Recycling-Wohnhochhaus Moringa: Mehrwert für die Umwelt
Als ökologische Vorreiterin kann sich die Bau- und Immobilienwirtschaft wahrlich nicht bezeichnen: 40 Prozent der CO2-Emissionen gehen auf den Gebäudebereich zurück. Die Branche ist für mehr als die Hälfte der weltweiten Abfälle verantwortlich; alleine in Deutschland haben sich nach Angaben der Initiative Kreislaufwirtschaft Bau im Jahr 2016 mehr als 214 Millionen Tonnen mineralische Bauabfälle angehäuft. Ein Projekt in der Hamburger Hafencity ist jetzt angetreten, dieses Image ins Positive zu wenden: Die Landmarken AG plant über ihre unlängst gegründete Tochter Moringa Holding GmbH das gleichnamige Wohnhochhaus "Moringa".
Es soll nach Prinzipien des Cradle-to-Cradle-Ansatzes (C2C) gebaut werden und eine begrünte Fassade erhalten. Nach Unternehmensangaben wird es sowohl das erste Wohnhochhaus auf C2C-Basis als auch das erste Projekt mit einem nennenswerten Anteil an öffentlich geförderten Wohnungen.
Der Standort passe perfekt zu Unternehmensphilosophie und zum konkreten Projekt gleichermaßen, sagt Vanja Schneider, Geschäftsführer der Moringa GmbH by Landmarken AG: "Die Hafencity lässt Innovation zu." Der zuständige Projektleiter des beauftragten Architekturbüros Kadawittfeldarchitektur, Tim Danner, stimmt dem zu. Der Standort sei wegen Untergrund und Schalleinwirkung zwar eine Herausforderung, aber die Stadt sei hier grundsätzlich bereit, Neues auszuprobieren – und das sei für ein Projekt wie das Moringa-Hochhaus unabdingbar.
Auf dem rund 4.700 Quadratmeter großen Grundstück im östlich gelegenen Elbbrücken-Quartier sind 190 Wohnungen mit einer Gesamtwohnfläche von knapp 12.000 Quadratmetern geplant. Drei Bauteile gruppieren sich um einen grünen Innenhof: Eines mit öffentlich geförderten Mietwohnungen und Preisen ab 6,70 pro Quadratmeter; hier soll auch eine Kindertagesstätte einziehen. Im zweiten Bauteil entstehen Apartments für Co-Living-Wohngemeinschaften, im dritten Bauteil sind frei finanzierte Mietwohnungen mit ergänzender Gastronomie geplant. Der Anteil an öffentlich geförderten Wohnungen – ein Drittel des Gesamtangebots – sei Teil der Vorgaben gewesen, sagt Schneider.
Bauen nach dem Kreislaufprinzip
Hervorstechen soll das Projekt nicht nur mit seiner Gestaltung und dem Nutzungsmix, sondern weit vor einem sichtbaren Ergebnis: Nach dem C2C-Prinzip werden so weit wie möglich wiederverwertbare und gesunde Materialien verwendet. Die Idee stammt aus den 1990er-Jahren, von C2C-Pionier Michael Braungart gemeinsam mit dem Architekten William McDonough entwickelt. Die Wirtschaft soll abfallfrei werden, lautete deren Credo.
Alles, was verwendet wird, kann ohne Schaden dem #Kreislauf zurückgeführt werden – von der Wiege zur Wiege. #CradletoCradle #C2C #Nachhaltigkeit
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Bezogen auf die Immobilienwirtschaft bedeutet das, dass Materialien und Teile im Fall einer Demontage genauso hochwertig wieder eingesetzt werden können müssen.
