, da diese Erfahrungen dann fehlen würde.

Änderung im Verhältnis CFO-CEO-Aufsichtsrat

90 % der Befragten aus der Industrie stimmen einer mindestens guten Beziehung zwischen sowohl CFO-CEO als auch CFO-Aufsichtsrat zu. Allerdings ist das Meinungsbild bezüglich der zukünftig strategischen CFO-Rolle geteilt.

Prof. Dr. Asenkerschbaumer beobachtet, dass die Pandemie zu einer stärkeren Nähe von Vorstand und Aufsichtsrat führt und wirft die Frage auf, ob dies wieder korrigiert werden müsste. Das Plenum lehnt dies deutlich ab. Mehr Transparenz untereinander, die mit Nähe gleichgestellt werden kann, sei sinnvoll. ESG als neue Herausforderung führt ebenfalls zu einer Notwendigkeit des stärkeren Zusammenwirkens von Vorstand und Aufsichtsrat. Die Frage, ob der Prüfungsausschuss mit ESG-Themen zu befassen ist oder ob die Entwicklung der Einrichtung gesonderter ESG-Ausschüsse in Aufsichtsräten weiterverfolgt werde, macht Dr. Hippe von den handelnden Personen abhängig. Kullmann (Vorsitzender des Vorstands Evonik Industries AG) sieht eine dramatische Veränderung des ESG-Verständnisses etwa durch die aktuelle Ukraine-Krise. Daher sei es wenig sinnvoll, dies nun jetzt zu zementieren – man wolle ja gerade weg von dem alten Silodenken. ESG ist ein strategisches Thema, was die gesamte Vorstands- und Aufsichtsratsarbeit durchwirken muss. Aktuelle Krisen zeigen, dass ein geopolitisches Denken eine zentralere Rolle bekommen muss – es geht darum, die schwarzen Schwäne im Auge zu behalten, auf die man sich eben kaum vorbereiten kann, was als ein schönes Abschiedswort der Veranstaltungen gesehen werden kann.


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