Reportage: Val d’Europe – mehr als Mickey Mouse
Es waren einmal ein Fuchs und ein Hase, die sagten sich im Osten von Paris gute Nacht. Dann kam Mickey Mouse. In Disney-Manier könnte man so die Geschichte der Region Val d’Europe erzählen. Denn das in Europa einzigartige Stadtentwicklungsprojekt startete Mitte der 1980er Jahre mit dem Wunsch, die ländliche Region rund um Paris wirtschaftlich weiterzuentwickeln.
Die Walt Disney Company nahm sich dieser Aufgabe an und unterzeichnete am 24. März 1987 den Vertrag mit dem französischen Staat, der Region Paris, dem Départment Seine-et-Marne und den Pariser Verkehrsbetrieben RAT, um das Megaprojekt zu beginnen. Damit war nicht nur der Grundstein für den Freizeitpark Disneyland Paris gelegt. Denn mit dem Vertrag hat die Walt Disney Company das Recht, 2.118 Hektar Land zu entwickeln.
Die Region heißt heute Agglomération Val d’Europe. Der Name wurde neu erfunden, um die zehn Gemeinden Bailly-Romainvilliers, Chessy, Coupvray, Magny-le Hongre, Serris, Villeneuve-le-Comte, Villeneuve-Saint-Denis, Esbly, Montry und Saint-Germain-sur-Morin zusammenzufassen. Die gesamte Region erstreckt sich auf knapp 70 Quadratkilometer, das entspricht ungefähr der Fläche der Stadt Friedrichshafen. Gemeinsam mit Real Estate Development by Euro Disney agiert die Agglomération Val d’Europe unter der Marke "Val d'Europe, Fields of Opportunities", um die Destination aus wirtschaftlicher und touristischer Sicht zu vermarkten.
Aus Ackerland wird ein Wirtschaftsstandort
Die ehemals von Landwirtschaft geprägte Region wurde von Disney im wahrsten Sinne des Wortes umgegraben, um daraus einen Wirtschaftsstandort zu machen. Denn schon fünf Jahre nach der Unterzeichnung, 1992, wurde Disneyland Paris eröffnet. Für Disney hat der Entwicklungsauftrag den Vorteil, dass die Flächennutzung bereits Jahrzehnte im Voraus geplant wird und so genügend Platz für den Freizeit[1]park und mögliche Expansionen lässt und gleichzeitig eine gute Infrastruktur ermöglicht. Die strategisch günstige Lage, nur 30 Minuten von Paris entfernt und einen Katzensprung vom Flughafen Charles de Gaulle, wurde hier genutzt.
Die Landwirte wurden laut Disney bereits 1987 finanziell entschädigt und können das Land so lang bewirtschaften, bis die Bebauungspläne phasenweise umgesetzt werden. Stand 2023 steht die Entwicklungsphase bei 50 Prozent. Verkehrstechnisch ist Val d’Europe mittlerweilse bestens angebunden. 1994 wurde der TGV-Bahnhof "Marne-la-Vallé – Chessy" eröffnet, heute der wichtigste Verkehrsknotenpunkt von ganz Frankreich. Warum der Wichtigste? Weil er sich im "Herzen Europas" befindet und in weniger als drei Stunden die Region mit allen französischen und vielen europäischen Städten verbindet. Denn anders als bei den Bahnhöfen der Île de France, wo die Züge je nach Destination auf verschiedene Bahnhöfe verteilt werden, führen hier sozusagen alle Wege nach Rom – oder eben nach Val d‘Europe.
Disneyland Paris hat sich mit über 375 Millionen verzeichneten Besuchen seit 1992 zu den meist besuchten Touristenzielen Europas entwickelt. In Frankreich hält die Region mit 12.000 Zimmern die zweithöchste Hotelkapazität. Doch auch das Umland hat eine Transformation hingelegt: Eine Ringstraße verbindet die verschiedenen Sektoren und Ortsteile, um das Ziel einer 15-Minuten-Stadt zu verfolgen. Unterteilt sind die Sektoren in Wohngebiete sowie dem Stadtzentrum mit Mischnutzung aus Gastronomie, Gewerbe, Büros und Wohnen. Weitere Sektoren sind Hotelanlagen und Business Parks. Das Stadtzentrum von Val d’Europe bildet der Place d’Ariane. Hier befindet sich auch der Bahnhof, der an das RER-Netz (Réseau Express Régional), also die Regionalzüge, die die Vororte mit dem Stadtzentrum von Paris verbinden, angebunden ist.