"Mehr als die Hälfte der Bauteile in bestimmten Bauteilgruppen ist nach diesem Standard recycelbar", sagt Schneider. Bei manchen Teilen, etwa der Fassade, könne man nahezu komplett auf wiederverwertbare Rohstoffe setzen, auf das ganze Gebäude bezogen sei dies technisch jedoch nicht möglich. Lüftungsteile zum Beispiel können nicht komplett recycelt werden, auch bei allem rund um die Heizung gestaltet sich so eine Herangehensweise schwierig. Außerdem verhinderten etwa Brandschutzauflagen, ganz auf den Rohstoff Holz zu setzen – der eine hervorragende Ökobilanz aufweist. "Die Decken müssen massiv sein."
Trennbarkeit von Materialien als Pluspunkt
Das Projektteam um Architekt Danner setzt bei der Recherche zu gesunden Materialien auf Datenbanken und Produktinformationsblätter der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB). Sein Büro hat bereits Erfahrungen mit C2C gesammelt, nämlich beim Bau des RAG Konzernsitzes auf der Zeche Zollverein. Das Essener Vorhaben zählt hinsichtlich der Kreislaufbilanz zu den Pilotprojekten. "Das Prinzip setzt sich bei der Ausbau-Planung fort", erklärt Danner.
"Man vertraut weniger auf eine klassisch-monolithische Bauweise, sondern eher auf die Trennbarkeit von Bauteilen und schnelle Reparaturmöglichkeiten im Fall eines Schadens." Tim Danner, Projektleiter Kadawittfeldarchitektur
Für ihn wird das Gebäude im Idealfall zum Materialdepot. Dokumentiert werden Prozess und Bau mittels eines Gebäude-Materialausweises – ein "ökologischer Bewirtschaftungskatalog", wie es Schneider bezeichnet. Darin ist etwa festgehalten, wie Teile demontiert werden können. Zudem soll für das Gesamtprojekt eine CO2-Bilanz erstellt werden; Schneider strebt den höchsten Standard der Hafencity an, Platin. Das Zertifikat orientiert sich an der DGNB-Systematik.
Begrünte Fassade soll Biodiversität im Viertel fördern
Der Ökobilanz zuträglich werden dürfte die weithin sichtbare begrünte Fassade. Sie soll nicht nur Lärm und Wärme abschirmen, sondern Luftqualität und Artenreichtum im ganzen Viertel steigern. "Wir wollen dem Grundstück mehr Grün zuführen als wir es theoretisch wegnehmen würden", sagt Schneider. Damit solle auch ein Akzent gegen die zunehmende Flächenversiegelung und deren Folgen gesetzt werden. Außerdem kommen die in der Hafencity verbindlichen Lärmschutzfenster zum Einsatz. Dabei strebe man in Bezug auf das verwendete Material eine möglichst schlanke Lösung an, sagt Architekt Danner, also wenig Materialeinsatz.
Bleibt die Frage: Lohnt sich der Aufwand? Die Moringa GmbH veräußert Projekte qua Geschäftsmodell später weiter, auch die Fokussierung auf Mietwohnungen gehört zum Prinzip. "Wir denken langfristig", sagt Schneider.
"C2C ist aktuell teurer als ein Bau nach herkömmlichen Prinzipien, aber wir glauben, dass ökologische Aspekte künftig eine viel stärkere Rolle in der Immobilienwertermittlung spielen werden." Vanja Schneider, Geschäftsführer der Moringa GmbH
Der Geschäftsführer verweist auf die ab März 2021 greifende EU-Taxonomie, die die Branche zum Verankern von Nachhaltigkeitsprinzipien verpflichten werde. Geplanter Baubeginn für das Moringa-Haus ist 2022, die ersten Mieter sollen zwei Jahre später einziehen. Ob die angestrebten Ziele tatsächlich erreicht werden, dürften die Jahre danach zeigen: Das Unternehmen will sechs Jahre lang die Luftqualität im und um das Ensemble dokumentieren, den Energieverbrauch messen und die Entwicklung von Biodiversität der Grünfassade bewerten. Die Ergebnisse sollen in zukünftige Projekte einfließen.
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