Wohn- und Gewerbeimmobilien zu attraktiven Preisen
Hier reihen sich schmucke Häuserfassaden aneinander, die an den Architekturstil von Pariser Quartiers erinnern. Auch wenn das Zentrum per sé mit Disneyland nichts zu tun hat, ist der Einfluss doch merklich: Denn der Marktplatz wirkt wie aus dem Ei gepellt – die etwas lebensechtere Version der Mainstreet des Freizeitparks. Konzipiert wurde der Place d’Ariane tatsächlich von Disney, doch die Stadt übernimmt nun die Verwaltung und Instandhaltung der öffentlichen Fläche und besitzt ebenfalls das Hausrecht.
Unweit des Zentrums, nur knapp zwei Kilometer entfernt, befinden sich zwei weitere Touristen- und Wirtschaftsmagnete von Val d’Europe: das Shopping Center Val d’Europe und das Outletdorf La Vallée Village. Das Outletdorf hat sich inzwischen zu einer der begehrtesten Shopping-Destinationen in der Region von Paris entwickelt und ist vor allem bei internationalen Gästen beliebt. Von Armani bis Zadig&Voltaire finden Fashionistas alles, was das Herz begehrt. Das Outlet wird von The Bicester Collection betrieben, wozu in Deutschland das Wertheim Village oder Ingolstadt Village gehören. Das Shopping Center Val d’Europe wird von der Klépierre Group betreut und verfügt über knapp 150 Geschäfte.
Ein wichtiger Bestandteil der Entwicklungsstrategie der Real Estate Development by Euro Disney sind Wohn- und Gewerbeflächen. Bereits jetzt sind über 7.000 Unternehmen angesiedelt, die 44.000 Arbeitsplätze bieten. Die neu entwickelten Wohnimmobilien kosten einen Bruchteil von den Preisen der Île de France: Laut Disney kostet der Quadratmeter Wohnfläche in Paris durchschnittlich etwa 10.000 Euro. In Val d’Europe bekommen Immobilienkäufer den Quadratmeter für 5.500 Euro. Das Ganze wirkt wie ein Magnet auf eine junge, zahlungskräftige Klientel.
Nachhaltigkeitsansätze bei Disney
52.000 Menschen leben aktuell in der Region Val d’Europe, das sind siebenmal mehr als 1990. Davon sind 42 Prozent unter 30 Jahre alt, und insgesamt sind 80 Nationen aus der ganzen Welt vertreten. Wohnimmobilien werden zu 70 Prozent für den privaten Sektor entwickelt, 30 Prozent sind für den sozialen Wohnungsbau gedacht. Die Immobilien reichen von Wohnungen im Stadtkern über Stadtvillen und Einfamilienhäusern in der Nähe der Ringbahn und nahe der Gewerbeflächen. Dies soll vor allem Familien ein Zuhause bieten, die in den umliegenden Business Parks arbeiten. Auch hier hat Disney große Pläne. In den kommenden zehn Jahren sollen rund 300.000 Quadratmeter Bürofläche und 300.000 Quadratmeter Gewerbefläche entstehen, kündigt Boris Solbach, CFO Disneyland Paris, an.
Auch das Thema Nachhaltigkeit spielt bei der Entwicklung von Val d’Europe eine Rolle. Die Entwicklung erfolgt im Einklang mit den Zielen des Air Energy Plan, der die Klima-, Luft und Energie-Standards in Frankreich regelt. Dazu gehören neben energieeffizientem Bauen, wie zum Beispiel Passivhäuser, auch die Grünflächenplanung, effiziente Wasserressourcennutzung und der Ausbau erneuerbarer Energien. So verfügt die Region zum Beispiel über ein Wärmenetz, das auf der Rückgewinnung von Wärme aus Rechenzentren basiert. Damit werden Teile des Gewerbegebiets sowie mehrere Wohnsiedlungen beheizt.
Dies entspricht laut eigenen Angaben 4.000 Tonnen weniger CO2 pro Jahr. Außerdem wird bereits geothermale Energie für den Betrieb des Feriendorfs Villages Nature, des dazugehörigen Wasserparks und des Disney Hotels verwendet. Damit werden jährlich rund 9.000 Tonnen CO2 eingespart. Grüne Wiesen und Felder gibt es in Val d’Europe noch weiterhin reichlich – fast wie vor 35 Jahren. Mit dem Unterschied, dass es sich nun um Ausgleichsflächen für Wasserreservoirs und Golfplätze handelt. Dadurch ist eine prosperierende Wirtschaftsregion entstanden, die Touristen, Industrie und Einheimischen gleichermaßen Entwicklungsmöglichkeiten bietet.
Es bleibt spannend, wie die nächsten 50 Prozent der Entwicklungsphase aussehen werden und inwiefern weltpolitische und Konjunkturschwankungen Einflüsse auf die Investorenentscheidungen haben werden.
Diese Reportage stammt aus der aktuellen Ausgabe 01/2024 des Fachmagazins "Immobilienwirtschaft". Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Immobilienwirtschaft-App.
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